Ladyhawke – Im Boyfriend-Look
Elektronik-Pop-Darling der Stunde: Ladyhawke
Man hatte es geahnt. Da sitzt sie mit ihrem platinblonden Free-and-easy-Schopf und dem obligatorischem dunklen Haaransatz, der suggeriert, dass die Trägerin sich einen Dreck um ihren Look schert – was natürlich nicht stimmt, denn der schick gefärbte Ansatz hat mutmaßlich ein kleines Vermögen gekostet.
Gestatten: Ladyhawke! Ihr grünes Paisley-Männerhemd ist zu groß; aber das macht nichts, denn Paisley-Muster und „Boyfriend-Look“ stehen gerade wieder ganz vorn in den Trendlisten. „Ich trage nur Männerklamotten und bin trotzdem sinnlich“, wird sie später sagen und alle Vorurteile bestätigen: Ladyhawke ist eines dieser Elektro-Pop-It-Girls. Ihre Clubhymne „Paris Is Burning“ hallt noch in den Straßen.
Aber, Moment – Pip Brown (so ihr wirklicher Name) steht auf, ist überraschend klein, trägt aber keine High Heels, dabei sind die doch ein Muss beim „Boyfriend-Look“. Und sie lächelt – schüchtern, schaut zu Boden, errötet leicht. Verwirrung. Wo ist die Visagistin, die ihr die zarte T-Zone pudert, die sich mittlerweile in eine Ölkatastrophe mittleren Ausmaßes verwandelt hat? „Ich bin keine Hollywood-Fame-Hure“, sagt die Neuseeländerin mit einer überraschend angenehmen Stimme. „Viele Leute haben mir gegenüber Vorurteile, aber die sollen alle zu meinen Konzerten kommen und sich nach der Show selbst ein Bild von mir machen. Wer mich treffen will, der kann das auch. Das ist mir lieber, als wenn rückgratlose Loser im Internet miese Gerüchte über mich verbreiten.“ Dieses Angebot zu machen ist keine leichte Übung für Pip, die jahrelang Angst davor hatte, angefasst zu werden. Vor langer Zeit wurde bei ihr eine Form von Autismus – das Asperger-Syndrom – diagnostiziert. „Mein Tastsinn und mein Geruchssinn sind besonders stark ausgeprägt, ich rieche Dinge, die niemand sonst riechen kann; aber vor allem fühle ich Berührungen viel stärker. Ich konnte es lange nicht ertragen, umarmt zu werden. Sogar Händeschütteln war für mich ein Graus.“
Pip Brown fällt es schwer, unter Menschen zu gehen. Sie spricht nicht gern mit Fremden und leidet unter paranoiden Angstzuständen. Ist „Popstar“ unter solchen Umständen nicht eine etwas seltsame Berufswahl? „Ich habe mich selbst bewusst mit dem Thema konfrontiert, ich habe zwar gelitten und gekämpft, aber mein Ehrgeiz war letztlich stärker als meine Furcht.“ Auf ihrem neuen Album hat sich Ladyhawke mit diesem sehr persönlichen Thema auseinandergesetzt. „Anxiety“ heißt das Werk – Panikattacken als Marketing-Tool, eine Krankheit im Hitgewand? „Ich hatte tatsächlich Angst davor, dieses Thema öffentlich zu machen, aber eigentlich hat es mir nur geholfen. Ich bin über mich selbst hinausgewachsen.“
Die 32-Jährige, die aussieht wie 19, ist eine Frau, die viel zu erzählen hat. Und Musik als Rettung erlebt, als Heilung auch, die eine ernsthafte und ernst zu nehmende Musikerin sein will – auf „Anxiety“ hat sie alle Instrumente komplett selbst eingespielt.
Leider spiegelt sich Browns Lebenserfahrung nur selten in ihren oft banalen Texten: „This is real life, oh no/ You can’t fight it, oh no.“ Die Pop-Industrie freut’s; sie hat Ladyhawkes Corporate Identity gefunden und vermarktet sie als „das trendy Mädchen mit den Panikattacken“. Im Video zu „Black And White And Blue“ kokettiert sie denn auch mit ihren Visionen, sieht Dinge, die für andere unsichtbar bleiben. Und bricht zusammen – bei einem Mode-Shooting.