Kritik: Van Morrison in Berlin – eine wilde Nacht
Van Morrison gleitet meisterhaft durch ein einziges großes Medley seiner Karriere
Es ist schon eine Unverschämtheit, wie lässig Van Morrison da am Mikro steht und durch die 22 Songs führt. Er hat mehrere Medleys im Programm verteilt, doch eigentlich ist das Konzert aus einem Guss. Es ist ein einziges großes Medley seiner Karriere, durch das Morrison hier gleitet.
Er beginnt mit „Let’s Get Lost“ – ja, wenn das nur so einfach wäre! Morrison scattet, shalalat und bebopt durch das Set, im Publikum grinsen sie sich nur noch vor Verblüffung an. Man ist baff über das herausragende Niveau, mit dem der 73-Jährige an diesem Abend seine Lieder vorträgt. Mal mit Gitarre und Mundharmonika, oft mit Saxofon, aber immer mit Stimme. Es ist beinahe unfassbar, wie gut der Mann in der Mitte – Anzug, Hut, Sonnenbrille – mit gesanglicher Musikalität sogar die vielen Cover-Versionen spielerisch leicht zu seinen eigenen Versionen macht, so bei John Lee Hookers „Think Twice Before You Go“. Der nannte Morrison einst seinen „liebsten weißen Bluessänger“ – dem lässt sich in der Berliner Mercedes-Benz Arena trotz vieler leerer Plätze schwer widersprechen.
AmazonDie sechsköpfige Band ist brillant, der Sound in der Halle auch – es gibt keine Ausreden. Die braucht Van Morrison auch nicht: „When there’s no one complaining, there’ll be days like this.“ Jetzt ist es einfach. Es folgen „Have I Told You Lately“, „Sometimes We Cry“ und „Moondance“ – fantastisch.
Gegen Ende tischt Van Morrison Nachschlag auf: Glühende Versionen von „Wild Night“ und „Enlightenment“ sowie ein kulminierendes „Broken Record“ vom Album „Versatile“ – das bedeutet „vielseitig“ und verdichtet Morrisons stilistische Palette und sein musikalisches Gespür, das er über ein halbes Jahrhundert und 40 Studioalben verfeinert hat. Van Morrison ist die eierlegende Wollmilchsau, die einfach alles ausspuckt, was man an Zutaten als kompletter Künstler aufnehmen und verarbeiten kann. Der Nordire vermischt zusammen mit seiner Band Soul, Rhythm’n’Blues, Jazz, Swing, Rock, Pop, Country und Folk derart meisterhaft – es ist beinahe Chuzpe.
Das künstlerische Spektrum des Tausendsassas deutete sich bereits 1967 an, als Morrison mit „Brown Eyed Girl“ zwangsläufig die Langstrecken-Solokarriere einschlug. Etwas arg geswingt gerät sein erster Hit dann zwar, doch für die Zuschauer ist es kein Hindernis: Aufstehen, Singen, Mitklatschen! Als Van Morrison zum Schluss noch einmal für „Gloria“ von Them auf die Bühne zurückkehrt, muss selbst er sich zusammenreißen, um nicht doch Interaktion mit dem Gratis-Chor einzugehen.
Ja, die Kommunikation mit dem Publikum bleibt aus, Entertainment war aber nie Grund für den Erfolg des Nordiren. Das überlässt Morrison am Ende seiner Band, die mit ihren Soli noch einmal musikalische Spitzenklasse demonstrieren. Bedarf zwar keines Beweises, verlängert das Konzert aber auch ohne ihren Sänger um lohnenswerte zehn Minuten.
Wenn man Morrison einen Vorwurf machen will, dann wegen der Abstände zwischen den Songs, die kürzer sind als die Pausen zwischen den Stücken auf seinen Platten. Die großartige Leistung Morrisons geht in der Eile unter. Vielleicht muss er zeitig ins Bett, um ausgeruht für das nächste Konzert zu sein. Und das ist sicher: Van Morrison wird ausgeruht sein.
Setlist:
- Let’s Get Lost
- How Far From God (Sister Rosetta Tharpe Cover)
- Ain’t Gonna Moan No More
- Baby, Please Don’t Go / Don’t Start Crying Now / Got My Mojo Working / Playhouse
- There Stands the Glass (Webb Pierce Cover)
- Days Like This
- Have I Told You Lately
- It Once Was My Life
- Sometimes We Cry
- Ride On Josephine (Bo Diddley Cover)
- Think Twice Before You Go (John Lee Hooker Cover)
- Moondance
- Magic Time
- Cleaning Windows / Be-Bop-A-Lula
- Boppin‘ the Blues (Carl Perkins Cover)
- Wild Night
- Enlightenment
- Broken Record
- In the Afternoon / Ancient Highway / Raincheck / Sitting Pretty
- Brown Eyed Girl
- Help Me (Sonny Boy Williamson Cover)
Zugabe:
22. Gloria