Kritik: „The Walking Dead“, Staffel 9, Folge 10: Warum man Alphas Bio nicht kennen will

Der Governor und Negan sind so, wie sie sind. Undurchdringliche Schurken, cool. Alpha dagegen ist die egoistische Mutter. Muss sie deshalb zur Mörderin werden?

Die Rezension enthält Spoiler.

Warum war der „Walking Dead“-Bösewicht Nummer eins, der Governor, ein überzeugender, furchterregender Bösewicht? Und was machte die Unberechenbarkeit des Bösewichts Nummer zwei, Negan, aus? Es war die fehlende biografische Information. Warum sie wurden, was sie sind. So, wie Heath Ledgers Joker aus „The Dark Knight“, waren sie einfach nur da und mordeten oder erzählten das Blaue vom Himmel. Dass ihre Motivation unklar war, hat sie entmenschlicht. Besser kann ein Schurke auf den Zuschauer nicht wirken.

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Irgendjemand im „Walking Dead“-Ideenteam muss beschlossen haben, dass man bei Alpha (Samantha Morton), der ersten Bösewichtin der Serie, etwas anders machen wollte – Robert Kirkman hatte die Genese der „Whisperers“-Anführerin über deren Tod hinaus im Geheimen gehalten, aus gutem Grund. Die Showrunner jedoch wollen’s menscheln lassen und plaudern die Vorgeschichte von Alpha aus, bereits in deren ersten richtigen Folge (und sind anscheinend „Minority Report“-Fans, Morton musste sich hierfür schon wieder den Kopf scheren).

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Endlich wieder Prä-Apokalypse! Wann gab es im „TWD“-Universum das letzte Mal ein Flashback in die Zeit des großen Chaos? Als keiner wusste, was da draußen vor sich geht und alle rumschreien? An sich herrlich. Alpha, die bürgerlich bestimmt anders heißt, sich früher noch nicht anmaßte, der erste neue Mensch zu sein, hat sich mit Ehemann, Tochter Lydia und anderen verbarrikadiert.

Alpha: „Bitch“

Samantha Morton als Alpha

Sogleich muss dargelegt werden, warum Alpha nicht nur das Zeug zur Anführerin hat, sondern auch zur Mörderin wird. Ihr Ehemann nennt sie „Bitch“ und fordert „sag mir nicht, wie ich mein Kind zu behandeln habe.“ Der Typ hat den Tod verdient, keine Frage. Ein sehr lustiger, vielleicht einer der lustigsten Sätze der Serie, stammt auch von ihm. Als Tochter Lydia versucht, Rituale der Zivilisation aufrechtzuerhalten, sagt er nur: „Now Everyday Is Halloween!“ Schade, dass er noch in dieser Episode abtritt.

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Die Entmystifizierung von Alpha hin oder her, das größere Problem ist ihre Tochter Lydia. Das lässt sich, nach zwei Folgen, schon recht deutlich bestimmen. Darstellerin Cassady McClincy spielt in fast jeder Szene eine andere Art Teenager. Pubertät halt? Gerne würde man sagen, „out of character“, aber man weiß ja nicht, wer sie ursprünglich sein wollte.

Zum ersten Mal unangenehm fiel Lydia auf in der letzten, schon ihrer ersten Folge auf, als sie in der einen Minute noch, wie schon ihr halbes Leben, furchtlos neben Zombies als Weggefährten marschierte und in der anderen wie ein Schlosshund heulte, nur weil sie enttarnt wurde und plötzlich den Tod fürchtete. Kann mal wieder am Karnevals-Drehbuch liegen, aber vielleicht findet McClincy einfach nicht in ihre Rolle hinein.

„Nur schwache Leute sterben“, sagt sie nun, in Gefangenschaft. Sie kann von Glück reden, dass Daryl und die anderen nicht nach demselben Prinzip verkehren wie sie, sonst wäre sie längst tot. Es ist klar, worauf die Kreativ-Abteilung von „Walking Dead“ hinauswill: Dies soll eine junge Frau sein, die einer Gehirnwäsche unterzogen wurde.

