Kritik: „Nosferatu“ – Graf Orlok? Wohl eher: Graf Borelok!

Robert Eggers „Nosferatu“ ist ein seelenloser Film mit langweiligen Charakteren.

Achtung: Diese Rezension erhält Spoiler (sofern das bei einem „Nosferatu“-Film überhaupt geht).

Robert Eggers ist ein gefeierter „Visualist“. Aber kein vollendeter Geschichtenerzähler. Keiner seiner vier Filme bietet einen Payoff. In „The Witch“ fliegt am Ende ein Mädchen ein paar Meter senkrecht in die Höhe. Am Ende von „The Lighthouse“ schaut ein Mann in ein grelles Licht. In „The Northman“ jagt ein Wikinger seinen Onkel, und zum Finale schlagen beide aufeinander ein. Und in „Nosferatu“? Wir ahnen das Ende. Eine Frau mit der Hautfarbe und Frisur Isabelle Adjanis zieht den Vampir ganz nah an sich heran und lässt ihn nicht mehr los.

Robert Eggers will die Geschichte des Grafen Dracula, hierzulande auch bekannt als Graf Orlok und „Nosferatu“, gar nicht unbedingt neu erzählen. Eine kühne Haltung. Bei der Fußballnationalmannschaft hat man damals gesagt: Nicht alles soll anders werden, aber vieles besser. Auch hier gibt es die abergläubischen, „Zigeuner“ genannten Transsilvanier. Die Tesla-artige fahrerlose Kutsche. Den Kaufvertrag (für ein Grundstück, das, etwas arg eingedeutscht, in „Grünewald“ liegt), unterschrieben vor einem Kaminfeuer. Einen Zwangsjackenhäftling, der lebende Tiere isst. Sowie die Ratten und das Schiff und dann die Pest.

Trailer – „Nosferatu“:

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Aber manches sollte man einfach anders machen. Sonst wird aus Orlok ein Borelok. Man muss Klassiker neuschreiben, anders geht es nicht. Zuletzt scheiterte Kenneth Branagh mit seinen drei Filmversuchen, Hercule-Poirot-Geschichten Eins-zu-Eins nachzuerzählen, also einer literarischen Geschichte zu folgen, die in allen Filmfassungen komplett durcherzählt ist. Dabei macht Regisseur und Drehbuchautor Robert Eggers manches richtig. Er verzichtet auf Hammer-Horror-Spukelemente. Kein Weihwasser, kein Spiegelspiel, keine Kruzifixe, kein Knoblauch, und, vielleicht der größte Regelbruch, keine Fangzähne. Und, zu unser aller größtem Glück: keine x-te Wiederholung des wohl seifigsten Vortrags, mit dem der einsame Graf seinen steifen Gast in jedem Film malträtiert. „Hören Sie die Kinder der Nacht? Was für eine Musik sie machen!“

Skarsgård ist ein One-trick Pony

Von der Glaubwürdigkeit Nosferatus hängt auch die Glaubwürdigkeit eines „Nosferatu“-Films ab. Wie wenig Eggers den Ausdrucksmöglichkeiten seines Untoten zu vertrauen scheint, zeigt das Engagement Bill Skarsgårds. Anders als der physiognomisch ihm ähnliche Will Poulter ist Skarsgård ein One-trick Pony. Als eine Mischung aus muskulösem Borat, Nacktmulch und Mr. Burns weicht sein von Anfang an meckriger Hühne Nosferatu vielleicht von den Darstellungen Klaus Kinskis und Max Schrecks ab (und entlarvt sämtliche seit Wochen kursierenden Netzfotos dieses neuen Nosferatus als Fan-Fantasien). Aber spielt Skarsgård noch irgendwelche anderen Rollen außer Pennywise oder „The Crow“? Den Kopf immer gesenkt, die Augen schielen nach oben. Grundkurs evil.

