La Bohème – Der in Frankreich lebende britische Songwriter und Kulturpessimist Matt Elliott beschwört den Zerfall
Nach dem Sieg von Nicolas Sarkozy bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich stellte der in einem kleinen französischen Dorf lebende britische Songwriter Matt Elliott einen Song mit dem Titel „La Mort De La France“ auf seine Myspace-Seite. „Ich glaube wirklich, dass das Wahlergebnis den Tod all dessen besiegelt, was mal gut war an Frankreich. Zum Beispiel, dass dein Leben nicht nur aus deinem Job bestand. Die 35-Stunden-Woche ließ dir immer noch genug Zeit für Hobbies und Familie. Aber dieses Modell ist wohl endgültig gescheitert.“
Mit Scheitern kennt Elliott sich aus. Als er sein letztes Album „Drinking Songs“ aufnahm, wollte er eine leichte, fröhliche Platte machen. Heraus kamen neuerdings düstere Visionen und Depressionen, durchzogen von einer Faszination für den Verfall. Aufgehellt wurde das Album nur durch eine mit 2oer-Jahre-Nostalgie gespeiste Gaslaterne. „Aus irgendeinem Grund habe ich mir in den Kopf gesetzt, dass zwischen den Kriegen die beste Zeit für Künstler gewesen sein muss. Da konnte man grenzenlos experimentieren.“
Die Boheme-Atmosphäre hat Elliott, der früher als Third Eye Foundation eher trip-hoppige Sounds produzierte, für sein neues Album „Failing Songs“ beibehalten. In den Stücken geht es weniger um das individuelle Scheitern, sondern um das des politischen und sozialen Systems. Und in gewisser Weise auch um das Misstrauen gegen amerikanisch geprägte Popkultur und ihre nie eingelösten Versprechen. „Das beste Beispiel für die heutige amerikanische Kultur ist der Film ,City Of Angels‘, das Remake von ,Der .Himmel über Berlin‘ – in seinem Kitsch und seiner Einfalt unglaublich deprimierend. Ich meine, der ursprüngliche Delta Blues war großartig, aber der verwässerte ja auch und wurde zu diesem schwülstigem white men’s blues. Alles wird pervertiert und zerstört.“
Vielleicht sind amerikanisch geprägte Ästhetiken mittlerweile einfach verbraucht, taugen nicht mehr zur Repräsentation einer Gegenkultur – gerade in Zeiten, in denen der politische Feind im Weißen Haus sitzt. Suchen deshalb zurzeit viele Künstler – Elliott eingeschlossen – ihr Glück in osteuropäischer Folklore? „Die politische Dimension spielt sicher eine Rolle. Dazu kommt, dass viele Musiker von den gängigen Pop- und Rock-Formaten gelangweilt sind. Ich kenne zum Beispiel einige ehemalige Elektronik-Künstler, die jetzt LoFi-Folk machen. Wir leben in einer hoffnungslosen Zeit. Es ist alles schon hundertmal dagewesen.“
Da muss man schon mal zu drastischen Mitteln greifen, wie Elliott es in dem Song „Planung Seeds“ tut: „Assassinate a corporate billionaire/ Or their heirs or their heirs or their heirs/ They hold us back and keep us in our place.“ „Das ist natürlich eine extreme Einstellung“, gibt Elliott zu. Aber das war als Witz gedacht, und sollte mir helfen, meine Wut loszuwerden. Solche Aussagen stehen jain einer langen Tradition. Folksongs waren die einzige Möglichkeit des kleinen Mannes, den Kopf des Königs zu fordern, ohne dafür in den Kerker zu wandern.“ Als er den Song zum ersten Mal gespielt habe, hätten die meisten Leute auch darüber lachen können, meint er. „Aber als am Ende der Show ein Journalist auf mich zukam, dachte ich zunächst, der will mich jetzt verhaften. So paranoid bin ich mittlerweile.“