Kurz vorm Desaster
Mit Gutterball zum liebenswerten Clown geworden: Steve Wynn
Eine perfekte Platte? Zwei, sagt Steve Wynn ganz bescheiden, habe er bereits gemacht. 1982 „The Days Of Wine And Roses „mit Dream Syndicate und – gut eine Dekade später – das Gutterball-Debüt. Nicht seine „Lieblingsalben“, aber beide haben „genau das ausgedrückt, was sie ausdrücken sollten“. Und „Fluorescent“, sein letztes Solo-Album, war immerhin noch „ganz nah dran“.
Bekanntlich soll man Dinge, die einmal(ig) schön waren, weil sie sich etwa einer Schnapslaune verdanken, nicht zu wiederholen versuchen. Der Zauber könnte schnell brechen. Steve Wynn hat es mit Gutterball trotzdem probiert. Folgte die Strafe bei den Aufnahmen zu „Weasel“ „Der erste Tag im Studio war grausam. Aber in der nächsten Nacht schafften wir neun Songs. Und waren wieder Gutterball.“ Die Hobby-Band, die sich „wahrscheinlich noch beim zehnten Album einreden muß, daß dies jetzt aber gewiß das letzte ist“, ermöglicht Wynn den Luxus einer Split-Personality, die er auf seinen ersten Solo-Alben („Keroiene Man“, „Dazzling Display“*) nur kompromißlerisch andeuten konnte. „Der Loser, der bei mir nur ein Horror-Bild abgibt, wird bei Gutterball zu einer Art liebenswertem Clown“, illustriert er die Unterschiede an seinem liebsten Sujet. Denn natürlich kann er seinen Kumpels „nicht meine aktuelle Krise aufbürden“. Also: Narrenkappen ja – aber pure Novelty-Show, nein danke! „Leute, die ständig nur Witze reißen und sich dahinter verstecken, sind auch auf der Bühne langweilig. Man möchte schon, daß der Künstler ein Stückchen Seele preisgibt Was wir tun, aber nicht jammernd, sondern mit schwarzem Humor.“ Gutterball sind übrigens immer noch die „Pet Band“ der Black Crowes. Neulich, beim Soundcheck in L.A., tauchte schon wieder ihr Bassist auf und bettelte darum, „When You Make Up Your Mind“ mitspielen zu dürfen. „Ist schon komisch. Musiker, die so dick im Geschäft sind, stecken ihre Nasen lieber in ganz andere Sachen, denkt man. Aber sie sind einfach echte Fans. Als wir zusammen tourten, standen sie jeden Abend bei unserer Show in der Kulisse. Zwei Wochen lang! Sowas würde ich selbst bei meiner absoluten Lieblingsband nie machen.“ Wynn, der Bands lange „haßte, weil sie nur Kompromisse und die Blockierung jeder Vision verkörperten“, schwärmt heute von der „besonderen Chemie“, die nur eine gute Band wie Gutterball produzieren könne. Letzten Sommer ist er nach New brk umgezogen, nachdem alle Hürden aus dem Weg waren: erst eine geliebte Großmutter im Sterben, dann eine Frau, die nicht aus L.A. wegwollte. Auch an seinem neuen Domizil dürfte ihm der Rohstoff für seine und ein paar Gutterball-Songs nicht ausgehen. Auch wenn die Zeiten lange vorbei sind, da er glaubte, ;ine Grenz-Existenz in Bars und Liquor Stores selbst leben zu müssen. „Es reizt mich immer noch, über Leute zu schreiben, die nur ein kleiner Schritt vom Desaster trennt. Jeder hat das ja im Prinzip in sich. Aber die meisten Leute schlagen nur mal einen Abend über die Stränge und machen am nächsten Tag Witze darüber. Keiner will wirklich der Penner sein, der Fulltime-Junkie. Aber alle wollen wissen, wie es wäre – so wie sie bei einem Unfall stehenbleiben und gaffen.“ Jörg Feyer