Land der Seligen
Dänemark ist laut einer periodisch erhobenen Statistik das glücklichste Land der Welt, noch vor Norwegen und der Schweiz. Sie schenkten uns den Philosophen Søren Kierkegaard, den Märchenerzähler Hans Christian Andersen, den Zauderer Hamlet sowie die Remoulade, die roten Würstchen und das Teegebäck. Dann kamen die Filme von Lars von Trier und Susanne Bier, der Schauspieler Mads Mikkelsen und die Bandwurmserie „Kommissarin Lund“. Das friedliche dänische Gemüt wurde auf die Probe gestellt von muslimischen Einwanderern, die sich über Mohammed-Karikaturen in Tageszeitungen empörten. Der protestantische Liberalismus der Dänen hatte plötzlich ein Thema: Was ist zu tun, wenn die Menschen, denen man Aufnahme gewährt, nicht so protestantisch und liberal sind wie man selbst?
Vor drei Jahren begann „Borgen“ mit zehn Teilen und wurde später von Arte etwas zu hurtig gezeigt: je zwei lange Folgen hintereinander. „Borgen“ handelt von der Arbeit und dem Privatleben der Regierungschefin Birgitte Nyborg (Sidse Babett Knudsen, Foto), von Koalitionen, Wahlkampf, Finten, Abstimmungen und dem Medien-Apparat in Gestalt des Fernsehsenders TV 1. Außer der englischen Serie „Yes, Minister“ und der amerikanischen „West Wing“ gab es eigentlich keine Beispiele für die Darstellung des Politischen in Serien. „Borgen“ zeigte eine Frau, die eher zufällig Premierministerin geworden war, die zwei Kinder zu betreuen hatte und ihren Mann bitten musste, seinen akademischen Posten für eine Weile zu verlassen. Er fühlte sich bald nicht mehr als Mann, sie sich nicht mehr als Frau. Die Tochter litt an Depressionen. Der Großvater war bald nicht mehr zu sehen.
An ihrer Seite stand der Spin Doctor Kasper Juul (Pilou Asbæk), ein Berater, mit dem sie manche Tage verbrachte und manche Nacht. Sein Geheimnis und die unergründliche Erscheinung, auch seine Liebe zu der Journalistin Katrine Fønsmark (Birgitte Sørensen) bildeten den melodramatischen Zweig der Serie. Es ging um arabische Potentaten, die Überflugrechte der Amerikaner, die Selbstverwaltung der Grönländer, Gesetze gegen Jugendkriminalität und Kindesmissbrauch, Erpressung und Ehrabschneidung. In den stets halb offenen Büros im Regierungssitz liefen schon mal die Kinder herum, und die Chefin bot Kekse an.
Nun, in der letzten Staffel, ist Birgitte nicht mehr Ministerpräsidentin, sie hat unterdessen im Ausland gearbeitet, ihr Mann ist nur noch Freund. Sie möchte in den Parteibetrieb zurück, doch man legt keinen Wert auf ihre Mitarbeit; bei einer Kampfabstimmung scheitert sie. Mithilfe der Journalistin und alten Kombattanten gründet sie eine neue Partei, mietet eine Fabrik-Etage und sagt den ehemaligen Parteigenossen den Kampf an.
Die dänische Liberalitas zeigt sich vor allem darin, dass die meisten Figuren die Fronten wechseln und bewegte Biografien haben. Über zwei Staffeln wohnte die TV-Starjournalistin Katrine in einer unaufgeräumten Zwei-Zimmer-Butze mit Laptop neben dem Bett und einem Poster der „Unbestechlichen“ an der Tür; nun kümmert sich die Mutter in einer chaotischen Dachgeschosswohnung um ihr Kind. Kasper hat jetzt lange Haare und gibt Expertisen im Fernsehen. Der schlecht gelaunte Chefredakteur des Senders hat noch schlechtere Laune, denn das Management fragt nach den Quoten. Eines aber ist klar in „Borgen“: Die Dänen werden sich niemals das Recht nehmen lassen, so zu leben. Sie sind sich einig darin, den Islam zu tolerieren, sich aber nicht bevormunden zu lassen. Und sie halten sich an die Regeln, die sie sich gegeben haben. Deshalb, vielleicht, ist Dänemark ein Land der Seligen.