Kurt Cobain: Das Leben nach dem Tod
Genug der Nachrufe, Schluß mit der feuilletonistisch verbrämten Leichenfledderei. Neun Monate nach Kurt Cobains Tod spricht jetzt die, die dazu wirklich legitimiert ist. Das ROLLING STONE-Interview. Foto: Mark Seliger
Es gab eine grundsätzliche Regel für dieses Interview. „Wenn ich anfange zu weinen“, sagte Courtney einige Wochen vorher am Telefon, „dann stehe ich auf und geh aus dem Zimmer. Du darfst mir das dann nicht übelnehmen.“
Sie weint tatsächlich – irgendwann während der dritten Stunde unserer ersten Interview-Session in einer Hotelsuite in Buffalo. Schockierender wäre vielleicht gewesen, wenn sie nicht geweint hätte. Immerhin spricht sie zum ersten Mal – und bis ins letzte finstere Detail über den Tod von Kurt Cobain, über das wuchernde Seelen-Chaos, das in seinem Selbstmord gipfelte, über ihren eigenen, quälenden Kampf gegen Verzweiflung und Hysterie, über den langen Schatten, den Cobain noch immer auf ihr Leben und ihre Musik wirft.
Aber aus dem Zimmer geht Courtney Love nicht. Sie redet einfach weiter, durch die Tränen hindurch. „In diesem Mantel hier hat er sich umgebracht“, sagt sie, würgt an ihrem Schluchzen und deutet auf eine schwere, braune Jacke neben ihr auf dem Sofa, die sie seit einigen Tagen gegen die Herbstkälte trägt.“Ich hab das Blut abgewaschen. Es ist nicht mal eine sentimentale Angelegenheit. Ich hab einfach einen meiner eigenen Mäntel mitgewaschen.“
Als ich vorschlage, daß wir vielleicht besser eine Pause machen sollten, setzt sie sich abrupt wieder auf und wischt mit einem Kleenex wütend die Tränen weg. „Ich will keine Pause. Es war klar, daß das passieren würde. Lieber so als gar nicht Ich will mich nicht davor drücken. Ich muß da durch.“
Geplant war, daß Courtney Love – derzeit zum ersten Mal seit zwei Jahren auf Tour mit ihrer Band Hole – über Cobains Tod sprechen sollte, und zwar eben dieses eine Mal und dann nie wieder. Aber ganz so isoliert und einmalig kann das Interview (drei lange Sessions in Buffalo und Montreal) gar nicht sein; letztlich ist es nur Teil eines langen, reinigenden Gangs durchs Feuer. Trauerarbeit.
Bei jeder Note, jeder Silbe, die Love in diesen Tagen auf der Bühne singt, klingen in ihrem messerscharfen Gesang die Ereignisse der letzten Monate schrill mit – die tödliche Überdosis ihrer Band-Bassistin Kristen Pfaff, zwei Monate nach Cobains Selbstmord, eingeschlossen.
Nach wie vor – auch jetzt, wo sie Witwe ist – scheiden sich die Geister an Courtney Love wie an kaum einer anderen Gestalt des Rock&Roll. Seit sie Cobain 1990 begegnete (die Hochzeit war dann 1992), hat man sie als eine drogengetriebene Opportunistin an den Pranger gestellt, die sich ihren Ruhm erheiratet hat – und die es, wenn sie über ihr Leben und ihre Musik redet, mit der Wahrheit nicht so genau nimmt. In Wirklichkeit ist sie um einiges komplexer: ein Punk-Fan mit erstaunlichem Pop-Schliff; ein Medien-Schlitzohr, das auf Opfer macht, um sich Tage darauf die Artikel bringen zu lassen; eine äußerst informierte und meinungsfreudige Frau; eine überzeugte Feministin, die im Konzert aber schon mal bissig „He Hit Me (And It Felt Like a Kiss)“ von den Crystals covert; eine Mutter, die sich ehrlich um die Zukunft ihrer zweijährigen Tochter Frances Bean Cobain sorgt.
„Ich habe ein Ziel, das mich am Leben hält“, sagt Love entschieden. „Und da kommen mir keine privaten Angelegenheiten dazwischen.
