Lambchop: Die Schönheit der Stille
Lambchop für alle: 14 Jahre lang blühte das Talent von Kurt Wagner weitgehend im Verborgenen. Mit dem neuen Album, diesem Heft beigelegt, macht der Solitär aus Nashville einen Schritt ins ungeliebte Rampenlicht.
Zehn Alben hat Kurt Wagner mit dem wechselnden Personal von Lambchop gemacht, alle Achtung. Eine langsame Reise ist das gewesen, auf der immer viel Zeit zum Verweilen und Betrachten war. Wagner wechselte die Perspektiven, besuchte neue Orte, änderte die Route und schlug unerwartete Haken, Die Line-ups wuchsen zum Kollektiv, um dann wieder zum Kammer-Ensemble zu schrumpfen, manchmal waren bildende Künstler mit von der Partie, manchmal erschienen Platten gleichzeitig. Vieles wirkte wie eine Langzeitinstallation, ein fortwährendes Gespräch über die Kunst und ihr Wesen.
Wagner ist nicht der einfache Mann, als der er gelegentlich beschrieben wird, sondern ein Kunstintormierter, der seine Vorgehensweisen mehr der Malerei entlehnt als dem Rock’n’Roll. Und so mag „Americana“ hier einst ein passender Begriff gewesen sein, aber das ist lange her. Obschon Wagner für sich in Anspruch nimmt, mehr Country zu sein als viele Country-Musiker, weil Amerika eben doch in seiner Musik steckt, noch genauer Nashville, seine Heimat.
Die Music City war von Anfang gut zu ihm, hat den Sonderling mit hochkarätigen Musikern und Produzenten zusammengebracht, die eine Alternative zur immer gleichen Auftragsarbeit suchten. Das andere Nashville hat Wagner vielleicht nicht verkörpert, aber er gehört zu ihm und hat diese Zugehörigkeit auch gelegentlich mit Kooperationen unterstrichen, etwa mit der von 1999 mit Josh Rouse. „Ich hatte für Lambchop von Anfang an eine Langzeitbeziehung im Sinn“, sagt Wagner im Rückblick, „wir haben versucht, Enthusiasmus mit Realitätssinn zusammenzubringen. Nicht alles auf eine Karte setzen, nicht zu exzessiv touren, damit nicht alles schnell wieder vorbei ist. Außerdem hatte ich ja diesen Gedanken von einer wirklichen Band. Kein Vortänzer, sondern wirklich eine Gruppe von Menschen, die gemeinsam einen Klang haben. Ich habe an diesem Ideal so lange festgehalten wie möglich.“
Das ist das Stichwort. „OH (Ohio)“ markiert nämlich an dieser Stelle eine relativ deutliche Abkehr von Lambchop, wie man sie bislang kannte. Denn Kurt Wagner hat jetzt verstanden, was der Betrachter schon lange weiß: Er ist der Frontmann seiner Band. So banal diese Erkenntnis scheint, so fundamental ist sie doch für Wagner und seine Arbeitsweise. ,Alles hat angefangen mit der Art, wie ich die neuen Lieder schrieb. Ich stand vor einer Solotournee, was eine sehr ungewohnte – und für viele Jahre auch ungewollte – Situation für mich war. Also schrieb ich neue Stücke, bei denen ich die kommenden Konzerte vor Augen hatte. Früher bin ich mit sehr unfertigen Skizzen in den Proberaum gegangen und habe sie mit der Band ausgearbeitet. Diesmal mussten die Songs so sein, dass ich sie allein spielen und singen konnte. Ich bin im Lauf der Jahre ein besserer Schreiber geworden, ein besserer music man. Ich musste mich dem stellen und sehen, was für neue Möglichkeiten sich ergeben. Das ist ja schließlich das Wesen des Experimentierens, dass sich die Dinge ändern.“
Zurück zu Hause, war Wagner nicht mehr der Mann der zweiten Reihe. Die Lieder waren gewachsen und bedurften nicht mehr der grundsätzlichen Bearbeitung im Proberaum. Sie mussten nur noch gespielt werden. „Die Band war dazu da, fertige Songs umzusetzen, nicht mehr und nicht weniger“, erinnert sich Wagner, „das war für mich eine sehr große Veränderung.“ Die frühen Alben von Lambchop „I Hope You’re Siting Down“, „How I Quit Smoking“, „Thriller“ – waren oft von einer schlafwandlerischen Trägheit und der Freude am gemächlichen Pedal-Steel-Seufzen geprägt, und Wagner hatte dafür einen zeitlupenhaften Sprechgesangsstil erfunden. „The Man Who Loved Beer“ wurde später von David Byrne adaptiert. Mit „What Another Man Spills“ kam der Soul in Wagners Songs, auf „Is A Woman“ spielte der Sonderling dann plötzlich Piano-Etüden.
