Kritik „The Walking Dead“, Staffel 9, Folge 1: Der Falsche hängt am Galgen
Schwacher Start für den Auftakt der Staffel, die über den Fortbestand von „The Walking Dead“ entscheiden könnte.
Diese Rezension enthält Spoiler.
Der Auftakt entscheidet über den Erfolg einer ganzen Staffel mit. Es muss rummsen, damit die Einschaltquote stimmt, damit Kritiker berichten, Zuschauer ihre Stimmungen im Netz mitteilen. Manchmal hat das bei „The Walking Dead“ funktioniert. In der dritten Season eroberten Rick und Freunde ihren zukünftigen Lebensraum, das Gefängnis, und das sah berauschend aus. Und in Folge eins von Staffel fünf erschoss der Ex-Polizist mehr Menschen als je zuvor Zombies.
Insofern ist die Entscheidung der „Walking Dead“-Macher, hier sogleich Gregory aus dem Spiel zu nehmen, nicht nachvollziehbar. Denn damit ist der Rumms erstmal vorbei. Gregory war die einzige Figur, die durch ihre Doppelspionage noch unterhielt.
Negan ist der Böse, Rick ist der Gute. Simon (Steven Ogg) und Gregory (Xander Berkeley) waren die Unberechenbaren. Nun hat es nach Simon eben auch Gregory erwischt, den größten Love-To-Hate-You-Charakter. Zusammen hatten der Kleinganove und die regierungsunfähige Schnapsdrossel die besten Szenen in der ganzen Serie.
Der Comic inszenierte die Hinrichtung des Verräters noch ein wenig effektvoller als das TV-Format – eben noch war er in Gewahrsam genommen, dann blättert man eine Seite um, schon hängt er am Galgen. Das Gesicht der Leiche springt den Leser förmlich an. Das heißt aber nicht, dass Gregory überhaupt hätte sterben müssen, nur weil der Comic es vorsah. Wer gut ist, darf länger bleiben, das gilt auch für die Fernsehreihe.
AmazonHat man Gregory nur zuliebe der Auftaktfolgen-Dramaturgie geopfert? Dementsprechend müssten dem Tod des ehemaligen Bürgermeisters jetzt knallharte Entwicklungen folgen – denn dem Cliffhanger aus Staffel acht, die Verschwörung Maggies und Daryls gegen Rick, nicht weniger folgenschwer für die Gemeinschaft, folgte jedenfalls nichts.
The Walking Dead: Man weiß ja, was gleich passiert
Der Wechsel an der Showrunner-Spitze der arg in den Einschaltquoten strauchelnden Zombie-Serie wurde mit erhöhter Aufmerksamkeit begleitet. Rick-Darsteller Andrew Lincoln gab seinen Ausstieg bekannt, ohne ihn geht es jetzt um alles. Angela Kang, die sich selber als Fangirl bezeichnet, muss nun abliefern. Sie kündigte an, gerade durch den – nicht in Jahren definierten – Zeitsprung eine geradezu neue apokalyptische Welt zu zeigen. Doch das ist ihr bislang nicht wirklich gelungen.
Dass die immer verwesender erscheinenden Untoten nun Nutzkreaturen der Landwirtschaft werden, etwa bewegende Vogelscheuchen, ist eine interessante Idee. Es zeigt, dass man sich in einer Welt mit Walkern einrichten kann, das beste daraus macht.
Gezwungen aber wirkt der Versuch, einen Museumsbesuch der Helden in Washington D.C. als sarkastische Lehrstunde der Evolution zu verkaufen. Überhaupt: „The Walking Dead“ eine Philosophie zu verpassen, das erfolgt etwas spät. Die Menschen stoppen an Tafeln mit historischen Darstellungen („Conflicts That Shaped Our Nation“ – Sie verstehen sicher, Gründervater und so) und durchwandern die Abteilung über die Entwicklungsgeschichte ihrer Rasse. Einen Zombie nageln sie so an einem Schaubild fest, dass er am Endpunkt der fünf Karten steht, die die Entwicklung vom Steinzeitmenschen auf allen Vieren über den aufrecht gehenden Homo Sapiens schildern. Ironisches Augenzwinkern, bis das Lid schmerzt – die Evolution endet mit den tumben Beißern!
Dennoch hätte man den Moment, so Zaunpfahl-mäßig er auch ist, für sich stehen lassen können. Aber der Priester Gabriel und Jadis müssen, die kluge Einstellung soll ja definitiv auch von allen Zuschauern verstanden werden, das noch kommentieren: „The Evolution of Man“ – „Intelligent Design!“
Showrunner Kang bleibt auch dem „Walking Dead“-Muster treu, dass jedes Setting, in dem Zombies so positioniert werden, dass sie, einem Hindernis-Parcours gleich, umgangen werden müssen, mit einer Action-Szene endet. Wie hier, als die Untoten unter einem zerbrechlichen Glasfußboden darauf lauern, dass die Scheibe bricht und Frischfleisch runterfällt. Ist halt auch nur leidlich spannend, wenn man’s vorher weiß.
Puh, hoffentlich kriegen sie dabei nicht Rick! Früher oder später schon. Und das ist das allergrößte Problem der neunten Staffel: Weil jeder weiß, dass Andrew Lincoln und Lauren Cohan (Maggie) aussteigen, aber nicht weiß, wann genau und wie, fokussiert man bis dahin ausschließlich auf sie – und Daryl, Carol, Jesus, Negan werden egal. Wenn man nur noch damit beschäftigt ist, jedes Zipperlein Ricks als womöglich tödliche Infektion zu deuten, bleibt die Aufmerksamkeit an unnötigen Stellen hängen.
Was waren das noch für TV-Zeiten, als nicht schon vor Beginn einer Season klar war, welche Figur eine Serie verlassen wird? Wer wusste bei einer Serie, sagen wir Anfang der 1980er, sagen wir bei „Dallas“, schon vor dem Start der Staffel, dass Bobby Ewing am Ende stirbt?
Warum muss der Zuschauer solche Produktionsdetails, die Arbeitsverträge, überhaupt kennen. Auf welcher Comic-Con, in welchen Podcast muss das offenbart werden? Am „Druck der Öffentlichkeit“, dem „Jetztzeit-Medium Internet“ jedenfalls kann es nicht liegen.