Labyrinth aus Lug und Trug
Als "krankhaft unterhaltungssüchtig" beschreibt CARL HIAASEN das Florida zwischen betuchtem Abschaum und White Trash, das in keinem Urlaubsprospekt vorkommt
Es gibt zwei Hondas. Das eine besteht aus Art Deco und drolligen Delfinen, Golfplätzen und Beach-VolleybalL Pools und Palmen. Man findet es in den Hochglanzbroschüren der Tourismus-Industrie. Das andere rumort in den Romanen von Carl Hiaasen. Touristen sind hier die schlimmste GeißeL Sonnenhungriges, spaßgeiles, ignorantes Pack, in seinem Schlepptau ein Heer von Parasiten und Profiteuren. „Raflzähne“, wie sie Skink nennt, ein Ex-Gouverneur, der sich selbst in den Everglades ausgewildert hat und von dort aus mit List, Tücke und Terror den Fortschritt bekämpft. Einer der wenigen Helden in Hiaasens Welt der Perversitäten. Das Personal, mit dem Carl Hiaasen seine grimmig-komische Crime Fiction bevölkert, muss er nicht lange suchen. Als früherer Reporter und heutiger Kolumnist des „Miami Herald“ kennt der 48-Jährige die Grundstücksspekulanten und Immobilienhaie, die korrupten Politiker und Richter, die Pusher und Pimps besser, als ihm lieb ist Gelegentlich stößt er bei der Recherche an Grenzen legalistischer Art Die Justitiare des „Herald“ schlagen dann Alarm, und Hiaasen muss das knirschend Konkrete ins scheinbar Fiktive kehren. Der Roman als Auffangbecken für die Frustrationen des journalistischen Alltags, gewürzt mit harten Fakten und getragen von gesundem Hass für die Verantwortlichen der (nicht nur) ökologischen Misere. Gerodete Orangenhaine und trockengelegte Mangrovensümpfe säumen Hiaasens Handlungspfade ebenso wie jene Errungenschaften, die an deren Stelle traten: Tankstellen und Tattoo-Studios, Hundesalons und Trailer Parks. Genutzt von Leuten, die irgendein Traum hierhergetrieben hat Der vom ruhigen Lebensabend, vom Durchhängen oder vom schnellen Reibach. Kleine Fische, die Hiaasen en passant ins Netz gehen. Opfer ihrer eigenen Blindheit vom Autor eher mideidig ins Verderben geschickt. So werden ein paar grellbunt gekleidete Pensionäre schon mal einem verhätschelten Riesenalligator zum Fraß vorgeworfen. Doch geht Carl Hiaasen mit dem White Trash des Sunshine State noch vergleichsweise milde ins Gericht Einen schonungsloseren Umgang pflegt der Florida-Keys-Bewohner, dessen Familie vor drei Generationen aus Norwegen einwanderte, mit den widerwärtigsten Auswüchsen menschlicher Existenz. In „Sick Puppy“, einer Groteske um Dognapping und ein eigenwilliges Nashorn, nimmt Hiaasen den betuchten Abschaum ins Visier, der zum Wochenendvergnügen mit Tommyguns in Gehegen Jagd macht auf ausgediente Zootiere. Keine Erfindung, leider. Ein Untersuchungsausschuss des Staates Florida nahm sich mehrerer solcher Abschuss-Areale für Lustkiller an, sah sich aber mangels gesetzlicher Grundlagen außerstande, dagegen einzuschreiten. Truth is sicker than fiction. Die Realität, so Hiaasen, habe seine Fantasie noch stets überboten: „It’s very hard to stay ahead of the curve of weirdness in this place.“ Ganz Florida sei „krankhaft unterhaltungssüchtig“. Kein gutes Pflaster für einen Satiriker, wenn die herrschenden Verhältnisse beinahe jeder Beschreibung spotten. Und so setzt Carl Hiaasen immer noch einen drauf, im Wettlauf mit dem Wahnsinn. Sein neues, neuntes Buch heißt „Basket Gase“ und schlägt etwas aus der Art Erstmals erzählt Hiaasen in der ersten Person und schlüpft in die Rolle eines Nachrufschreibets, den der mysteriöse Todesfall eines Rockstars in ein Labyrinth aus Lügen und Intrigen lockt Jack Tanner, so sein Name, laviert sich durch ein Minenfeld redaktioneller Zuständigkeiten, hält sich Konkurrenz vom Leib, schnüffelt in Bestattungsunternehmen und im Musiker-Milieu, wird von der schrillen Witwe des Sängers in die Irre geführt und von dessen Schwester umgarnt. Kein barockes CARL HIAASEN beschreibt die Frustration, BILL MOODY den Jazz – die Kunstköpfe im JuliChaos diesmal, keine apokalyptischen Szenarien wie in „Tourist Season“ oder „Stormy Weather“, beide bei Goldmann auch auf deutsch erschienen. Der kluge, fintenreiche Erzählstil von Elmore Leonard, mit dem Hiaasen gut befreundet ist, blitzt indes wieder öfter auf. Was über manches Klischee hinwegrettet, das der Schriftsteller bedient, wenn sich sein Alter ego im Koordinatensystem des Musikgewerbes bewegt. Merkwürdig, wo Hiaasen doch Roger McGuinn und Warren Zevon zu seinen Kumpels zählt Mit letzterem hat er sogar schon Songs verfasst, darunter ganz aktuell einen titeis „Basket Case“, zu finden auf Zevons neuer LP „My Ride ’s Here „. Zimperlich geht es in Carl Hiaasens Florida nie zu, die Charaktere sind hartgesotten, die Plots weichgekocht. Ob er mehr Chronist oder Belletrist sei, vermag der Erfolgsautor nicht zu sagen. Realist sei er nur bedingt, denn die scumbags in seinen Geschichten kriegen, anders als im wirklichen Leben, ihren gerechten Lohn. Wie die „Tourons“, wie Hiaasen Touristen in Anspielung auf morons (Idioten) nennt Darüber dass Exemplare dieser marodierenden Spezies ausgerechnet seine Bücher als Strandlektüre missbrauchen, kann der Mann nicht lachen. Zu bedrohlich, die Lage. Wolfgang Doebeling