Kritik: Stephen King – „The Outsider“
Hoffentlich ist die Serie besser als das Buch: ab 20. März wahlweise auf Deutsch oder im Original auf Sky Atlantic HD.
Stephen King – Das Ranking
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61. „The Outsider“ („Der Outsider“, 2018)★★½
Dieser Roman mutet wie eine Lawine an, der Rutsch beginnt in der Mitte der Erzählung – und reißt dann alles in ein Loch. Nicht gut. Und dafür ist ausgerechnet Holly Gibney verantwortlich, die vielleicht beste Frauenfigur Stephen Kings, die beste unter den vielen sonst so schlechten Frauenfiguren Kings, die ja deshalb oft so unterentwickelt bleiben, weil sie ihre Entwicklung stets nur als Emanzipation von patriarchalischen Männern durchlaufen dürfen.
Gibney aber ist anders. Sie macht die Dinge von Anfang an so, wie sie will – ohne Absicherung gegenüber, oder Abarbeitung an einem Mann. Hausfrau Jeannie Anderson etwa sagt zu ihren Mann Ralph, dem Polizisten, immer schön zu Kapitel-Ende, zum harmonischen Tagesabschluss: „Das hier kannst Du nachher im Bett machen“, „Und jetzt iss Deine Spiegeleier“, „Du brauchst keine Sandwiches zu besorgen. Ich koche was“ – alles zur Wiederherstellung der Arbeitskraft des Hausherrn.
Der Titel, eigentlich ein abgeranzter, ist so genial wie neuartig für Stephen King. Weil der Titel erstmals in die Irre führt. Auch bis dahin macht er alles richtig. Der wegen eines Sexualmordes an einem Kind festgenommene Terry Maitland wird vom beliebten Baseball-Coach zum Mordverdächtigen – eben dem „Outsider“. Augenzeugenberichte, vor allem aber DNA-Spuren sprechen dafür. Und doch ist nicht er der Täter, sondern einer, der wie er ist. Der „Outsider“: eine neue Figur, deren Identität sich erst in der zweiten Romanhälfte offenbart. Ein Shift von einem im Mittelpunkt stehenden Haupt-Charakter zu einem anderen, auch das gab es in der schon mehr als 40 Jahre währenden Karriere Kings nicht.
Der Tod des – echten – Terry Maitlands ist ein spektakulärer Marion-Crane-Moment, dem die ebenso erschreckend inszenierte, wie unerwartete Auslöschung der gesamten Familie „seines“ Opfers folgt. Aber auch hier legt King eine falsche, grandiose Fährte. Der 17-jährige Ollie Peterson, dessen Bruder so bestialisch getötet wurde, ist tapfer, doch wird er sich von seinem Zorn übermannen lassen, was sein Ende bedeutet. King auf traumwandlerischer Spur.
„Der dunkle Turm“ mischt mit
Dass Holly mit großer Selbstverständlichkeit vom „Outsider“ spricht, eine Titulierung wählt, die im Horror-Genre keine Genese hat, aber hier so benutzt wird, als hätte dieses Monster eine Tradition wie Werwolf und Vampir, trifft einen natürlich wie ein Schlag in die Magengrube. „Er ist nicht in der Hölle. Er bringt die Hölle“ – solche Sätze zählen zu den wenigen Höhepunkten einer so sicher gestarteten Geschichte, die sich am Ende doch nur der unzählige Male durchexerzierten Mär vom Kinderfresser annähert, der sich, als bräuchte der Mythos des „Outsiders“ eine fundierte Basis, auch noch auf das „Ka“ aus dem „Dunklen Turm“ beruft.
Und was bleibt übrig, nachdem der Outsider verdampft/ausschliert/innerlich verkohlt/ stirbt? Natürlich, die Würmer. Es sind immer die Würmer, die Maden. Am besten noch die, die aus Augenhöhlen kriechen. Der Outsider trägt Cowboystiefel und verzehrt die Kleinsten, ist also eine Mischung aus Randall Flagg und Pennywise. Zwei legendäre Geschöpfe, hier in einer stark vereinfachten Form. Für King ist das viel zu gehabt, zu faul, ist das viel zu schwach.
Im absehbaren Showdown greift King auf bewährte, also wenig überraschende Rollenverteilungen zurück, bekannt aus „Es“ und anderen seiner Romane. Das Böse funktionalisiert einen menschlichen Helfershelfer, den der „Outsider“ zuvor mit dem Wahnsinn angesteckt und von ihm abhängig gemacht hatte.
Es bleibt erste Teil der Erzählung, der die großen Fragen stellt, Fragen zu Moral und dem Umgang mit Verdächtigen. Seit Nine Eleven, George W. Bush (und auch während Obamas Amtszeit schrieb er über ihn, Rumsfeld und Cheney) sowie natürlich Trump versteht King seine Romane als politische Kritik. Zwar reiht er auch hier, wie in „Under The Dome“ oder „Sleeping Beauties“, allerhand Landkarten-Reizwörter mehr oder weniger wahllos aneinander, Nordkorea, Russland, Nazideutschland; und einer der Helden ist natürlich, im „Make America Great Again“-Land des aktuellen POTUS, ein Mexikaner. Es gibt einen Verweis auf „Black Lives Matter“, und der vom „Outsider“ besessene Polizist Hoskins kürt sich selbst zum „American Sniper“ (er ist also die Perversion des amerikanischen Helden). Es wird alles, was sich auf der Amerika-Checkliste 2018 mit einem Häkchen versehen lässt, eben auch mit einem Häkchen versehen.