Aber noch so eine Episode, und McClincy wird zum annoying kid. In der Filmsprache meint das Kids, um die der Zuschauer sich sorgen soll, die aber genau das Gegenteil mit ihren steten Klagen oder schlechten Witzen erreichen: Man will sie nicht mehr sehen.

Will man Kinder oder Teenager in Kino und Fernsehen wirklich so wenig sehen? Kommt aufs Genre an. In Kinderfilmen ist das alles ja kein Thema. Aber im Horror oder Science-Fiction, also im Genre für die etwas Älteren, will sich keiner mit ihnen identifizieren – erst recht nicht Gleichaltrige. Man identifiziert sich immer, falls Kinder und Erwachsene zu sehen sind, mit den Erwachsenen. Die haben einfach mehr drauf, sie sind die kompetenteren Helden und sprechen am Ende das Machtwort.

Warum sind die ersten drei „Star Wars“-Filme die besten? Auch, weil da keine Kinder mitspielen. Warum regen sich alle über den vierten „Krieg der Sterne“-Film, „The Phantom Menace“, auf? Weil darin ein Kind Hauptdarsteller ist.

Hat das Kind Judith in „The Walking Dead“ viele Fans? Man kann jedenfalls nicht sagen, dass die Fans wegen ihr die Message Boards füllen oder die Rezensenten Lobeshymnen schreiben. Auch Chandler Riggs‘ Carl Grimes wurde erst akzeptiert, als er schon vier Staffeln dabei war, also vier Jahre älter war als zu Beginn der Serie. Lydia isst in dieser Folge einen Wurm, ihr baldiger Boyfriend Henry (Macsen Lintz) muss auch einen Wurm essen, das wird sicher sexuelle Signale zwischen den beiden senden. Aber das Wurmsaugen ist schon etwas anderes, eine schwächere Lustdemonstration, als wie wir es von der Lydia kennen, die im Comic Carls skelettierte rechte Augenhöhle genüsslich ableckt.

Wann traut sich auf einer Comic-Con der erste Fan zu fragen, warum Chandler Riggs gefeuert wurde? Er hätte so gut hier weitermachen können, als Lydias Freund, wie in der Vorlage. Vater Rick vermeintlich tot, Schwester Judith, altklug und bewaffnet, spielt weiter Cowgirl im Wald. Carl vermittelt zwischen Whisperers und Normalos.

Liegt alles an der Kindheit

Gute Idee, Daryl nun als Ziehvater Henrys ins Spiel zu bringen. „Hat dich etwa auch jemand, als Du klein warst, verprügelt?“, fragt ihn Henry. Da hat er einen wunden Punkt getroffen. Seit Daryls Bruder Merle tot ist, hat ihn keiner mehr daran erinnert, dass er in seiner Hillbilly-Familie einst behandelt wurde wie ein Hund. Ganz unten. Daryls Biografie war seit dem Tod des anderen Dixon in „The Walking Dead“ kein Thema mehr. Deshalb wirkte er seit vielen Staffel-Jahren wie jemand ohne Handlungsbogen. Es wurde Zeit, dass das Thema Missbrauch wieder aufgegriffen wird. „Manche Leute“, antwortet Daryl dem Jungen, „sind einfach nicht dafür gemacht Eltern zu sein.“

Alpha, Lydia, Henry, Daryl: genug Stoff für eine ganze Episode. Aber die „Walking Dead“-Macher sind nicht die mutigsten, sie müssen immer mindestens zwei Storylines bringen. Es gibt eine Expedition von Tara und den anderen, die komplett sinnlos für den Verlauf der Geschichte ist. Eine Erkundung wie in der Abenteuer-Freizeit. Sie durchstreifen die Wälder, töten Zombies, suchen nach Antworten – treffen wir weitere Whisperers? – und kommen dann halt zurück. Dieser Trip wurde nur gebracht, damit es ein wenig Action in der Folge gibt.

Schon klar, Tara will die Neuankömmlinge um Yumino (Eleanor Matsuura) besser kennenlernen, und bei der Jagd geht das für uns unterhaltsamer als in einem Gesprächszimmer.

Aber die Whisperers sind am Ende der Folge ja auch von ganz alleine gekommen.

Gene Page/AMC
AMC
Gene Page/AMC
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