Lachen

„Das war echt schräg , sagt Eddie Van Haien, als er die Tür von 5150 aufschließt, einer Kombination aus Studio, Bunker, Videothek und Spielhölle, die er sich neben sein Haus, hoch über dem kalifornischen San Fernando Valley, hat hinstellen lassen. „Wir waren auf unserem Promotion-Trip durch Europa, und da sagte doch dieser deutsche Journalist zu mir: Jetzt mach aber mal halblang. Ich bin zwar kein Psychologe, aber das tut nun wirklich keiner seinem Kopf an.'“ – Scheint so, als sei der Gitarrist mit dem Bubigesicht und den wallenden Locken heute durch einen Kerl ersetzt worden, der -je nachdem, wen man fragt wie der coolste Streifenpolizist Kaliforniens oder ein neues Mitglied von Los Lobos ausschaut. Doch von der radikal veränderten Optik mal abgesehen, hat Eddie Van Haien auch anno ’95 immer noch keine Probleme damit, als Rock-Dinosaurier zu gelten. „Hey“, sagt er, „Dinosaurier sind toll. Und sie sind gigantisch. Stimmt’s?“

Analog zu seinem Status als Musiker hat sich Eddie Van Haien auch einen Namen als Weltklasse-Säufer gemacht. Auf dem Weg zu seinem Haus mache ich an einem Getränkeladen kurz auf eine Limo Halt – und was lacht mir von einer Wand entgegen? Ein riesiges Foto von einem völlig breit aussehenden Eddie Van Haien, optimal plaziert zwischen Schnappschüssen von weiteren Trunkenbolden wie Keith Moon und Liberace.

Doch Eddie kann heute stolz vermelden, daß er seit fünf Monaten keinen Drink mehr angerührt hat vier Monate mehr als sein vorheriger Rekord. Und trotz der längst bekannten Tatsache, daß er bei jeder Veröffentlichung eines neuen Albums „trocken“ gewesen ist, ist er zuversichtlich, daß es mit der LP „Balance“ „für immer“ sein wird.

Als ich am nächsten Tag etwas zu früh vor 5150 halte, bringt Van Haien gerade seinen Sohn Wolfgang zur Schule. Wolfies Mutter, die Aktrice Valerie Bertinelli, die Eddie ’81 geheiratet hat, läßt mich ins Haus. Sie ist bis eben durch Internet gesurft, um mal zu checken, wie Van Haien auf America Online bei den Fans ankommen. Bislang, sagt sie, sei erst ein Fan hinter ihre wahre Identität gekommen.

Auf meine spontane Frage, ob sie glaubt, daß ihr Mann diesmal endgültig vom Alkohol weg ist, antwortet Bertinelli: „Sonst wäre ich nicht mehr hier. Länger als 14 Jahre lebe ich mit keinem Säufer zusammen.“

Van Haien glaubt, der Grund für sein Trinken bestehe darin, daß er als schüchterner Typ eine extrovertierte Rolle übernehmen mußte. Tatsächlich aber scheint es ihn ein wenig nervös zu machen, daß ich bei einer Probe für die anstehende Welttour anwesend bin. „Es ist stressiger für mich, vor einer Person zu spielen als vor 10 000 Leuten“, sagt er. „Vor allem nüchtern.“

Das Van Halen-Powertrio ist heute im Übungsraum, um einigen neuen Songs den letzten Schliff zu verpassen. Hagar fehlt wegen eines Todesfalls in der Familie, aber auch ohne seine Stimme bleiben Van Haien eine beeindruckend dichte Einheit Alex Van Haien ist ein wahres Energiebündel, und Michael Anthony klinkt sich mühelos in das druckvolle Spiel ein. Und dann ist da natürlich noch Eddie. Nach 15 Jahren besitzt der erwachsen gewordene Junge aus Holland noch immer die Fähigkeit, mit seiner unglaublichen Schlagzeug-Power das Publikum zu faszinieren.

Nachdem der Probedurchlauf zur Zufriedenheit des Trios ausgefallen ist, bequemt sich ein leicht erschöpfter aber locker wirkender Eddie Van Haien endlich, dem Reporter Rede und Antwort zu stehen.

Was sind deine frühesten musikalischen Erinnerungen?

„Ich habe daheim in Holland immer meinen Vater Klarinette üben hören. Damals war es schwierig, mit dieser Art von Musik Geld zu verdienen, und daher schloß er sich einer Band der Luftwaffe an und spielte Marschmusik. Wir hörten uns all diese Platten mit Märschen

an, und AI und ich paradierten um den Wohnzimmertisch herum und trommelten auf Töpfen und Pfannen nun. Doch nachts hörten wir ihn unten klassische Musik spielen. Er liebte Klassik und Jazz.“

Hat er euch musikalisch gefördert?

