Kunst und Kuchen
Plagiatsklagen dienen mitunter dem Ziel, am Erfolg des Beklagten teilzuhaben. Jüngster Fall: die Causa Coldplay/Satriani.
Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass ausgerechnet Coldplay nun offiziell eines Plagiats bezichtigt werden. Spätestens seitdem Krisen-Album „XS^Y“ erzählt Chris Martin jedem, unaufgefordert, dass Coldplay vor allem kluge Diebe seien. Auf besagtem Album mussten Kraftwerk die Nutzung einer Melodie genehmigen, aber natürlich steckt viel mehr in Martins Koketterie. Der Sänger und Songschretber der derzeit erfolgreichsten Rockband derWelt weiß, dass er nicht das Genie seiner Vorbilder hat, sondern eher ein Mann des Volkes ist. Musik für alle! So lautet hier der Auftrag, und ein bisschen kämpft Martin damit. Ohne Radiohead würde es Coldplay nicht geben, eine richtig große Platte stünde noch aus – solche oder ähnliche Sätze hörte man auch in den Interviews zu „Viva La Vida“. Eine Platte, für deren Gelingen Coldplay die Räuberleiter von Brian Eno brauchten.
Jetzt wird es also ein bisschen Ernst. Gitarrenvirtuose Joe Satriani will sein 2004 auf dem Album „Is There Love In Space“ veröffentlichtes Lied „If I Could Fly“ in dem Titellied des aktuellen Coldplay-Werks wiedererkannt haben. In einem vielfach veröffentlichten Interview erzählt er, seine Fans hätten empörte E-Mails geschrieben, ihm selbst sei es wie ein Dolch ins Herz gefahren. Anfang Dezember hat er Klage eingereicht. Er wolle ja gar keinen Arger, sondern nur seine Kunst schützen. Da Coldplay aber nun mal nicht gesprächsbereit seien, müsse nunwohi ein Richter entscheiden. Mit „gesprächsbereit“ meint Satriani: Coldplay haben nicht gleich beim ersten Anruf das Portemonnaie aufgemacht.
Denn natürlich geht es nicht um die Kunst, sondern um Geld. Die Wahrheit ist: Satriani hat keinen Grund, über „Viva La Vida“ traurig zu sein. Er muss sich freuen, weil die unbestreitbare Ähnlichkeit der betreffenden Passagen seinen Anwälten einen Feldzug ermöglicht, der einen satten Geldregen zulasten Coldplays zur Folge haben könnte.
Schließlich zahlt bei Plagiatsvorwürfen oft der Beklagte. Ray Parker Jr. hat sich seinerzeit außergerichtlich mit Huey Lewis geeinigt, der die Ähnlichkeit der Playbacks von „Ghostbusters“ und „I Want A New Drug“ anzeigte. Die Rolling Stones haben k.d. lang und Ben Mink bei „Anybody Seen My Baby“ nachträglich als Co-Autoren aufgeführt, weil die Nähe zu deren „Constant Craving“ nicht zu leugnen war. Und George Harrison verlor viel Geld in einem Streit darüber, wessen geistiges Eigentum eine in „My Sweet Lord“ verwendete Melodie ist.
Besonders hart traf es kürzlich Gary Moore, über den nach vielen Jahren vor einem deutschen Gericht das Urteil erging, er habe das Leitmotiv von „Still Got The Blues“ – eine eher gewöhnliche Melodie über einer eher gewöhnlichen Akkordfolge — bei einer Krautrock-Band aus Offenburg abgeguckt. Das angeblich bestohlene Lied ist offenbar nie auf CD erschienen, Moore müsste es etwa um 1974 im Konzert oder als Live-Mitschnitt des öffentlich-rechtlichen Radios gehört — und sich bis zu seiner eigenen Komposition 1990 gemerkt haben. Wie man hört, hat Moore zu jener Zeit in Bonn gelebt; es gibt angeblich sogar Zeugen, die ihn auf Konzerten der betreffenden Band gesehen haben wollen. Ein echter Thriller.
Wie recht hat denn nun Joe Satriani? Dazu die Fakten: Satriani behauptet, die Strophe von „Viva La Vida“ sei im Kern identisch mit dem Refrain seines Instrumentals „If I Could Fly“. Die Tonarten sind unterschiedlich (As bzw. D), aber das ist unerheblich. Die Akkordstruktur ist dagegen fast dieselbe: Coldplay spielen jeweils eintaktik die Akkordstufen 4-5-1-6 (Des/Es/As/f-Moll), Satriani spielt 2-5-1-6 (e-Moll / A / Dmaj7 / h-Moll). Die jeweils ersten Akkorde sind nicht gleich, aber verwandt: Während Coldplay die Subdominante des Grundakkords wählen, spielt Satriani deren Moll-Parallele. Sinn ergibt der Streit natürlich nur mit der darüber gespielten Tonfolge, die – durchaus markant — auf der großen Septime (Coldplay) bzw. der None (Satriani) beginnt und sich von dort schön summend nach unten verschiebt. Man braucht die Theorie nicht — jeder Laie erkennt die Ähnlichkeit der Passagen, zumal das Tempo ähnlich ist.
Tatsächlich ist der umstrittene musikalische Erguss nicht ganz so herkömmlich wie jener, für den Gary Moore nun zahlen muss. Aber einzigartig ist er mitnichten. Auch Satriani weiß, dass seine Melodie problemlos einem zweiten hätte einfallen können. Es gibt ständig solche Überschneidungen, nur zieht nicht jeder mit ihnen vor Gericht.
Wenn eine Jury zu entscheiden hat, wird sie wohl die Ähnlichkeit der Melodien feststellen. Ein entsprechendes Urteil würde Coldplay dazu verdonnern, einen Teil der Gewinne abzugeben. Damit wären sie keine überführten Diebe, denn niemand kann einen bewussten Klau beweisen (es sein denn, man findet das Lied auf Gwyneths iPod!). Doch das Urheberrecht ist auf der Seite dessen, der eine Idee zuerst hatte – und das ist in diesem Fall Satriani. Coldplay sind Satriani praktisch übers Grundstück gelatscht. Da niemand die Verbreitung und Aufführung des Liedes verbieten lassen werden will, geht es um Beteiligung, ein Stück vom Kuchen.