Liebe Swifties, jetzt helft mir doch mal. Was genau ist es? Warum sie?

Dieser Abend hält mich, so sehr er mich inhaltlich und künstlerisch auch zu Tode gelangweilt hat, mit Anschlussfragen auf Trab.

Ich würde gerne in einer Welt leben, in der der größte weibliche Star eine Art genderfluides Superwesen ist, sich schon bald aller Fesseln entledigt, tiefgründig, mit einem intensiven Blick auf diese Welt und uns, durchlässig und schlau, Liebe verströmend, trotzdem Missstände anprangernd, in fantasievollen, wertigen Outfits, mit guten Hooks und festem Rückgrat.

Der kindlichen Sehnsucht nach scheinbar entlastendem Personenkult ein Schnippchen schlagend, indem dieser Star sich immer wieder vulnerabel zeigen und körperlich in keiner Hinsicht unter Druck setzen lassen würde. Ein Wesen, was charakterlich und musikalisch über das hinausweist, was irgendwelche Algorithmen uns andauernd zuführen und wir in dieser elendigen Echokammer auch noch dauerkonsumieren weil schlicht nichts anderes mehr da ist …

Aber ich schweife ab, wo war ich? Ah genau: Ein Star mit revolutionären Qualitäten, die den Balanceakt schaffen, niemanden auszugrenzen, einfach alle abzuholen. Eine Friedensbringerin der Pop-Musik, seufz …

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Oder wenigstens: Eine toll gealterte Frau mit blitzenden Augen, ein richtiger weiblicher Zausel. Die so mit uralter Lederjacke und zerkratzter Gitarre, übrig geblieben aus der Ursuppe des amerikanischen Folk, Geschichten erzählen kann wie keine Zweite. Stets ungekämmt, stets brillant in ihrer Erzählweise, live mit unfassbar guter Band und seit Jahrzehnten nicht müde, die Welt zu bereisen und Songs aus ihren vierzig Alben zum Besten zu geben. Die zeitlebens so scheiße gut getextet hat, dass sie eines Tages, bereits im fortgeschrittenen Alter, aus Schweden die Nachricht erreicht, ihr wurde soeben der Nobelpreis für Literatur zugesprochen, was sie äußerst lässig zur Kenntnis nimmt und original nichts öffentlich dazu sagt, so nach dem Motto, „na wenn die meinen“…

Ich war soeben in der Veltins-Arena in Gelsenkirchen, einer Stadt, die ich (aus schierem Zufall, wie ich betonen möchte) bis heute noch nie betreten hatte.

Jetzt sitze ich vor meinem Laptop, ein Magnum Caramel zwischen den Zähnen und habe fast so etwas wie eine Schreibblockade nach meinem ersten Live-Konzert von Taylor Swift.

Bühnenbild wie eine lieblos zusammengestellte Messebaukulisse

Ich hatte mir fest vorgenommen, über all das zu schreiben, worüber sich (zu Recht) kein alter, weißer Mann im Musikjournalismus mehr traut zu schreiben. Ich wollte da sozusagen die gute, alte kulturpessimistische Rolle übernehmen und diese Frau ein bisschen, na, sagen wir mal: kritisieren.

Zum Beispiel wollte ich schreiben, wie meine stets brillante heutige Begleitung Tossia es formulierte, dass eine Frau, die 1,3 Milliarden Dollar schwer ist, sich kein Bühnenbild auszudenken vermag, das mehr hermacht als eine lieblos zusammengestellte Messebaukulisse. Dass sie selbst sich nicht mal sehr ordentlich die Haare kämmt. Dass sie eine Gitarristen-Person beschäftigt, die einen Stachel-Vokuhila hat, wie die Lehrer der Popakademie Enschede im Jahr 2006 und übrigens auch genau solche offenen, hohen Turnschuhe trägt. Dass die schön ganz an den Rand gestellte Band mit nichts besserem aufwarten kann als mit zwei ollen Nord Stage Pianos, die in Berlin mittlerweile verschämt überklebt werden, damit mensch sie nicht mehr als solche identifizieren kann (ich rede von mir selbst) oder, dass die „Tänzer:innen“ sich leider Taylors nicht vorhandenem Hüftschwung anpassend, robotisch staksend über die Bühne der Veltins Arena bewegen, immer vor und zurück gingen, als wären sie in einem, was weiß ich was, irgendwo jedenfalls, wo ein Kurs gegeben wird, in dem „tanzen“ erst in einigen Jahren drankommt, zunächst üben wir mal „nebeneinander hergehen“.

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Weiterhin wollte ich schreiben, dass mich Musik und Darbietung gefährlich oft an Helene Fischer denken ließen, die wir ja auch alle überleben, jeden Tag, den Gott werden lässt. Die tut ja auch nichts, die will nur spielen und in aller Ruhe ihren eigenen, stetig wachsenden Geldberg anhäufen dürfen, bitte lasst sie, okay?

Ich hatte fest vor, einmal rechtschaffen wütend vom Leder zu ziehen, mich gewissermaßen über Taylor Swift zu stellen (lol), indem ich ihre offensichtliche künstlerische „clumsyness“ ins Zentrum stelle und ordentlich drauf pinkle, weil, muss ja auch mal wieder irgendjemand machen.