„Mein Vater wollte stets, daß wir Musiker werden. Doch meine Mutter war dagegen, weil sie sah, wie hart der Beruf für ihn war. Vater mußte immer kämpfen, und Mutter haßte die Musik regelrecht, da sie uns nur so ein ärmliches Leben erlaubte. Andererseits war Vaters Musik unsere Rettung. Natürlich spielte er auch auf dem Schiff, mit dem wir nach Amerika kamen.“

Wie seid ihr denn zum Rock’n’Roll gekommen?

-Wir hörten die Dave Clark Five.“

Was, nicht die Beatles?

„Doch, auch. Alex und ich gingen ins Kino, um ,A Hard Day’s Night‘ zu sehen, und die Mädchen kreischten. Das fand Alex toll. Ich fand den Film absolut gut. Bis heute höre ich mir einige von diesen alten Scheiben an, sie haben etwas Magisches.

Aber alle Kids haben eine Phase, in der sie Modellautos und so bauen. Ich bastelte mir also aus Kartons so etwas wie Snare Drums und spielte die Stücke von der Dave Gark Five mit. Und als ich etwa zwölf war, jobbte ich als Zeitungsjunge, weil meine Eltern kein Geld übrig hatten und kaufte mir ein Schlagzeug.“

Und dein Vater hielt dich ßr den künftigen BuddyRich?

„Nein, aber er wußte, daß ich nur ein vom Rock’n’Roll besessenes Kind war. Dann verloren mein Bruder und ich die Lust am Klavierunterricht, doch meine Eltern brachten Alex dazu, Flamenco-Gitarre zu lernen. Eines Tages brachten sie ihm eine Silvertone-Gitarre mit, die sie von einem Vetter gekauft hatten. Doch die griff ich mir und fing an, darauf herumzuklimpern. ,Wow‘, dachte ich, ,das macht echt Spaß‘.“

Wie kam es, daß Alex und du dann die Instrumente tauschtet?

„Während ich Zeitungen austrug, um mein Schlagzeug zu bezahlen, spielte Alex auf meinen Drums. Er konnte ,Wipeout‘ spielen, ich nicht. Ich war sauer, weil er einfach besser war als ich. Abo dachte ich, ,Okay, dann spiele ich eben die verdammte Gitarre.'“

Hattet ihr vor Van Haien noch irgendwelche anderen Bands?

„In der vierten Klasse hatten wir eine Gruppe, die Broken Combs hieß. Später gab’s dann eine Band namens Revolver, mit einem Bassisten, der tolle Sachen von Mountain spielen konnte. Damals war ich ein großer Fan von Clapton und Cream. Wir hatten den geilsten Baß-Sound, aber der Bassist warf dauernd Pillen ein, deshalb wurde nichts daraus. In einer anderen Band namens Mammoth hatten wir ’nen Bassisten, der zwar unheimlich kreativ war, aber dauernd kifite.“

Das Thema blieb euch also treu…

„Na ja, irgendwie ist so Van Haien mit Roth und Michael entstanden, weil alle anderen um uns herum Ausfalle waren. Außerdem war Roth der einzige, der eine PA hatte. Wir mieteten seine PA jedes Wochenende für 35 Dollar und kriegten 50 für die Gigs. Ergo war’s billiger, ihn in die Band zu holen.“

Wie habt Ihr Euch kennengelernt?

„Wir spielten immer auf Gartenparties in San Marino, dem stinkreichen Teil von Pasadena, wo Roth wohnte. Die Eltern fuhren übers Wochenende weg, die Kids ließen eine Party steigen und engagierten uns. An einem Sonntagnachmittag, als wir zu Hause probten, klopfte Roth an die Tür und meinte, er wollte für uns singen. Ich werd das nie vergessen, wir forderten ihn auf, Songs wie „Crossroads“ von Cream und etwas von Grand Funk Railroad zu lernen und dann gab sonst niemanden, mit dem wir spielen konnten. Roth wurde tatsächlich besser – sonst hätten wir nicht mit ihm weitergemacht.“

Wie viele Jahre habt ihr in Clubs gespielt, bevor ihr einen Pertrag bei Warner Bros, bekommen habt?

„Ich glaube, wir haben in allen Clubs Kaliforniens, von Pasadena bis Cucamonga, auf der Bühne gestanden. Das dürfen ungefähr sieben Jahre gewesen sein.“

Wieviel habt ihr damals pro Abend verdient?

