Kritik: „The Walking Dead“, Staffel 9, Folge 15: Warum das Blutbad so nicht funktioniert
Drei Hauptfiguren mussten in der aktuellen „Walking Dead“-Folge ihr Leben lassen. Es hätten andere sein müssen.
Der Artikel enthält Spoiler.
Entscheiden Sie selbst: Wer ist wichtiger: Ezekiel und die schwangere Rosita – oder Tara, Henry und Enid? Erstere (und einige unwichtige andere) wurden im Comic von Alpha getötet, ihre Köpfe mit Pfählen aufgespießt. Letztere (und einige unwichtige andere) starben gleicher Art, aber nur in der gestrigen Folge von „The Walking Dead“, „The Calm Before“.
Jeder Zuschauer hat seine Sympathiefiguren, jeder entscheidet selbst, wen man betrauert. Vielleicht lassen sich die zwei Gruppen nur schwer vergleichen. Aber man sollte doch die für jede Erzählung wichtigen Motivationen der überlebenden Charaktere im Auge behalten, die Frage, was sie nach dem Verlust geliebter Menschen antreiben kann: Wut und Rache natürlich. Dies wären die Gefühle, die dem weiteren Verlauf einer Horror-Serie gut tun.
Und demnach eben war die Auswahl der Todesopfer in der TV-Episode nicht gut getroffen.
In den Comics trauerte Michonne um Ezekiel (Carol hatte sich da schon längst vor tausenden Seiten verabschiedet). In der Fernseh-Folge jedoch hatte sie keinen wirklich Nahestehenden zu betrauern. Noch härter in der Comic-Vorlage: der Tod der schwangeren Rosita. Der Mord an Frauen und deren Ungeborene zählt zu den grausamsten Verbrechen.
Eugene war in den Comics noch immer in Rosita verliebt, nicht nur das, die Zwei näherten sich richtig an. Es wäre die Gelegenheit gewesen, dessen Darsteller Josh McDermitt, dem vielleicht besten Schauspieler des Ensembles, wieder eine Aufgabe zu verleihen: Rache. Das gäbe der Serie frischen Wind.
Tara – nur ein Opfer von vielen
Zu anschwellender Musik werden die aufgespießten Köpfe, in einer Reihe in den Boden gestampft, nach und nach präsentiert – je dramatischer die Klänge, desto wichtiger die zu verabschiedenden Figuren. Das sagt einiges über die Priorisierung der Helden aus, zumindest so, wie die „Walking Dead“-Macher sie getroffen haben. Denn der größte Härtefall, das tragischste Opfer, kommt zum Schluss.
Und es ist erstaunlicherweise nicht Tara. Über den Wert von Tara (Alanna Masterson) für die Serie kann man streiten, ihre Rückkehr nach Hilltop als neue Anführerin wirkte bereits etwas übereilig inszeniert – so, als müsste Tara kurzerhand vor ihrem Ende noch aufgewertet werden. Überhaupt hatte die durchaus auch als Komikerin vorhergesehene Figur in den letzten drei Staffeln keine entscheidende Funktion. In keiner der vergangenen Schlüsselsituationen – der Sturz Negans, der Abgang Ricks – war sie wichtig. Aber Tara war halt schon seit sehr vielen Staffeln dabei, und von allen nun Getöteten vielleicht der beliebteste Charakter. Über ihren Tod wird kein Wort verloren. Ihr Kopf ist nur Zwischenstation für den letzten der Reihe, Henry.
Alles hängt an Carl
Und hier beginnt das Problem mit dieser Reihe der weiteren Aufgespießten, dieser wer-ist-wichtiger-als-der-davor-Reihenfolge: Denn irgendwie hängt die Kette der Köpfe auch mit Carl Grimes zusammen. Es gab in der TV-Fassung ja einige Teenager-Liebeleien mehr als in den Comics.
Zuerst Carls Gefühle für Enid (Katelyn Nacon), die nie richtig ausgearbeitet wurden. Doch der unerwartete Tod von Ricks Sohn – dessen Darsteller Chandler Riggs meldete sich jüngst zu Wort, glaubt, er sei aufgrund mangelnden Schauspielvermögens rausgeflogen – verringerte nicht nur Enids Bedeutung, es rief dann auch Henry (Matt Lintz) auf den Plan, der quasi in die Carl-Rolle schlüpfen sollte. Er würde auch anstelle Carls der neue Boyfriend von Lydia werden, pikanterweise also die Tochter derjenigen Frau, der er nun zum Opfer fiel. Diese Carl-Enid-Henry-Lydia-Achse baute sich erst ab Staffel sieben richtig auf. Da darf die Frage durchaus erlaubt sein, weshalb man den armen Carl dann nicht gleich noch eine Staffel länger behalten und dann von Alpha hinrichten ließ. Dessen „Mutter“ Michonne hätte dann auch einen Grund zur Trauer gehabt – beim „Tode“ Ricks gab es niemanden, den sie hätte angreifen, bestrafen können. Michonne versus Alpha: Das wäre ein Duell geworden. Stattdessen wurden zwei Teenager, Carl und Henry, in den falschen Momenten verfeuert. Und Enid-Darstellerin Nacon empört sich nach ihrem Aus völlig zu Recht darüber, dass ihre Figur keine echte Entwicklungsgeschichte aufwies – sie wurde vor allem als Partnerin verschiedener Jungs wahrgenommen.