Wenn mich wer als verrückt hinstellen will – nur zu. Aber wer mich aufhalten will, wird sich die Zähne ausbeißen. Ich arbeite mir den Arsch ab. Ich gebe mein Bestes. Und ich werde weiterhin mein Bestes geben.“ Courtney Love ist Jahrgang 1965, Tochter von Hank Harrison (der zum Team der frühen Grateful Dead gehörte) und Linda Carroll, einer Psychotherapeutin, die letztes Jahr selbst Schlagzeilen machte, als sich eine polizeilich gesuchte Klientin von ihr (Katherine Anne Power, eine Radikale aus den Sechzigern) den Behörden stellte. Courtney war fünf, als ihre Eltern sich scheiden ließen. Sie erlebte eine Zeit mit verschiedenen Stiefvätern (und vier Geburtsurkunden, wie sie sagt), verbrachte als junges Mädchen einige Zeit in Neuseeland, auf einer Farm ihrer Mutter, wurde wegen Ladendiebstahls vorübergehend in ein Erziehungsheim gesteckt, verdiente sich ihre Miete als Striptease-Tänzerin und trieb sich in der Punk-Szene von Liverpool rum.
Sie ist beileibe keine Möchtegern-Musikerin. Als sie 1990 mit Gitarrist Eric Erlandson Hole gründete, hatte sie schon diverse Erfahrungen gesammelt, u.a. bei der Frauentruppe Sugar Baby Doll (mit Kat Bjelland von Babes In Toyland und Jennifer Finch von L7) und auch kurz bei Faith No More. Hole wurden schnell zu einer festen Größe im amerikanischen Underground, vor allem durch zwei Independent-Singles („Dicknail“ und „Retard Girl“) und das 91er Debüt-Album „Pretty On The Inside“.
Nach der Hochzeit mit Cobain allerdings legte Love ihre Band vorübergehend auf Eis. Es folgten zwei turbulente Ehejahre, die mit seinem Tod endeten.
Selbst wenn nun fast neun Monate vergangen sind, die Freundschaft zu Michael Stipe Wunden heilen half, die Konzerte wieder laufen und Frances Bean etwas Sonne in den Tour-Bus bringt – Loves Leben bleibt düster. Ihr Verhältnis zu den beiden verbliebenen Nirvana-Mitgliedern Krist Novoselic und Dave Grohl ist schwierig, wie sie selbst zugibt. „Da gibt es einige Dinge, die man klären müßte“, sagt sie. „Der Draht darf nicht abreißen. Das ist für Frances wichtig, und für mich auch.“
Und das Gefühl der Einsamkeit wächst eher, als daß es nachlassen würde. „Es gab Zeiten, da redete ich viel mit Kurt – wo immer er auch war“, sagt sie nüchtern. „Aber inzwischen ist er wirklich weg. Ich dachte immer, um ihn zu trauern wäre egoistisch, weil er sich dann schuldig fühlen würde. Daß es das beste wäre, für ihn zu beten und ihm Freude zu zeigen, damit er sie spürt.
Aber inzwischen hab ich das Gefühl, er hat sich aufgelöst, er ist weg. Nichts mehr ist übrig, rein gar nichts. Nicht mal was, worüber man reden könnte.“
Nach allem, was in diesem Jahr passiert ist: Ist es nicht ein komisches Gefühl, auf Tour zugehen und Rock ’n‘ Roll zu spielen? Oder ist es genau das Richtige?
Es war leichter als zu Hause zu bleiben. Mir ist es jedenfalls so lieber. Ich hoffe, daß ich keinen Mitleids-Bonus kriege – und das kann ich nur erreichen, indem ich beweise, daß ich wirklich etwas zu bieten habe. Um nichts anderes ging es mir mit dem zweiten Album „Live Through This“. Mir kommt es normal vor. Man setzt einfach einen Fuß vor den anderen. Ich denke nicht dauernd drüber nach, was alles passiert ist. Ich weiß nicht mal, was nun richtig wäre: nachzudenken oder eben nicht nachzudenken, oder was ich überhaupt korrekterweise tun sollte. Es gibt ja keine Anleitung dafür.
Kommen nicht viele Leute bloß in die Konzerte, um dort eine berühmte Witwe zu sehen?
Wenn Kurt noch leben würde, war das doch nichts anderes. Glaub nicht, ich hätte bei unserer Heirat nicht gewußt, worauf ich mich einlasse… ich meine – diese ganzen Zweifel an meiner Glaubwürdigkeit. Als das ernst wurde zwischen mir und Kurt, da sagte mir Kim Gordon (von Sonic Youth): „Weißt du, was passieren wird?“ Sie haben mir alles, alles vorhergesagt. Kurts Tod ausgenommen natürlich. Aber es gab die Prophezeiung von Julie Cafritz (die früher mit Courtney zusammenspielte), er werde eine Überdosis nehmen. „Ihr werdet Junkies werden. Ihr werdet heiraten. Du wirst auch eine Überdosis erwischen. Und mit 35 wirst du dann ein Comeback probieren.“ Das war ihr schlimmstes Szenario.
Und ich sagte: „Jaja, weiß ich alles. Es ist mir scheißegal. Ich liebe diesen Kerl einfach. Für mich ist er der Märchenprinz. Ich zieh das durch. Und zwar beides: die Geschichte mit ihm und mein eigenes Ding.“
Fühlst du dich verletzlich vor Publikum, grade jetzt?
Manchmal denke ich, das Image, das man auf der Bühne ausstrahlt, ist das genaue Gegenteil von dem, wie man wirklich ist. Im Fall von Kurt hieß es: „Fuck you!“ Und sein größtes Problem im wahren Leben war letztlich, daß er genau diesen Satz nicht über die Lippen brachte. „Fuck you, Courtney. Fuck you, Gold Mountain (Nirvanas Management). Fuck you, Geffen (die Plattenfirma) – ich mach jetzt einfach, was ich will“
In meinem Fall heißt es: „Legt euch ja nicht mit mir an.“ Im wahren Leben bin ich supersensibel. Aber niemand hält mich für verletzlich, weil ich mich so nicht zeige.
Haben denn die Songs auf „Live Through This“ durch das, was passiert ist, eine neue Bedeutung bekommen?
Ja, natürlich. Und wenn ich sie höre… schau, ich hab mit einem Menschen zusammengelebt, der jeden Tag sagte, er würde sich umbringen – und es ist ja nicht so, daß ich irgendwann nicht mehr hingehört hätte. Ich tat alles, um es zu verhindern. Was einige Hysterie meinerseits bedeutete. Viel Geschrei, viel Gebrüll. Viele Tritte gegen Wände, viele zerdepperte Faxgeräte und Telefone. Ich glaubte langsam, mein Lebenszweck sei sehr edel: mich um diese beiden Menschen zu kümmern, meinen Mann und mein Kind, und dafür zu sorgen, daß sie am Leben blieben. Und das war ja auch sinnvoll. Ich hatte kein Problem damit.
Deswegen mußtest du aber auch deine eigene Band zwei Jahre lang auf Eis legen. Hast du dich da um etwas betrogen gefühlt?
Da steckt schon viel Zorn in mir. Vielleicht ist es schrecklich, so was auszusprechen, aber – ja, diese ganze Passivität macht mich im nachhinein zornig. Und ich fühlte mich betrogen, obwohl ich wußte, daß ich mich auf eine Beziehung einließ, in der eine gewisse mütterliche Energie von mir erwartet wurde. Und die wurde ja nicht einfach aus mir herausgesogen, ohne Gegenleistung. Das lief schon gegenseitig.
Ich weiß noch, wie wir mal in so ’ner Therapiegruppe waren, in einer Reha-Klinik. All die Paare warteten, was wir zu sagen hätten. Und wir dachten: „Scheiße, die wirken alle so blutleer hier.“ Was soll denn das alles, wenn man nicht auch wilde Leidenschaft hat, Momente von Intensität und Schönheit? Mir war nie besonders langweilig mit Kurt. Obwohl mich seine passiv-aggressive Art manchmal ankotzte.
Was mich bei eurem Konzert berührte, war die Tatsache, daß die Titel eures ersten Albums vor Wut brüllten, während die von „Live Through This“ offenbar aus einer Folterkammer kamen, aus der man nicht entfliehen konnte.
Die Folter lag darin, daß ich so gar keine Entscheidungsfreiheit mehr hatte. Mein Leben war total paranoid und schräg. Der Feind war diese frenetische Welt draußen, die ich so entsetzlich fand. Ich wollte, daß Kurt aufhört, all die Artikel über ihn zu lesen; ich besorgte ihm keine Zeitschriften mehr. Aber er schlich sich davon und kaufte sie selbst. Er wurde süchtig danach, nach jeder Stichelei, jeder Karikatur, jeder Interpretation. Er war einer, der es nicht ertrug, wenn man ihn falsch beschrieb. Und wenn du dann zum kulturellen Bezugspunkt für jeden Scheißdreck wirst… zumal wenn du davor völlig unbemerkt gelebt hast. Er wollte populär sein, er wollte es den Leuten recht machen, er wollte beliebt sein.
Einmal fand er einen Stapel Zeitschriften, die ich versteckt hatte. Wir haben uns drum geprügelt. Ich versuchte sie ihm wegzureißen, und er lag am Boden und riß Seiten aus dem Heft. Wie ein Tier, das man in die Ecke getrieben hat. Er schlug nach mir – „Geh weg, geh weg!“ Ich konnte ihn nicht aufhalten. Ich sagte zu ihm: „Es ist alles bloß eine schwarze Wolke. Es geht vorbei.“ „Und wie das vorbeigehen wird! Ich werde keine verdammte Musik mehr machen. Ich werd nicht mehr da sein, um zu sehen, wie es vorbei geht.“ Halt so, wie er immer redete. Aber wenn dann ein Anruf kam, dann spielte er wieder brav mit, weil er Angst hatte.
Es ist fast genau ein Jahr her, daß ich ihn interviewt habe, und er sagte damals, er sei glücklicher als je zuvor. Und ich hab ihm das, ehrlich gesagt, auch geglaubt.
In dem Moment war’s wahrscheinlich auch ehrlich gemeint. Aber der Tenor war trotzdem immer: „Ich bin nur deinetwegen und Frances noch am Leben.“ Schau dir doch die Interviews an, die er gab. Er redet jedesmal, daß er sich den Kopf wegblasen werde.
Am Tag nach der Geburt unserer Tochter brachte er eine Schußwaffe mit ins Krankenhaus. Er sollte am nächsten Tag zum Reading Festival nach England fliegen. Er sagte Sachen wie „Ich geh vor. Du darfst es nicht als erste tun. Ich geh vor. Ich hielt dieses Ding in der Hand, und ich hatte das Gefühl, von dem in „Schindlers Liste“ die Rede ist: Ich werde nie wissen können, was danach mit mir geschieht. Und was würde aus Frances? Schon reichlich brutal, nicht wahr: „Deine Eltern? Die starben am Tag nach deiner Geburt.“
Ich versuchte es ihm auszureden. Und er sagte: „Fuck you, du kannst dich nicht einfach drücken. Ich tu’s.“ Aber am Ende rückte er die Pistole heraus, und Eric (Erlandson) tat sie weg. Kurt ging dann in irgendein anderes Zimmer des Krankenhauses, er hatte eine Dealerin zu sich bestellt. Im Krankenhaus starb er fast. Die Dealerin sagte, sie hätte noch nie jemanden so tot gesehen. Ich sagte: „Warum hast du denn keine Schwester geholt? Hier sind doch überall Schwestern.“
Das war am 19. August ’92. Er ertrug diese Lynn-Geschichte nicht (ein Portrait Courtney Loves von Lynn Hirschberg in der Zeitschrift „Vanity Fair“). Ich will das nicht überbewerten, aber die Kausalität liegt auf der Hand.
Und doch verlor Kurt nie den Glauben an seine musikalischen Fähigkeiten. Nicht mal in der Woche vor seinem Tod.
Ich hab ihn wirklich nie Schlechtes drüber reden hören. Das war der eine Bereich, den er ausnahm. Ich saß oft da, und dieser Mann spielte Songs für mich. Er sagte mir, die zweite Platte der Meat Puppets sei großartig. Ich konnte sie nicht ausstehen. Dann spielte er mir die Songs vor – mit seiner Stimme, auf seine Art, in seinem Timing. Und ich verstand, daß er recht hatte.
Ich hab ihn nur ein einziges Mal um ein Gitarrenriff für einen meiner Songs gebeten. Da war er in einem Nebenzimmer, und ich hörte ihn an „Heart Shaped Box“ arbeiten. Er schrieb den Song in fünf Minuten. Klopf, klopf, klopf… „Was ist?“ – „Brauchst du das Riff wirklich?“ – „Fuck you!“ – Türknallen. Er war da ein großer Geheimniskrämer.
Wie ging’s ihm auf der Europa-Tournee, bevor er in Rom die Überdosis nahm? War das ein echter Selbstmordversuch?
Er haßte alles und jeden. Haßte, haßte, haßte. Er rief mich weinend aus Spanien an. Dabei war ich das erste Mal seit ewigen Zeiten mit meiner eigenen Sache, mit meiner Band beschäftigt. Als ich in Rom ankam, hatte er sich gewaltig ins Zeug gelegt. Er hatte Rosen besorgt. Er hatte ein Stückchen vom Colosseum besorgt, weil er weiß, daß mich die römische Geschichte fasziniert. Ich trank ein bißchen Champagner, nahm ein Valium, wir löschten das Licht, ich schlief ein. Die Ablehnung, die er da empfunden haben muß, nach all der Vorfreude – ich meine, daß Kurt so auf romantisch macht, das war schon heftig.
Ich drehte mich gegen drei oder vier Uhr morgens zu ihm rüber, und da war er weg. Er lag am Fuß des Betts mit tausend Dollar in der Tasche und einem Zettel, auf dem stand: „Du liebst mich nicht mehr. Lieber sterbe ich, als eine Scheidung mitzumachen.“ Das war alles nur in seinem Kopf. Während der gesamten Zeit unserer Beziehung war ich vielleicht 60 Tage von ihm weg. Ich mußte auf Tour gehen. Ich mußte mein Ding machen.
Ich kann mir schon vorstellen, wie’s passiert ist. Er hatte 50 Pillen geschluckt – wahrscheinlich hatte er vergessen, wie viele es waren. Aber ein selbstmörderischer Impuls war das sicher. Immer rein mit dem Zeug, rein, rein.
Oh verdammt, Mann. Ich hätte mich einfach für ihn hinlegen sollen, auch wenn ich keine Lust hatte. Alles, was er gebraucht hätte, war ein bißchen Sex. Dann war er zufrieden gewesen. Aber bei Kurt mußtest du dich ganz hingeben. Er merkte sofort, wenn man nicht ganz bei der Sache war. Sex war etwas ganz und gar Heiliges für ihn. Hingabe war sein Aphrodisiakum.
Also -ja, er hatte tatsächlich eine Nachricht hinterlassen. Man sagte mir, ich sollte darüber lieber den Mund halten. Wie hätten die Medien ihm auch helfen sollen?
Was genau passierte, nachdem er aus dem Koma erwachte und wieder nach Seattle zurückging?
Daß ich am 18. März ausrastete (Love rief die Polizei, nachdem Cobain sich mit einem Gewehr in ein Zimmer eingeschlossen hatte.), lag daran, daß die Geschichte in Rom grade eine Woche her war; ich hielt es einfach nicht mehr aus. Als er aus Rom ankam und auf Droge war, bin ich ausgeflippt. Könnte ich eine einzige Entscheidung in meinem Leben zurücknehmen, dann wäre es die. Daß ich einen Haß kriegte, weil er so völlig high nach Hause kam. Ich wünsch mir bei Gott, ich hätte reagiert wie immer, hätte es toleriert. Er muß sich total wertlos gefühlt haben, als ich so auf ihn losging. Und ab da ging’s steil bergab. Ich war zornig, und es war wirklich das erste Mal und es tut mir leid, wo immer zum Teufel er jetzt ist. Und wenn die Leute immer fragen: „Wo war sie, wo war sie?“ -Ich war in L.A., weil man mir gesagt hatte, ich solle besser gehen. Die laufen ein und stellen fest: „Dominante Frau, schafft sie weg.“ Ich konnte ihm nicht mal mehr Goodbye sagen. Ich wünsch, bei Gott…
In den Streitereien zwischen dir und Kurt waren Schußwaffen ein wichtiges Thema, und die Polizei nahm ihm dauernd welche ab. Aber als ich ihn im Interview damals gezielt auf Waffen ansprach, meinte er, es gehe nur um Zielübungen.
Da hat er dir ins Gesicht gelogen. Er hat in seinem ganzen Leben keine Schießübungen gemacht. Einmal sagte er: „Ich geh jetzt schießen.“ Klar. Auf was denn?
Doch, es war ein Thema bei uns. Ich selbst fühlte mich sicherer mit einem Revolver. Aber als er dieses Uzi-Ding anbrachte… „Hey, ist das ein Spielzeug, Kurt?“ Oh ja, Waffen sind gefährlich, wenn du’s mit zwei instabilen Leuten zu tun hast – einer klinisch depressiv, einer zeitweise selbstmordgefährdet und definitiv abhängig.
Es gibt ja auch die berüchtigten Nirvana-Photos, die nach seinem Tod auftauchten, wo er sich eine Gewehrmündung in den Mund hält.
Dazu hab ich eine bezeichnende Geschichte. Kurt hatte keine echten Freunde; mein Kreis von Freunden und Freundinnen ist größer. Und Kurt hörte mich immer mit ihnen telefonieren, lachen und reden… Also machte er immer ein Mordsbrimborium um seine Freunde, und in Paris hatte er einen getroffen, der hieß Yuri. Er provozierte mich immer, ich sollte sagen, daß Yuri ein Stück Scheiße sei. Ich sagte nie ein Wort, aber er wollte mich als jemanden hinstellen, die ihm dreinredet. „Los, sag, daß er ein Stück Scheiße ist! Sag es.“
Er freundet sich also mit diesem Yuri an und macht mit ihm diese Photo-Session mit dem Gewehr im Mund. Und dann passiert Rom. Ich schaue auf die britischen Boulevard-Titelseiten, und da ist Yuris Bild. Ich versteckte die Zeitungen; Kurt davon zu erzählen, hätte ihn zu sehr verletzt. Er hielt Yuri für seinen Freund, und dieser Freund ruiniert alles.
Hat Kurts Abschiedsbrief Sinn für dich gemacht? Hat es ihm irgendeine Art Frieden verschafft?
Er schrieb mir außer dem Abschiedsbrief noch einen Brief. Er ist ziemlich lang. Ich hab ihn in ein Schließfach getan; vielleicht zeig ich ihn Frances mal – vielleicht. Was er da schreibt, ist ziemlich kaputt. „Du weißt, daß ich dich liebe, und daß ich Frances liebe. Es tut mir so leid. Bitte folg mir nicht nach.“ Der Brief ist so lang, weil er sich dauernd wiederholt „Es tut mir leid, es tut mir leid, es tut mir leid. Ich werde da sein, ich beschütze dich. Ich weiß nicht, wohin ich jetzt gehe, ich halt’s nur hier nicht mehr aus.“
Es steckt mit Sicherheit auch Narzißmus in seiner Tat. Aber er dachte, er täte das Richtige. Wie konnte er das nur denken? So kaputt war er. Wenn ich nur zwei Worte mit ihm hätte reden können… Andererseits hätte er dann eben mit 34 oder 35 eine Überdosis genommen. Aber er hätte diese sieben Jahre gehabt, um sich zu entscheiden, ob er sein Leben lang Junkie bleiben will. Oder was immer es zum Teufel war, was er wollte.
Im März hast du die MTV Movie Awards zusammen mit Michael Stipe besucht. Wie hat er dir in der Zeit nach Kurts Tod geholfen?
Michael hat immer alle meine Manöver durchschaut. Er weiß sofort, wenn ich Drogen nehme. Er ist schlau und gewitzt. Und wahrscheinlich weiß er gar nicht, wie lebenswichtig er für mich war. Aber das war er. Es war die reinste Telepathie, wie er immer im richtigen Moment anrief.
Zuerst dachte ich, er bedauert mich. Und ich laß mich nicht gern bedauern. Aber dann schickte er eine Botschaft für mich ins Internet, so ungefähr: „Ich bin nicht Florence Nightingale. Ich liebe dich. Du wirst es allen zeigen. Es ist kein Mitleid, was ich für dich empfinde.“
Ich bewundere ihn. Und zuerst hab ich zuviel von ihm verlangt. Ich wollte in meinem Testament verfügen, daß er Frances zu sich nimmt, falls ich sterbe. Aber darauf wollte er sich nicht einlassen. Wahrscheinlich dachte er, wenn er einwilligt, bring ich mich sofort um. Aber ich weiß, daß seine Gefühle mir gegenüber echt sind. Und ich würde alles tun, um diese Liebe zu erhalten.
Für deine Kommunikation via Internet bist du inzwischen berüchtigt. Was findest du an einem Computernetz so furchtbar interessant?
Es war monatelang die einzige Person, mit der ich sprach. Es hat mich einfach reingezogen. Es war so das Dunkel, in das man hineinruft. Und nachdem ich sonst mit niemandem sprach, mußte es natürlich irgendwann einmal Ärger geben.
(Ein dünnes Lächeln zieht über ihr Gesicht.) Ich hielt es für normal, Botschaften übers Netz zu schicken. Ich weiß, daß Michael Stipe Botschaften ablegt, und Perry Farrell und Trent Reznor tun das auch.
Steht da nun irgendwas, was du online gesagt hast, das du bereust?
Nichts Konkretes. Daß sich die Computer-Experten über meine schlampigen Eingaben aufregen, ist lächerlich. Ich bin ja keine Sekretärin. Meine Tastatur klebt Da ist ein Brandloch drin. Da ist Babybrei drauf. Mein Y geht nicht. Neulich gab jemand reichlich obszönen Sex-Klatsch über mich ein, und meine Person war deutlich erkennbar gemacht. Und dann heißt es: „Jaja, du lancierst deinen eigenen Sex-Tratsch.“ Seh ich so aus? Jemand sagte mir: „Ich weiß nicht, mit wem Bono verheiratet ist; ich weiß auch nicht, mit wem Eddie Vedder verheiratet ist. Aber von dir weiß ich sogar das Sternzeichen. Hast du kleine Heinzelmänner, die dich in den Klatschkolumnen halten?“ Ganz im Gegenteil. Ich hab zwei ganz große Heinzelmänner, die mich da raushalten sollen. Welcome to my nightmare. Hereinspaziert. Sei mein Freund, aber man wird uns zusammen entdecken. Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt. Man dichtet mir Brustimplantate an und Lippen-Injektionen; ich ficke Stipe und Billy (Corgan von Smashing Pumpkins) und Trent und Perry und wen nicht sonst noch alles.
Bei einem Konzert in New York hast du kürzlich auch David Lee Roth und Bruce Springsteen erwähnt.
Daß die Leute immer noch nicht kapieren, daß ich zu Sarkasmus neige – das haut mich jedesmal wieder um.