„Hundert Dollar für die ganze Band. Wir wohnten zu Hause. Ich habe bei meinen Eltern gewohnt, bis ich Valerie kennenlernte.“

Wie haben eure Eltern reagiert, als ihr den Durchbruch geschafft habt?

„Meinem Vater, der 1986 gestorben ist, standen jedesmal die Tränen in den Augen, wenn er uns spielen sah. Er war glücklich darüber, besonders deshalb, weil er selbst es nie wirklich geschafft hatte.“

Hat er nicht auf „Diver Down“ Klarinette gespielt?

„Mann, war der aufgeregt. Doch das Schöne daran war, daß wir alle ganz gleichberechtigt im Studio spielten.“

wiederzukommen. Eine Woche später kam er – und es war schrecklich. Er konnte nicht singen. Ich legte meine Gitarre weg und sagte: ,A1, ich bin gleich wieder da.‘ Und deshalb ist Roth bis heute stinkig auf AI, da der ihm damals klipp und klar sagte, daß das so nicht laufen würde. Von da an haßte er uns und gründete eine eigene Band. Aber nach einer Weile beruhigten sich die Gemüter wieder, und außerdem Viele Bands haben heute ein zwiespältiges Verhältnis zu dem ganzen Rockstar-Trip. Hast du den Rummel von Beginn an genossen?

„Wir waren groß. Wir waren erfolgreich. Aber ich wußte nichts damit anzufangen. Ich begann, mich unterwegs einsam zu fühlen. Meine Frau lernte ich ausgerechnet backstage in Shreveport/Louisiana kennen. Das war im August 1980, und sie kam, weil ihre Brüder Fans von

uns waren und nur in ihrer Begleitung in den Backstage-Bereich gelangen konnten. Das war witzig, weil Roth sofort diese .Hey, Baby‘-Nummer abspielte, und sie schnurstracks an ihm vorbeimarschierte. Ich glaube, das stank ihm, weil ich plötzlich einen Teil des Rampenlichts abbekam, den er für sich beanspruchte. Die Regenbogenpresse und der ganze Mist Manche Leute fahren da voll drauf ab. Ich dagegen komme mir oft wie Forrest Gump vor, denn ich kann mit dem Rummel überhaupt nichts anfangen.“

Wie kam es denn zu der endgültigen Trennung von Roth?

kommen würde. Aber das ist mein verdammter Name. Eine Zeitlang wußte ich nicht, was wir machen sollten. Ich dachte schon an ein Soloalbum. Ich hatte eine Menge geschrieben, u.a. auch ‚Right Now‘, das schließlich auf f. U.C.K.‘ landete. Für diesen Song stellte ich mir Joe Cocker vor.Ich rief ihn sogar an, aber Alex redete mir die Sache aus, denn wir waren ja eine Band.“

Und dann kam Sammy.

Ja. Ich ließ gerade bei Claudio mein Auto reparieren, als Sammy dort anrief. Claudio rief: »Hey, Hagar ist am Telefon. Willst Du mit ihm sprechen?‘ Klar wollte ich, und „Zum Teil lag es an meiner Arbeit an ,5150′. Dave und Produzent Ted Tempelman fühlten sich dadurch bedroht. Der erste Song, den ich schrieb, war Jump‘, und er gefiel ihnen nicht Ich sagte: ,Macht, was Ihr wollt!‘ Ich hatte die Schnauze voll von ihren Vorstellungen von Kommerzialität, die zu all den Cover-Versionen auf „Diver Down“ geführt hatten. Ich wollte nie in einer Cover-Band spielen, denn ich habe immer mehr als genug Material geschrieben. Anfangs war ich froh über Roths ,Crazy From The Heat‘-Solo-Projekt (eine erfolgreiche EP von ’85, die das Ego des Sängers noch weiter aufblähte -Red.), weil ich ein bißchen Ruhe vor ihm hatte. Ich hatte keine Ahnung, was genau er vorhatte. Doch dann rief er mich an, bat mich, zu ihm zu kommen und teilte mir mit, daß er einen Film aus ,Crazy From The Heat‘ machen wollte. Er hatte schon einen Vertrag, der dann aber ins Wasser fieL Mann, war ich damals deprimiert Ich heulte, dann rief ich meinen Bruder an und sagte ihm, daß der Mistkerl ausgestiegen sei.“

Hattest du das Gefühl, daß ihr in Schwierigkeiten stecktet?