Natürlich kommt dazu noch der Eindruck, dass manche der anderen, unwichtigeren Darsteller nur deshalb angeheuert wurden, damit sie Füllmaterial der Pfahl-Reihe werden. Showrunner Angela Kang sagte dazu nach Ausstrahlung der Folge: „Von einigen, die auf den Pfählen gelandet sind, hatten wir bei deren Casting schon geplant, dass sie so enden. Speziell Brett Butler, die Tammy verkörpert, wusste von ihrem Rollen-Schicksal. Das erzählten wir ihr schon bei ihrem Engagement für die Serie.“
Wenn Leute nur deshalb angeheuert werden, damit sie kurze Zeit in der Serie später sterben, wird ihr gesamtes voran gegangenes Auftreten lediglich für einen dramatischen Effekt funktionalisiert, hier, Opfer eines Massenmords zu sein. Warum sollte man sich als Erzähler dann noch Mühe geben, diese Figuren auszubauen? Speziell bei der „Highwaymen“ getauften Truppe deutete schon früh vieles darauf hin, dass sie lediglich Futter werden sollten – ihre Storyline wirkte unglaubwürdig. Das gab es früher bei „The Walking Dead“ auch schon. Erinnert sich heute noch jemand an Tobin?
Henry war, wie so viele U-18-Darsteller der Serie, kein Fan-Liebling – Carl, Lydia, Enid und er galten als annoying kids. Warum aber musste Lydia nun überhaupt in der Stadt bleiben, auf ihre Mutter Alpha treffen, und nicht auf dem Feld ihren toten Henry sehen? Das hätte mehr Wirkung gehabt als nachträglich im Stillen eine Kette vor dem Pfahlgrab abzulegen. Stattdessen sieht nun Carol den Zombie-Kopf ihres Ziehsohnes. Hart, aber nicht von derselben Härte wie der Kopf, der in den Comics als letzter in der Pfahl-Reihe präsentiert wurde: der von Ezekiel. Der Verlust ihres „Königs“, dem Carol ganz ersichtlich mehr Gefühle entgegenbrachte als ihrem Sohn, hätte der Serie Antrieb gegeben.
Alpha hat sich also dafür gerächt, dass ihre Tochter Lydia die Seiten gewechselt hat. Auf Lydia-Darstellerin Cassady McClincy kommt nun die schwere Aufgabe zu, beliebt zu werden – im Camp, wie auch bei den Zuschauern. Sonst lastet man ihr den hohen Blutzoll an.
Es geht voran
Etwas hat sich zwar zum Positiven verändert: Den Höhepunkt ihres teuflischen Treibens hat Alpha nun also innerhalb nur einer Staffel bewerkstelligen dürfen. Das ist eine Wohltat im Vergleich zu den ewigen Exkursionen Negans, der sich von Season sechs zu Season acht mit Streichen durchhangelte. Es war auch eine gute Entscheidung, Alphas Bluttat nicht in der letzten, sondern eben in der vorletzten Episode der Staffel zu bringen. Das hat „The Walking Dead“ (zusätzlich zum recht albernen „Winter Is Coming“-Spruch) mit „Game of Thrones“ gemeinsam: Nach dem Gemetzel gibt es immer noch eine Runterkommen-Folge, damit sich der aufgewirbelte Staub langsam setzen kann.
Nur ist das Erzähl-Schema bei „TWD“ mittlerweile so bekannt, dass schon nach wenigen Minuten dieser Episode klar ist, dass sie für viele tödlich enden wird. Die Figuren kommen innerhalb der ersten 30 Minuten ja kaum aus dem Kuscheln, den Liebesbekundungen und „Pass ja gut auf Dich auf, während Du weg bist“-Reden heraus. Das kennen wir noch von den liebevollen Inszenierungen aus den Leben Beths, Andreas, Noahs und anderen: Je rücksichtsvoller der Umgang mit ihnen, desto höher befinden sie sich auf der Kill List.
„Ich glaube, Alpha ließ mich am Leben um darüber zu berichten“, sagt Saddiq am Ende zur geschockten Gemeinde, also in Wirklichkeit zu diejenigen Zuschauern, die darauf nicht selbst gekommen sind. Schade, dass er eine Trauergeigen-Rede hält. Eine Kapitulationserklärung. Wie viel besser es doch gewesen wäre, seinem Zorn freien Lauf zu lassen.
Carol, Michonne, sogar Daryl wirken fast schon versöhnlich, während sie Saddiq lauschen. Schwer nachvollziehbar. Hier wurde die Gelegenheit verpasst, der Sache mehr Zorn zu verleihen.