Sprechen wir von deinem Leben vor Kurt. Du hast im Tour-Bus heute davon erzählt, wie Frances auf Reisen aufwächst, wie sie glaubt, alle Menschen spielen in einer Band. Welche Erinnerungen hast du an die Umgebung deiner Kindheit?
Leute in gestreiften Hosen um mich herum, und meine Mutter sagt zu mir, ich solle mich benehmen wie der Frühling. Dann wie Sommer und Herbst. Ausdruckstanz. Leute in Zelten, mit wilden Augen, die mein Gesicht bemalen. Ich erinnere mich an ein riesiges Haus in San Francisco und an all die exotischen Freundinnen meines leiblichen Vaters. Wir fuhren die Lombard Street runter in einem Porsche, den mein Vater wohl von Grateful Dead ausgeliehen hatte. Wir zogen dann bald nach Oregon, und ich kam auf eine Montessori-Schule. Da wurde mein Leben dann etwas geregelter. Meine Mutter heiratete wieder und ging ans College.
Es ist ja schon reichlich ironisch, daß -bei all deinen öffentlich breitgetretenen Problemen – deine Mutter eine bekannte Therapeutin ist.
Als „Newsweek“ herausbekam, daß ich ihre Tochter bin, war meine Mutter entsetzt. Denn es gab unter ihren Klienten auch Leute, die mich kannten: „Wenn das dabei herauskommt, dann Gutenacht™“ Dabei war der einzige Rat, den sie mir je gab: „Trag keine engen Pullis. Du siehst sonst billig aus.“ Aber ich will hier nicht öffentlich über das Verhältnis zu meiner Mutter reden.
Es ist, wie es ist Sie hat nicht abgetrieben – nur das zählt. Ich bin hier.
Was waren deine ersten musikalischen Einflüsse?
Ich weiß noch, daß ich mit Platten von Leonard Cohen aufwuchs und dachte: „Ich wünschte, das wäre ich, über die er da singt.“ Ich wollte Suzanne sein, ich wollte „down by the river“ leben. Nachdem ich noch zu jung war, um zu wissen, was ich werden will, wollte ich das Mädchen aus dem Cohen-Song sein. Oder das Mädchen in Dylans „Sad Eyed Lady Of The Lowlands“. Und all die Mädchen, die in Springsteens Songs in New Jersey den Highway runterfahren.
Und dann wurde mir irgendwann plötzlich klar: „Nee, nee, ich will nicht dieses Mädchen sein. Ich will selbst Leonard Cohen sein!“
Und was passierte, ab du den häßlichen Punk entdecktest?
Ich wollte diese unendlich wichtige Platte machen, mich in mein Zimmer einsperren, Led Zeppelin I bis IV auswendig lernen, perfekt spielen können – und dann wieder rauskommen und die perfekte LP aufnehmen. So sah mein Plan aus wäre ich allein gewesen, durch und durch männlich und im Besitz des völligen Durchblicks. Ich stand auf Brian Jones, auf die Sorte Leute, die einfach eine Band durchziehen und alle in den Hintern treten. Aber die ganzen Achtziger über war es ein einziger Alptraum, weil die Frauen dauernd sagten: „Tja, ich könnte mir den Baß von meinem Freund leihen. Wir können im Vorprogramm der Band meines Freundes spielen. Ich kann heute abend aber nicht proben, weil ich mit meinem Freund verabredet bin.“ Uääks!
Woher kommt eigentlich deine Vorliebe für diesen angeschrägten Püppchen-Look? Und wo soll da das Feministische sein?
Ich hoffe – ganz, ganz tief drin -, daß ich ein paar psychosexuelle Raster der Rockmusik verändern kann. Nicht, daß ich mich so begehrenswert fände. Ich hab mir dieses Lolita-Ding nicht rausgesucht, weil ich so heiß wäre. Es ist Ironie. Andererseits – da machte mich ein Freund drauf aufmerksam – hatte ich immer schon kleine Baby-Teetassen und Klötzchen und Spielzeug. Vielleicht hat das damit zu tun, daß ich als Kind nie richtige Mädchen-Schuhe bekam. Es gab zu Hause einen Riesenkrach, als ich darauf bestand, Ballettstunden zu nehmen. Nichts durfte geschlechtsspezifisch sein.
Fühlst du dich inzwischen auf diesen Look festgelegt?
Manchmal würde ich auf der Bühne gern ganz normale Klamotten tragen. Dann aber frag ich mich, ob ich’s überhaupt noch hinkrieg, wenn ich versuche, weniger extrem zu sein. Ich brauche mein Kostüm, mein Ding. Denn dieses Ding ist eine Message. Natürlich
verstrickt man sich dann schnell in diese andere Geschichte: daß eine Frau attraktiv sein muß, um rüberzukommen.