Bei der neuen Platte entschied sich Wagner für einen weiteren ungewöhnliehen Schritt. Er nahm das neue Repertoire mit zwei Produzenten gleichzeitig auf: mit dem Langzeitkollaborateur Mark Nevers und dem Yo La Tengo-Produzenten Roger Moutenot, einem guten Freund, der vor nicht langer Zeit nach Nashville gezogen war. Beide bekamen ungefähr dieselben Songs zu hören und arbeiteten parallel an der Produktion, nur ein paar Blocks voneinander entfernt. Wagner, sonst in jedes Detail von Aufnahme, Arrangement und Mix involviert, hielt sich fast völlig raus und ließ die Freunde entscheiden, was mit den Liedern passieren solle. „Natürlich hatte ich gemischte Gefühle“, grinst Wagner heute erleichtert, „es war, als hätte ich etwas aus dem Katalog bestellt, und jetzt stand ich da und wartete auf den Paketwagen. Ob es in echt genau so aussehen würde wie auf dem Bild? Ich war nervös.“
Aber auch befreit. Denn Wagners neue Lieder waren ja allein sein Werk und mussten nicht erst im Kollektiv erschaffen werden. Wer seine Arbeit getan hat. darf sich ruhig zurücklehnen. „Da ist eine seltsame Dichotomie, oder?“ stimmt Wagner zu. „In dem Moment, in dem ich aus der Deckung komme, trete ich zurück und überlasse mich den Produzenten. Das ist doch interessant! Vielleicht lerne ich etwas, vielleicht wird die Musik besser. Das ist immer das Ziel.“
Wagner war übrigens zufrieden mit den Ergebnissen. Überrascht, aber zufrieden. Während Mark Nevers eine ganze Reihe von Instrumenten zufügte, nachdem Wagner das Studio verlassen hatte – ein paar Bacharach-Bläser, Chöre, Klangwolken hier und da -, beließ Roger Moutenot es mehr oder minder bei den Basics, die die Band zuvor eingespielt hatte. Und das bringt uns zu der zweiten Botschaft, die Kurt Wagner mit dieser Platte überbringt: Lambchop in a band. „Das Line-up hat sich in den letzten Jahren ja doch sehr klar herauskristallisiert“, erklärt Wagner, „ich wollte, dass die Jungs sich mit diesem Album präsentieren können. Deshalb klingt vieles so kompakt, konzentriert. Es sind nicht mehr irgendwelche Leute, die zusammen ein Ganzes schaffen. Es ist eine konkrete Gruppe mit konkreten Klängen.“
Klärung aut allen Ebenen. Wagner, eben noch der Eklektiker, der Sammler und Selbstversucher, der Demokrat, dessen Kunstideal und Schüchternheit allzu eindeutige Strukturen zu verbieten schienen, ordnet die Elemente. Auch in den Liedern, die konziser sind als die früheren, mehr auf der Suche nach einer traditionellen Form. Das hat sicher mit der eingangs erwähnten Solotour zu tun, doch der Wille zu Klarheit und Schönheit ist grundsätzlicher Natur. „Fehlende Selbstkontrolle kann zu durchwachsenen Ergebnissen führen“, sinniert Wagner nicht ohne eine Spur Selbstkritik, „ich suche die Balance aus Spontaneität und Struktur, aus Experiment und Fleiß. Das ist sicher eine neue Entwicklung – ich habe mal über Leonard Cohen gelesen, wie hart er an seinen Stücken arbeitet. Das hat mich sehr beeindruckt. Ich habe mir gedacht. Mann, du hast doch noch viel zu lernen! Ich begann also damit, viel konzentrierter und beharrlicher an meinen Songs zu arbeiten.“
