Lache Lache wider Welt
Der "geniale Dilletant" Wolfgang Müller setzt seinem Künstler-Idol Dieter Roth ein musikalisches Denkmal
Da haben sich zwei gefunden: Wolfgang Müller hat einen Blaumeisen-Tick und zwingt Stare, die „Ursonate“ von Kurt Schwitters zu zwitschern. Dieter Roth ist seit 1998 tot. hat der Welt aber weit mehr hinterlassen als das niedliche Osterhäschen aus Karnickelkötteln, das man auf der Startseite der „Dieter Roth Foundation“ bewundern kann. Begegnet sind sich die beiden nie, trotzdem hat Müller seinem dichtenden, musizierenden und bildenden Künstler-Idol nun ein wunderbares Pop-Denkmal gesetzt: „Das Dieter Roth oRchester spielt kleine Wolken, typische Scheiße und nie gehörte Musik“.
Der 1930 in Hannover geborene Roth bewegte sich seit den frühen Sechzigern in Fluxus-Kreisen, gelegentlich hat er Bücher von Grass, Böll und Walser zerstampft und mit Gelatine zu „Literatur Würsten“ verwurstet. In den 70er Jahren gestaltete er auch lesbare Buchobjekte, geschrieben im Geist des Dada. Selbst wenn der Künstler nicht immer ein netter Kerl war, Humor ist der Schlüssel zu seinem Werk: „lache wider willen! lache wider weit! lache in den huellen, in dem warmen zeit! lache auf dem eise! lache auf dem belt! lache auf die weise, die dem herz gefaellt! Wo ist deine lache? wo ist deine welt? wo ist deine sache, die das Zepter haelt“
Der Berliner Künstler, Musiker und Autor Wolfgang Müller entdeckte diese wunderschönen Zeilen 1981 in einem Buch mit dem grimmigen Titel „Frühe Schriften und typische Scheiße“. Was damals auf dem Grabbeltisch drei Mark kostete, geht heute im Antiquariat für 150 Euro über den Tresen, weil es im Buchhandel nur eine einzige Textsammlung von Roth zu kaufen gibt, das bei Suhrkamp erschienene „Drinnen vor dem Auge“. Zu schräg und schrullig waren die oft absurden Texte, die Roth in riesigen Mengen produzierte.
Wolfgang Müller war hell begeistert. Die Unberechenbarkeit von Dieter Roth passte perfekt zu der Punk-Atmosphäre jener Tage und fast noch besser zu Müllers Band Die Tödliche Doris. Das englische Musikmagazin „Wire“ feierte die 1987 „in Weißwein aufgelöste“ Gruppe unlängst mit einer opulenten Sechs-Seiten-Story. Als Erfinder des Begriffs Geniale Dilletanten veröffentlichten Käthe Kruse, Nikolaus Utermöhlen und Wolfgang Müller nicht einfach nur Platten, sondern kleine Konzept-Kunstwerke: „Chöre und Soli“ bestand aus einem Abspielgerät, wie man es in Sprechpuppen findet und acht dazu passenden Miniplatten. Ein Meisterstück der Chuzpe war „Die unsichtbare 5. LP“, die angeblich nur dann entsteht, wenn man die Alben „Unser Debüt“ und „sechs“ gleichzeitig abspielt: „Diese Idee ist entstanden, weil ab 1982 viele Leute aus dem sogenannten Underground plötzlich doch noch einen Hit haben wollten“, erzählt Müller. „Die waren alle ganz panisch. Diese Panik musikalisch umzusetzen war ein wundervolles Thema. Also machten wir eine Platte, die sich anhörte wie eine Band, die nach Jahren des Experimentierens endlich Erfolg haben will. Parallel dazu veröffentlichten wir ein völlig gegenteiliges Album:
souverän, unabhängig, absolute Super-Avantgarde. Die erste Platte kriegte einen Verriss von Peter Bömmels, die zweite Platte bekam ein Lob von Diedrich Diederichsen. Beides war unzutreffend. Pop kommt ja von populär, wir aber zerstörten fortwährend Images und damit jede Sicherheit für Journalisten. Es geht nicht darum, die Popmusik kaputt zu machen, aber es ist wichtig zu analysieren, was dort für stereotype Konditionen herrschen. Und davon haben wir wahnsinnig viele gefunden.“
Bis heute ist Wolfgang Müller seinem Kunstbegriff zwischen Komik und Subversion treu geblieben. Mal verkauft er der Deutschen Bank Tuschezeichnungen, die nach einiger Zeit unsichtbar werden; mal lässt er für eine DVD die Songs der Tödlichen Doris in Gebärdensprache übertragen. So poppig wie auf der von ihm initiierten Compilation „Das Dieter Roth oRchester spielt kleine Wolken, typische Scheiße und nie gehörte Musik“ klang Wolfgang Müller allerdings noch nie.
Roth dagegen hatte keine besondere Beziehung zum Pop – auch wenn er mit seinen trinkfesten Kumpanen gelegentlich schwerverdauliche „nie gehörte Musik“ fabrizierte. Das Populäre war dem akribischen Sammler von flachen Abfällen eher ein Gräuel. Die Compilation, die sein langjähriger Fan jetzt im Rahmen einer dreiteiligen Radio-Hommage des Bayrischen Rundfunks zusammengestellt hat, hätte der alte Wilde vielleicht trotzdem gemocht. Andreas Dorau, Mutter, Stereo Total, Khan, Ghostigital, Mouse On Mars, Trabant und natürlich Wolfgang Müller selbst (unter Pseudonymen wie Armand & Bruno, Walter von Goethe Quartett und Ulfur Hrodolfson) haben Texte von Roth absolut kongenial vertont: „Alle Beteiligten spielen Popmusik, aber sie passen sich nicht an, machen immer wieder Querschläger rein. Das entspricht den Arbeiten von Dieter Roth. Bildende Künstler oder E-Musiker wollte ich nicht dabei haben, das wäre zu feierlich geworden.“
Die einzelnen Stücke klingen deshalb erfreulich heterogen. Neben Wolfgang Müllers zart berührendem „lache wider willen“ gehört der Beitrag von Mutter zu den Höhepunkten: Zum bohrenden Sound seiner – wie immer umwerfenden – Band intoniert Max Müller (ja, der Bruder!) den absurden Text so lakonisch, selbstverständlich und dennoch irritierend, als wäre es ein Stück von ihm: „Warum ist das so? Was? Das da. Warum das da so ist? Ja. Das da? Das da. Warum das da? Ich weiß es nicht.“
Alles Prätentiöse und Wichtigtuerische, das eine bestimme Sorte Kunst bisweilen so unangenehm macht, fehlt hier. Und selten ist deutscher Pop so originell gewesen. „Viele glauben, man könne nur ernste Dinge ernst nehmen“, behauptet Müller. „Ironie und Humor sind für solche Menschen schon eine Zersetzung und Infragestellung. Ich denke, das ist ein großer Fehler. So lange die Leute nicht schallend darüber lachen, dass Georg Baselitz seit 40 Jahren Bilder malt, die auf dem Kopfstehen, so lange funktioniert das. Wenn die Leute anfangen zu lachen, ist das endlich erledigt.“ Lachen als Befreiung – wie wahr. Und für Pop muss genau das Gleiche gelten.