„Wer Warum fragt, ist bereits in der Hölle“

Jedoch – ich kann es nicht.

Und daher bin ich blockiert. Und das Magnum tropft schon auf die Tastatur …

Warum ich es nicht kann?

Nun. Dieser Abend hält mich, so sehr er mich inhaltlich und künstlerisch auch zu Tode gelangweilt hat, mit so vielen neuen Anschlussfragen auf Trab.

Auch wenn der Buddhismus mahnen mag: „Wer Warum fragt, ist bereits in der Hölle“, so drängt mich heute Abend wirklich keine Frage mehr als diese.

Liebe Swifties, jetzt helft mir doch mal. Was genau ist es? Warum sie?

Warum liebst du jemanden?

Natürlich, Philosophen schwadronieren, Algorithmen manipulieren, Menschen reagieren, aber letzten Endes, eine finale Antwort darauf, wie und wo und warum zur Hölle die Liebe zu etwas oder jemandem genau entflammt ist, die gibt es doch nicht, oder? Und das ist sicher auch genau richtig so, denn wenn ich das jetzt nehme und diesen unerklärlichen und darum heiligen Moment wildfremden Menschen bewertend entreiße und behaupte, die wären alle dumm und auf dem Holzweg, fühlt sich das grausam und bescheuert an.

Was weiß ich schon über die Flamme in den Herzen anderer Menschen? Und warum tendiere ich über die Fans grundsätzlich im Plural zu sprechen und nachzudenken? Als Individuum ergibt das Phänomen irgendwie keinen rechten Sinn mehr. Der einsame Taylor-Swift-Fan ist irgendwie ein schräges Konzept.

Ich habe das ein paar Fans vor der Arena und sogar schon im Regionalexpress gefragt, ich musste nur auf ein lustig behängtes, glitzerndes Grüppchen zugehen und einfach fragen: „Hey ihr, eine Frage – warum seid ihr Taylor-Swift-Fans?“

Fans von Taylor Swift vor der Arena

Und als Antwort bekam ich in vier von fünf Fällen: „Ach, sie ist einfach eine Kindheitserinnerung …“

Ein Fangirl stattete uns mit Freundschaftsbändchen aus, einer der wirklich süßen Auswüchse des eigentlichen Phänomens: der sogenannten Swifties, die Taylors Oevre nehmen und eine Art interaktiven Spin-Off damit betreiben, es zum Kult machen, dessen Niedlichkeit auch Tossia und ich heute in Form von Armbändchen erhielten, die aussehen, als gehörten sie eigentlich an das Handgelenk eines Neugeborenen. Es stehen sogar die Namen drauf, allerdings in diesem Fall die Namen von Taylors Songs.

Ist es die Girlnextdoorigkeit? Diese selbstbewusst vorgetragene Harmlosigkeit?

Ist die Frau „die Gilmore Girls als Sängerin“, going „Elon Musk als Sängerin“ by accident?

Ist es das Pokemon-Go-hafte am Fansein? Aber in dieses Hasenloch falle ich jedenfalls heute Abend nicht mehr, sorry liebe Lesende.

Weil ich heute Abend in der Veltins Arena die Liebe zu ihrem Idol, die Glückseligkeit, endlich alle zusammen mit einem zur Musik im Takt leuchtenden Armband verbunden worden zu sein und das ekstatische, teilweise ohrenzerfetzende Kreischen überglücklicher, gänsehautüberzogener Fans einfach nicht als dumme, kapitalistisch-manipulierte Verirrung abtun kann, tu ich das auch nicht.

Doch nun, zu guter Letzt, noch ein paar kurze Worte in eigener Sache.

Und damit wir uns hier nicht falsch verstehen: Ich persönlich, ich wollte dieses Konzert mögen. Ehrenwort! Aber ich bin einfach nicht mehr zwölf.

No agism, ich sage nur: Mit zwölf, da hätte ich das, was ich da heute gesehen habe, gemocht.

Aber als dann noch das Gerücht aufkam, dass Ed Sheeran (by the way Taylors engster Freund) als Überraschungsgast auftreten sollte, haben Tossia und ich dann doch lieber vorzeitig das Weite gesucht. Nichts gegen die cuten, allesamt glitzernden Swifties, aber mit Ed Sheeran in einem Raum zu sein, weckte in mir die plötzliche Angst, ich könne mich (trotz Atemmaske) eventuell doch noch mit der allgemeinen „basic bitchness“ infizieren.

Draußen war der Sommerabend lau und friedlich und von den Wänden Gelsenkirchens schaute Taylors Gesicht uns mit leicht vorwurfsvoll zusammengekniffenen Augen hinterher, als wir wie von einer schweren Last befreit zurück zum Hauptbahnhof radelten.

 

Charlotte Brandi ist Musikerin – ihr letztes Album „An den Alptraum“ erschien 2023 – und schreibt für den ROLLING STONE die zweiwöchentliche Kolumne Parole Brandi.

Hesham Elsherif Getty Images
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