Kulturgut Im Januar: Lustige Figuren, traurige Fernsehsender und übernatürliche Literatur
Was macht eigentlich Onkel Heini? Triefäugig durchradelte er als melancholischer Postbote vor 20 Jahren die Betroffenheits-Kinderserie „Neues aus Uhlenbusch“. Für traurige Kinder war er ein tröstender Verbündeter, der sagte: Glaub nicht der Glücksbärchibande. Auch der lustlose Pfützenschlurfer aus der Sanostol-Werbung war so ein Depressions-Komplize, der uns verstehen ließ: Man kann auch als Kind nicht immer fröhlich sein. Seit einiger Zeit sorgt dafür Bernd das Brot. Bernd ist ein Kastenweißbrot mit Tränensäcken und Stirnfalten. Seine Hobbies sind „höchst langweilige Gesteinsformationen“ und „zu Hause die Wand anstarren“. Er leidet sehr darunter, dass seine seitlich im rechten Winkel angebrachten Arme viel zu kurz sind, gibt als Augenfarbe „betrübt“ an, sagt Sätze wie „Ich hasse diese Show“ und „Mein Leben ist die Hölle“, aber meistens nur ein einziges Wort: „Mist“. Seit 2001 tritt das phlegmatische Gebäck im Kinderkanal (KiKa) auf, in den Sendungen „Chili TV“ und „Tolle Sachen“. Ihm zur Seite gestellt sind das hyperaktive Stunt-Schaf Chili mit der roten Zöpfchenfrisur und der Busch Briegel, dem vor lauter Spaß stets seine Blätter zittern. „Eine Stunde Spaß mit Chili, Briegel und Bernd“, singen das Schaf und der Busch im „Chili-TV“-Titellied. „Mist“, sagt das Brot.
Darüber lachen längst nicht mehr nur Kinder. Seit Anfang 2001 teilt sich der KiKa seinen Satelliten-Sendeplatz nicht mehr mit Arte. Nach 21 Uhr ist darum Sendepause, und dann sendet man statt eines schwarzen Bildschirms Bernds schönste Demütigungen durch Schaf und Busch in Endlosschleife.
Schnell trat der Teletubbie-Effekt ein: Eigentlich für Kinder produziert, begeisterten sich immer mehr Erwachsene für die depressive Backware, die sie spätnachts beim tranigen Zappen entdeckten. Bernd machte Karriere. Sein tief trauriges Lied „Tanz das Brot“ („Die Arme zu kurz; das Lied beknackt – ein Elend im Viervierteltakt“) schaffte es ohne viel PR auf Platz 49 der Charts. Kurz vor Weihnachten ist Bernds Album „Rockt das Brot“ (mit dem Protestsong „Ich sage nein!“) erschienen, außerdem eine DVD mit der Mantel- und-Degenfilm-Persiflage „Drei für Robin Hood“.
Bernd das Brot passt perfekt in unsere Zeit. Nach dem superlustigen Ringelpiez der Neunziger gelten die Nullerjahre als depressive Dekade, in der viele Menschen sich bestens mit Bernds Schopenhauerismen („Alles Leben ist Leiden“) identifizieren. Außerdem werden Erwachsene derzeit ohnehin immer kindischer, wie kürzlich die Feuilletons diagnostizierten – und begeistern sich vermehrt für Kinderfernsehen und -bücher. Bernd das Brot ist ein Angebot für alle, denen an Harry Potter eigentlich nur der Anfang gefällt, als Harry gedemütigt bei seiner Verwandtschaft unter der Treppe hausen muss.
Für sie hat der KiKa „Berndi Broter und der Kasten der Katastrophen“ gedreht, ein Bernd-Spezial, bei dem er gegen seinen Willen zum Zauberschüler wird. Wie er zuvor schon gegen seinen Willen in anderen großartigen Film- und Märchenparodien als „Mr. Brot“ in einem Raumschiff Dienst tat oder als Aschenbrötchen ein Prinzessinnenkleid trug, als kurzarmiger Pianist in einer Westernkneipe klimperte. Zum Jahreswechsel wird er trotz seines Handicaps in „Dinner für Brot“ den Butler geben müssen – und am Ende, komplett besoffen, immer unsicheren Schritts um Tisch und Sherrygläser kreisend „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ singen. Bei allem Elend vielleicht einer der glücklicheren Momente in seinem Leben. Denn schon in seiner Neujahrsansprache sieht er wieder klar: „Es wird die Hölle!“
Denn Bernd wird weiterhin in der Werbesendung „Tolle Sachen“ den Testkandidaten geben müssen, an dem Schaf und Busch in jeder Folge neue Produkte wie Gute-Laune-Strahler und Reisebügeleisen testen. Obwohl seine Arme doch viel zu kurz sind. All dem begegnet Bernd mit verständnislosem, starren Blick in die Kamera, fassungslos gegenüber dem Treiben seiner Umwelt – wie Siegfried Kracauer über Buster Keaton schrieb. Auch für das Brot gilt: „Er ist ein Gestoßener. Diese vielen Gegenstände, Apparate, Baumstämme, Trambahnwände und Menschenkörper veranstalten ein Kesseltreiben gegen ihn, er kennt sich nicht mehr aus, er ist unter dem sinnlosen Druck der zufälligen Dinge apathisch geworden.“
Das unterscheidet Bernd von anderen traurigen Figuren im Kinderfernsehen: Er muss sich zusammenreißen. Oskar, der grüne Griesgram aus der „Sesamstraße“, sitzt alleine in der Mülltonne. Der misanthrope Herr von Bödefeld lebt abgeschieden in seiner Höhle.
Die Mecker-Opas Waldorf und Statler sitzen, allem enthoben, in der Loge und haben ihre Ruhe. Unbehelligt von den lästigen Anforderungen des Alltags können sie ihrem Trübsinn nachgehen, doch bei Bernd geht das nicht. Er muss sich arrangieren mit den anderen, die für ihn tatsächlich nicht weniger als die Hölle sind. Mit ihrem penetranten Aktivismus, ihren Bemühungen um Action und Spaß und Weihnachtsmarktbesuche.
Die Menschen mögen Bernd, weil er diese eigentlich unerträglichen Knalltüten aushalten muss, wie sie selbst jeden Tag. Weil es auch bei ihm trotz übergroßer Traurigkeit einfach immer irgendwie weitergehen muss. Und weil Bernd bei allem Spaßgetöse um ihn herum das Recht auf diese Traurigkeit hochhält. So hoch es mit zu kurzen Armen eben geht.