Kritik: Neil Young + Promise Of The Real in Berlin – Motorsäge der Musik
Ein Quietschen und ein Kreischen ertönt in der Waldbühne, wenn Neil Young seine Gitarre anschließt.
„Rust Never Sleeps“ erschien in Deutschland am 2. Juli 1979. Genau 40 Jahre danach gab Neil Young mit Promise Of The Real in Dresden das erste deutsche Konzert seiner Tournee. Einen Tag später verbeugt sich Young auf der Waldbühne in Berlin im Sonnenuntergang schon zu Beginn. Es wird ein denkwürdiger Abend.
„Das ist ein toller Ort, den ihr hier habt!“, bewundert Young nach „Heart of Gold“ die Kulisse. Beim bekanntesten seiner vielen Songs wird auch am augenscheinlichsten, welche Strahlkraft der Songwriter besitzt. Bereits vorher, mit „Everybody Knows This Is Nowhere“ (Crazy Horse), „Mr. Soul“ (Buffalo Springfield), „Helpless“ (Crosby, Stills, Nash & Young) und „Old Man“ verneigt sich Neil Young vor sich selbst. Der ungeschliffene Diamant der Rockmusik, er funkelt hell an diesem Abend, auch seine unverwechselbare Stimme will und muss Young heute nicht leugnen. Das wird unterstrichen von „Lotta Love“, das der Sänger mit seiner Band in ein elegisches Country-Gewand kleidet. Und in jenen ruhigen Momenten, bei denen Crazy Horse teilweise ihre Grenzen haben, geben Promise Of The Real Neil Young die nötige Atmosphäre. „Walk On“ und „Winterlong“ sind nur zwei der vielen Perlen im Programm: Young und POTR sind wundervoll zusammen, wie sie hier die einzelnen Töne sezieren und analysieren.
AmazonDann kommt der Youngsche Vorschlaghammer: Am Dresdner Elbufer waren es „Powderfinger“, „Cortez The Killer“ und „Like A Hurricane“, die man in Berlin auch gern hören würde – doch wer könnte schon die perfekte Setlist für ein Neil-Young-Konzert aufstellen? Hier jedenfalls zimmert Young das Riff von „Hey Hey, My My“ an die Fassade der Waldbühne. Seine E-Gitarre rasiert durch die 20.000 Köpfe, es quietscht und zerrt, es fiept und kreischt – so ist es recht. Neil Young und die Motorsäge der Rockmusik.
„Rockin‘ In The Free World“ ist eine weitere Klimax, Young und Promise Of The Real zögern sie noch länger hinaus, reizen das Finale noch mehr aus. Young täuscht zum Gitarren-Zerschmettern an, doch stattdessen nimmt der 73-Jährige seine „Old Black“ – die Saiten in alle Richtungen abstehend – als Krückstock für einen Spaziergang auf dem Laufsteg. Seinen Humor hat Young auch noch.
„I tried to plug in it / I tried to turn it on / When I got it home / It was a piece of crap“, singt er im letzten Song. „Etwas Spirituelles zum Schluss“, feixt Neil Young anschließend. Es ist noch lange nicht vorbei.
Setlist:
- Country Home
- Everybody Knows This Is Nowhere
- Over and Over
- Mr. Soul
- Helpless
- Old Man
- Field of Opportunity
- Heart of Gold
- Words (Between the Lines of Age)
- Lotta Love
- Walk On
- Winterlong
- Bad Fog of Loneliness
- Danger Bird
- Hey Hey, My My (Into the Black)
- Love and Only Love
- Rockin‘ in the Free World
- Roll Another Number (For the Road)
- Piece of Crap