Aber Kings Einlassungen zu Fake News, Selbstjustiz, zu den Mängeln des amerikanischen Strafwesens, der Beweisführung, Angst vor radikalen Richtern, zur Vernichtung von Beweismitteln nur um das Gute zu tun, aber auch zur Vorverurteilung durch die Öffentlichkeit machen „The Outsider“ anfangs zu einem Justiz-Krimi, wie der 70-jährige ihn noch nicht gewagt hat. Das ist ihm gut gelungen.
Polizist Ralph Anderson, als „Mann ohne Meinung“ verhöhnt, wird zunehmend zerknirschter, weil er den Tatverdächtigen öffentlich verhaftete, ihn damit in der Gemeinde zum Verurteilten machte, statt ihm, bis er verurteilt wird, mit dem Respekt zu begegnen, den die Unschuldsvermutung mit sich bringt. Kein Wunder, dass der festgenommene Terry Maitland sich irgendwann wie in einem Kafka-Roman fühlt.
Wir alle müssen uns fragen, wem wir glauben, wessen Aussagen wir vertrauen, und ob Beweise echte Beweise sind. Das ist die Pointe: Der Outsider, der sich gut versteckt, offenbart sich am Ende auch nur denen, die glauben statt alles zu verifizieren.
Das liest sich so lange flüssig, bis der echte „Outsider“ und seine Jägerin Holly Gibney auf die Bildfläche erscheinen (was auch die anfangs als komplex vermuteten Figuren Howie Gold, ein erfahrener jovialer Anwalt, Bill Samuels, ein schmieriger Jung-Anwalt, sowie den Ex-Polizisten Alec Pelley schnell an den Rand drängt).
Können DNA-Proben verunreinigt sein?
Der Outsider fühlt sich wohl in den USA von 2018. Er kann in jede Haut schlüpfen und glaubt damit durchzukommen. Der Angeklagte hat ein starkes Alibi, einen tadellosen Ruf? „Wenn es Beweismaterial und Augenzeugen gibt, sind Alibi und Ruf bedeutungslos.“
Es erscheint fast als Witz, dass es am Ende dem Staatsanwalt Samuels vor versammelter Presse gelingt, den unschuldig verdächtigten, verstorbenen Terry Maitland wegen „verunreinigter DNA-Proben“ reinzuwaschen. So läuft Amerika.
Es ist erstaunlich, wie Stephen King im Herbst seiner Karriere die Frage aufwirft, ob die phantastischen Kreaturen wirklich schlimmere Verbrechen begehen könnten als reale Mörder. Das kurz offenbarte, wahre Gesicht des Outsiders erscheint seinen Jägern als unscheinbar. Er ist ein Jedermann, der so unwirklich sein könnte wie ein Monster, aber auch so echt wie der Son of Sam oder Ted Bundy. „Die Teufel sind längst unter uns“, heißt es vor der Konfrontation mit der Bestie.
Der Outsider verteidigt sich sogar damit, dass er nicht anders sei als die Menschen. Sie schlachten Tiere, so wie er selbst eben Menschen. Er ist ihnen nahe. Seinen Untergang besiegelt der Dämon auch durch eine menschliche Verhaltensweise: Wut. Er lässt sich provozieren, wird tituliert als Kinderschänder, der seinen Schwanz nicht hochkriegt, also als männlicher Vertreter der Gattung Mensch, und stürmt blind los, direkt in die todbringende Waffe Hollys.
Das ist eine Stärke dieses gegen Ende konfus gewordenen Romans. King relativiert nicht die Verbrechen der Menschheit, er entzaubert sich vielmehr selbst: Eigentlich muss er gar keine Monster mehr erfinden. Es ist unsere Welt, in der, wie auch bei David Lynch in der dritten „Twin Peaks“-Staffel, der Atombombenabwurf über Hiroshima als „übernatürliches Ereignis“ verstanden wird – weil man kaum glauben mag, dass Menschen zu solchen Dingen fähig sind. Und die Helden zitieren Edgar Allan Poe, dessen Horror nicht so außerweltlich ist, wie es auf den ersten Blick erscheint. Er schrieb keine fantastischen Geschichten über das Übernatürliche, er schrieb realistische Geschichten über abnorme psychologische Phänomene.
Im Ex-Knacki Claude Bolton, der ebenfalls eines vom Outsider begangenen Mordes hätte verdächtigt werden können, erschuf King die hier vielleicht wichtigste Figur, obwohl sie nur am Rande auftaucht. „MUST“ und „CANT“ sind auf Boltons Fingerknöcheln tätowiert. Er war drogenabhängig und kämpft (CANT) gegen das Bedürfnis an rückfällig (MUST) zu werden.
Er steht an der Schwelle ein Verbrechen zu begehen – und an der Schwelle seiner Lust nachzugeben. Dies sind die Leute, die es vom Guten zu überzeugen, in der Gesellschaft zu halten gilt.
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