„Nein, ich hatte das Gefühl, daß ich den Typen jahrelang mit durchgeschleppt hatte. Damals schlug uns Warner Bros, vor, daß wir nicht mehr unter dem Namen Van Haien weitermachen sollten. Wahrscheinlich glaubten sie, daß Dave zurückein paar Tage später war er hier, und wir arbeiteten an ,Summer Nights‘ und ,Good Enough‘ von J150′. Wir jammten und ließen das Band laufen – es war einfach klasse. Sammy beherrschte vom ersten Augenblick an alles, was ich ihm vorsetzte. Seitdem bin ich im siebten Himmel, weil ich nun endlich schreiben kann, was ich wilL“

Kannst du dir vorstellen, je wieder mit Roth zusammenzuarbeiten?

Wenn wir alt genug werden und in die Rock’n’Roll Hall of Fame aufgenommen werden, werden wir zusammen jammert müssen. Sammy kam neulich damit an. Er hatte einen Alptraum, in dem er gemeinsam mit Roth vor dem Mikro stehen mußte. Ich glaube, das wäre umwerfend. Nein, ich hasse den Kerl nicht, aber die Vorstellung, daß er je zurückkehren könnte, ist lächerlich.“

Van Haien brachte man immer mit dem hedonistischen Lebensstil des Rock in Verbindung. Was war die Droge deiner Wahß Zwischen 1980 und 1984 habe ich viel gekokst Und getrunken. Ich habe erst vor etwa fünf Monaten damit aufgehört Ich habe mich immer besoffen und war dann ein echtes Arschloch.“

Hast du früh damit angefangen?

„Als ich 12 oder 13 war, waren Alex, mein Vater und ich draußen in Covina, Kalifornien, und ein junger Schäferhund kam hereingesprungen und biß mich. Es tat fürchterlich weh. Deshalb sagte mein Vater: ‚Trink einen Schluck Wodka, Ed. Danach fühlst Du Dich besser.‘ Und er gab mir eine Pall Mall zu rauchen. Von genau dem Moment an rauchte und trank ich.“

Hat der Suff deiner Musik geschadet?

„Nein, gar nicht. Wenn überhaupt, hat es mir geholfen, mich zu öffnen, weil ich wirklich sehr unsicher bin. Wäre ich jetzt besoffen, könnte ich Dir auf der Stelle einen Song schreiben, weil ich spielen will, wenn ich betrunken bin. Außerdem bin ich schrecklich nervös, wenn ich vor Leuten spiele. Der Alkohol wirkt da geradezu Wunder.“

Worum hast Du damit aufgehört?

„Während der Aufnahmen zu .Balance‘ trank ich alkoholfreie und alkoholische Getränke durcheinander. Plötzlich fingen mein Körper und mein Hirn an, zu rebellieren. Es war nicht mehr schön. Ich wachte morgens auf und mußte kotzen.“

Was hältst Du von der neuen Musikergeneration, die Heroin nimmt?

„Ich denke, das merkt man der Musik an, die heute rauskommt In Europa verstehen sie diesen ganzen Downer-Rock gar nicht Wir werden in jedem Interview gefragt, ,Was hat es mit diesem depressiven Grunge-Generation-X-Scheiß auf sich?‘ Die kapieren das gar nicht“

Und Du?

„Ach, wenn die Leute sich so fühlen, ist das in Ordnung, aber ich glaube nicht, daß das Leben heute schlechter ist als in meiner Jugend. Ich glaube, es gibt gewisse Bands, die sich sogar darüber beklagen, daß sie Musik machen. Hey, wenn das ein Problem ist, dann laß es doch bleiben. So sehr ich die Musik von Kurt C5obain geliebt habe, kann ich mich nicht gegen den Gedanken wehren: Wenn das, was tu tust, dazu führt, daß Du Dich umbringst, würde ich damit aufhören.“

Versuchst Du, bei der Entwickhtng der Musik up to date zu bleiben?

„Nicht wirklich. Ich kapsele mich nicht ab, aber alles, was da draußen passiert, ändert nichts an dem, was ich tue. Die Rockmusik hat sich so oft geändert, seit wir angefangen haben. Wir kriegten unseren Vertrag, als Punk und Disco in waren. Das hat mich nicht beeinflußt“

Euer neues Album heißt „Balance. Spricht aus diesem Titel der Wunsch, ein Gleichgewicht in dein Leben zu bekommen?

„Das ist ein Titel, den Alex mal in der Zeit von „5150“ erwähnte, und der mir im Gedächtnis geblieben ist. Ich hielt das für einen coolen Titel. Für mich steht er für das Gleichgewicht zwischen uns vier, dank dem alles funktioniert.“