Kritik: Yungblud live in Berlin: Der Harry Styles des Designer-Punk
Ballersound, Pyroflammen und Stachelhaare. Zum Auftakt seiner Europa-Tournee stellt der nordenglische Zappel-King einen neuen Rekord im Bühnensprint auf
2018 spielte der blutjunge Dominic Richard Harrison noch in einem Plattenladen am Rande des Eurosonic-Festivals (ESNS) im nordholländischen Groningen. Der Soul-Klassiker „The Night“ diente seinerzeit als Intro und ist gleichzeitig ein musikalischer Verweis auf seine nordenglische Herkunft, wo einst die Allnighter-Szene in Bingo-Hallen und Rentner-Casinos zum Working-Class-Pop-Phänomen avanciert ist.
Der Mann, der sich Yungblud nennt, hatte gerade einen langfristigen Vertrag mit dem weltgrößten Plattenlabel Universal Music unterzeichnet. Schon damals war die Richtung klar: „The Only Way is Up“ und die britische Musikpresse flankierte brav. An diese Maxime hat er stets sich gehalten. Mit erstaunlicher Energie und größtmöglicher Fan-Nähe. Aufwendige Krawall-Videos, die gerne mal im Gummizellen oder gruseligen Psychohäusern spielen, mehrten seine Reputation im digitalen Raum. Bezeichnenderweise sind beim Konzert im Berliner Velodrom, dem Auftakt seiner Europa-Tour, die hausgroßen Video-Monitore links und rechts der Bühne im hochkantigen Smartphone-Format gehalten. Analog und Digital tanzen Pogo, unter Dauerfoto-Beschuss der Mobilfunken.
Fünf Jahre nach der Talentfestival-Schau in Groningen steht Yungblud nun also in dem zum „UFO“ umfunktionierten Rund im Berliner Osten. Etwa 4000plus Fans, darunter viele auf „bad girl“-Gestylte in Manga- oder Barbie-Punk-Kluft. Nach dem Auftakt der dynamisch-kecken Zwei-Frauen-Vorband ARXX fällt – „KAWUMM“ – der riesiger Gaze-Vorgang. Pyro-Flammen und dröhnendes Heavy-Rock-Gepolter lassen das Wort „RAMMSTEIN“ vor dem geistigen Auge aufblitzen. Statt „The Night“ eröffnet nun ein Intro-Video die erste 2023er-Europa-Show des selbstgekrönten Zappelphilipps.
Mit pechschwarz gefärbten Stachelhaaren und Sid-Vicious-Vorhängeschloss um den Hals grüßt er die frühen UK-Punkjahre. „White Riot“ und „Anarchy am Berliner S-Bahnring“, Haltestelle Landsberger Allee, für die Nachgeborenen. Neben einigen wohlwollend wippendenden Old-School-Musikprofis stellen ältere Teenager und auf-und-nieder-hüpfende Twen-Grüppchen das Publikum. Yungblud versteht es, mit seinen JüngerInnen zu spielen.
Er gibt den Gymnastikclown mit der Energie eines Vollgummi-Flummis. In schwarzen Dreiviertelhosen und bunten Ironie-Socken und Sonnenbrille gibt er mit „jump, jump, jump“ den Drill-Instructor. Warum auf jedem Hosenbein ein McDonalds-„M“ aufgenäht ist, weiß wahrscheinlich nur er selbst. Eher Sarkasmus als allzu peinliches Sponsoring. Die Menge kreischt, als der Opener „21st Century Liability“ losbollert und vom Schmackes-Hit „The Funeral“ gefolgt wird. Das Energielevel ist eingepegelt.
Yungblud ist in Quartett-Besetzung gekommen. Einem Gitarrero steht eine stoisch coole Bassistin zur Seite. Der Muskel-Drummer verrichtet sein Schlagwerk oberkörperfrei. Damit das Ganze den richtigen Wumms bekommt, ist der Sound sehr wahrscheinlich per Kompressor aufgemöbelt. „Berlin“, kreischt der sich wiederholt die deutsche Sprache verbiegende Yungblud, „das ist die beste Show, die ich JE in Europa gespielt habe“. Ganz der Profi, wird er das in Paris oder Barcelona so oder ähnlich auch formulieren. Der Mann kann Gitarre spielen. Gegen Ende des Sets klimpert er sogar einmal auf dem Klavier herum. Ein UK-Profi durch und durch.
Doch solche professorale Rock-Papst-Erkenntnisse interessieren hier niemanden. Alle Zeichen stehen auf Punk-Party. Ramba Zamba für die neuen Zwanziger. Dabei wird das Ganze selbst beim prolligen Bierbecher-Aussüffeln und mit Fontäne-in-ersten-Reihen-ballern, nie wirklich gefährlich. Hardcore geht anders. Kein Gefährder weit und breit in Sicht.
Dennoch dürfen sich die als Einhorn oder Puschelbär geschmückten Fans randständiger fühlen als die Insta-Kolleginnen aus dem ersten Semester. Ansonsten läuft hier „alles Respekt und so“. Nicht umsonst ist das „Hug Me“-Schild aus der Cosplayer-Szene auch im Yungblud-Millieu gerne präsent. Da wo es dann offen queer wird, hat sich der wilde Brite einiges bei Harry Styles und Co abgeschaut. Man lernt: Ein Entertainer, der auch die Identitäts-Tasten spielen kann: „Die einzige Regel hier im Haus ist ‚Respekt für alle!’“Jaja, türlich, türlich, mach mal Dicker! Kurzum: Ein rundherum unterhaltsamer Konzertabend für die wilden Milden. Oder eben die milden Wilden ….