Die neue Art der Kreativität bedeutet nicht, dass Wagner sich selbst verlässt. Noch immer sind diese Lieder weit weg von den Standards, ist die Schönheit verschwiegen und die Wahrheit ein widersprüchliches Ergebnis. Die zwei Gemälde auf bzw. im Cover von „OH (Ohio)“ stammen von Wagners Kunstprofessor aus Studientagen, sie unterstreichen das hier prägende Lebensgefühl. Wagners Deutung der Gemälde wird zur Beschreibung seines eigenen Werkes. „Ich sehe etwas Zärtliches, Spielerisches in diesen Bildern, aber gleichzeitig lauert da etwas Dunkles, Verstörendes im Hintergrund. Es ist einfach mehr darin, als man zunächst sehen kann – du musst dir etwas Zeit nehmen, bis es passiert. Aber ist man bereit, genau hinzusehen und sich nicht ablenken zu lassen?‘ Das schillernde, unscharfe Bild, das all diese wundersamen Lambchop-Alben mit den seltsamen Cover-Motiven ergeben, wird nun durch „OH (Ohio)“ ergänzt – dank der Beilage in diesem ROLLING STONE die Platte mit der höchsten Auflage von allen Wagner-Werken. Den unkonventionellen Vertrieb will der Künstler nicht als Akt der Nächstenliebe verstanden wissen – dafür habe man gar nicht die Mittel. Die Zeiten seien eben so, und auf diese Weise erreicht man für artistische Musik ein größeres Publikum.
Finten, bewusste Brüche, rätselhafte Assoziationen – Lambchop mögen verständlicher geworden sein, doch ihr Geheimnis gibt diese Musik nicht preis, zumal nicht in den Texten. „Es ist die Natur meines verrückten Songwriting-Prozesses, dass Gegensätze nebeneinander existieren dürfen. Vielleicht kriege ich später heraus, was es bedeutet. Es muss nicht immer alles hübsch und aufgeräumt und klar sein.“
Worüber Wagner also auf „OH (Ohio)“ singt, ist schwer zu sagen. Viele der Texte sind zu kryptisch für einen Erklärungsversuch. „Ich weiß nicht, ob es eine Linie in meinen Texten gibt. Tatsächlich betrachte ich meine Lieder unter allen Aspekten außer diesem. Das ist manchmal schwierig, weil die Leute wollen, dass ich Dinge erkläre, die ich ja vorsätzlich vage und unerklärlich lasse.“
Zuletzt war das ein wenig anders gewesen. Das vorige Album, „Damaged“, kommentierte Wagners – inzwischen besiegte – Krebserkrankung, die Begegnung mit dem Tod. „Ich musste damals ein bisschen klarer sprechen. Es war unmöglich, nicht zum Thema zu machen, was mit mir geschah. Aber so eindeutig, wie die Leute gedacht haben, war es nun auch wieder nicht.“
Wagner lacht, dieses selbstironische Lachen, das immer dann kommt, wenn er sich selbst zu sehr im Mittelpunkt sieht. „Ich finde es faszinierend, dass die Leute so viele Dinge in meine Musik hineinlesen. Das ist schmeichelhaft, und irgendwie ist das auch ein Prinzip, wenn ich ganz banale Dinge in meine Texte baue. Es liegt in unserer menschlichen Natur, selbst aus völlig absurden Situationen einen Sinn zu machen. Was die Leute in meinen Liedern sehen, sagt mehr über sie selbst aus als über mich.“