Wieviel von deinen ersten Sachen mit Hole – vor allem Joni Mitchells „Both Sides Now“ (das bei Hole „Clouds“ heißt) – waren eine Rache für die Fehler von Hippie-Eltern?
Den Song mußten wir in dem verdammten Familien-Volvo unisono singen. Ich fühlte mich total erniedrigt dabei. Die Cover-Version ist tatsächlich ein Seitenhieb auf meine Mutter, so sehr ich Joni mag.
Aber so wie die Baby-Boom-Generation mit Dean Martin und seiner Alkohol-Werbung aufwachsen mußte, so mußten wir mit dieser Scheiß-Idealisierung aufwachsen, die im Leben nicht hinhauen konnte; und das hat Zyniker aus uns gemacht – oder einen Haufen Drogensüchtiger. Von den Freunden meiner Eltern ist keiner an einer Überdosis Acid oder Marihuana gestorben. Aber die Masse derer, die Drogen spritzen – das ist meine Generation. Und in diesem Umfeld eine Kultfigur zu werden, ist etwas, wovor ich Angst habe. Und Kurt hatte am allermeisten Schiß.
Er rief mich aus Spanien an. Er hatte in Madrid gespielt und war durchs Publikum gelaufen. Die Kids rauchten Heroin auf Alufolien, und sie riefen ihm zu: „Kurt! Smack!“ und hielten den Daumen hoch. Er weinte, als er mich anrief. Wegen solcher Dinge hat er behauptet, er nehme das Zeug nicht. Weil er keine Kultfigur für Drogen werden wollte. Und jetzt ist er’s doch.
Wie drogenfrei bist du denn selbst?
Ich nehme Valium. Percodan. Heroin mag ich nicht. Macht mich zum Arschloch. Macht mich häßlich. Mochte es nie. Hasse Nadeln. Wenn ich es nahm, dann – streckt ihren Arm her und dreht den Kopf weg. Aber ich habe welches genommen. Nach Kurts Tod.
Hattest du überhaupt noch Mitgefühl und Trauer übrig, als dann auch noch eure Bassistin Kristen Pfaff im Juni an einer Überdosis starb?
Ich hab mich kaum noch damit auseinandersetzen können, Mann. Nur als ich mit ihrer Mutter sprach. Ich hatte keine Worte für… – wenn man sein Kind verliert. Ich mußte hin und Eric von der Leiche wegziehen. Kristen war lange mit ihm zusammengewesen. Er hatte schon früher Badezimmertür für Badezimmertür aufgebrochen, wenn sie sich eingeschlossen hatte. Er hatte die Tür von Dealern eingetreten.
Bei den Zugaben habt ihr auf dieser Tour auch unveröffentlichte – und nicht aufgenommene – Songs von Kurt gespielt. Gibt es davon viele?
Es gibt drei komplett fertige Songs. Und dann noch zehn weitere, und viele Gitarrenfiguren. Einer heißt „Opinions“, der ist schon ein paar Jahre alt; einer geht „Talk to me / In your own language, please“.
In Rio, als Nirvana dort beim „Hollywood Rock Festival“ spielten (im Januar 1993), nahm ich gemeinsam mit Kurt einiges auf. Aber ich kann das natürlich nicht veröffentlichen. Egal, wie künstlerisch korrekt es wäre. „Scheiß drauf, scheiß auf das, was die Leute sagen!“ Nein, ich kann nicht. Ganz egal auch, wie normal es sein mag, wenn dein Mann etwas zu deiner Arbeit beiträgt unser Fall liegt anders. Und jetzt wäre es noch unanständiger.
Was schreibst du selbst gerade?
Was die Inhalte angeht, bin ich ratlos. Einer der Gründe, warum ich in diesem Gespräch so aufgewühlt war, ist, daß ich über ES nicht reden will. Ich gehe zu keinem Therapeuten. Ich sprech nicht drüber. Und wenn’s dann doch hochkommt, dreh ich irgendwie durch.
Aber läßt es sich vermeiden, über ES zu schreiben? Direkt oder indirekt?
Ich weiß es nicht… Bei diesem Interview muß ich ehrlich sein. Vorsichtig, aber ehrlich. Bei der nächsten Platte muß ich vorsichtig, vorsichtig, vorsichtig sein. Wenn du das Blut deines Mannes im Gesicht hattest, wie sollst du darüber schreiben? Wenn du in dem Mantel rumläufst, in dem er erschossen wurde, wie sollst du überhaupt schreiben?