Ein grundsätzlicher Fehler ist der kontinuierliche Einsatz von Jumpscares. Murnaus „Nosferatu“ von 1922 hat, genau wie Herzogs „Nosferatu“ von 1979, keinen einzigen Jumpscare – das wird oft anders erinnert. Man braucht auch keine Jumpscares. Die zwei alten Nosferatus sahen so schon furchterregend aus. Die grausigste Szene im Murnau-Film besteht nicht in einer plötzlichen Einblendung, sondern der langsamen, unerbittlichen Annäherung Nosferatus an sein Opfer Thomas im Bett. Gerade weil Thomas weiß, dass der Graf sich seine Zeit nimmt, er selbst aber wie gelähmt vom Schlafgemach aus die langsamen Schritte betrachtet, ist die Szene so furchtbar. Aber hier, im neuen „Nosferatu“: Wham, Bam, Nosferatu springt ins Bild.

CG-Wasser und CG-Schloss

Eingebettet in durch und durch computeranimiert aussehende Landschaften (entstammt auch nur ein einziges Element der Kanalfahrten einer echten Außenaufnahme?), CG-Ozeane und einem CG-Schloss (falls, wie behauptet, ein echtes Schloss als Drehort diente – dann wurde mindestens ein CG-Schleier darüber gelegt) stellt sich die Frage, ob der „Visualist“ Eggers mit seinem Dirigentenstock nicht etwa Kulissenbauer, sondern einfach ein Programmierer-Team angeleitet hat. Alles eingetunkt in 4k-Grauschattierungen, wie aus einem sehr teuren Netflix-Streifen. Ein Nolan ist Robert Eggers nicht.

„Elevated Horror“-Regisseure, zu denen auch Eggers gezählt wird, kommentieren die politische Zeit, in der die Menschen von heute leben, vor allem aber die inneren Erkrankungen, unter denen die Menschen von heute leiden. Die Figur des Albin Eberhart Von Franz (Willlem Dafoe) alias van Helsing diskutiert das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Alchemie, Religion und Aberglaube. Es ist das Jahr 1838, und nicht überall hat die Medizin das Sagen. Das nutzt auch Vampirjäger Von Franz aus, der sich, wie sein Arztkollege Sievers (Ralph Ineson) schwer tut, die Pest (Coooooooovid!) richtig zu deuten und die Menschen zu retten.

Ist das Sexualität?

Das größte Versagen Eggers jedoch ist die Konzeption seiner Hauptfigur Ellen (Lily-Rose Depp). Nicht wegen ihrer haarsträubenden Sätze, von denen der lustigste dieser ist: „Wie kann ich noch weinen – wenn alle meine Tränen doch vergossen sind?“ Ihre nicht rationale, durch einen Bann hervorgerufene Lust auf den Grafen Orlok ist, vorsichtig formuliert, keine feministische. Frauen, die in barocken Herrschaftsverhältnissen ihre Lust nicht ausleben dürfen und für die Sexualität etwas Bösartiges darstellen soll, kommen in Historienfilmen naturgemäß häufig vor.

Es ist auch keine Raketenwissenschaft, Vampirfilme so zu deuten, dass der Blutsauger ein geheimes Lustobjekt ist. Nur: Wenn der Vampir derart abstoßend aussieht wie gerade dieser Nosferatu, und Ellen gerade von diesem Vampir so hart begattet werden will, wie ihr geliebter Ehemann Thomas es nie könnte, sprich, der Nosferatu zum Sinnbild für die eigene Sexualität wird – dann wird Sexualität zu etwas Abstoßendem, ja Abartigem.

Man kann die Samtmantelvampirfilme, mit Dracula als Charmeur, also mit Frank Langella, Gary Oldman, manchmal sogar Christopher Lee, veraltet und uncool finden. Aber die sind Vampire, bei denen es Sinn ergibt, dass man auf sie abfährt. Keine Widerlinge, denen eine Frau sich ergibt, weil sie „verzaubert“ wurde. Ellen ist dem Grafen Orlok anfangs nur in ihren Albträumen begegnet, hat bis zur ihrer tödlichen Umarmung keinen einzigen friedfertigen, geschweige denn autoritären Satz mit ihm geredet, und ist seinem perversen Bann doch verfallen. Am Ende immerhin hat sie die Kontrolle. Über das Monster an ihrer Brust.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates