Kritik: Linkin Park in Hamburg – ein Warm-Up, eine Machtdemonstration
Linkin Park sind zurück. In neuer Formation, mit neuem Material. Im Rahmen ihrer Mini-Welttournee machten sie auch einen Tourstopp in Hamburg, um sich dort zu präsentieren. Die Erwartungen waren riesig. Und die neue Sängerin Emily Armstrong steht vor gleich drei Herausforderungen.
Das muss sie sein, diese fear of missing out, von der sie immer alle sprechen, denn mal ehrlich, so oft erlebt man das ja tatsächlich nicht. Eine Arena, die sich nahezu vollständig bereits beim Auftritt des Voracts auf ihren Plätzen eingefunden hat, einen Merch-Stand, der zu diesem Zeitpunkt bis auf ein paar ungeliebte Longsleeves und bedruckte Jutebeutel leergekauft ist. Und gut, dass das Konzert, nein das Event heute, überhaupt bereits nach einer gefühlten Minute ausverkauft war, davon muss man gar nicht erst sprechen. Selbst das Stadtmarketing will nichts von dem Hype verpassen. Vorsorglich hat man den Altonaer Volkspark für diesen Sonntag rein symbolisch zum „Linkin Park“ umbenannt. Naja.
So ist das dann halt, wenn eine der größten Rockbands dieses Jahrhunderts ihr Comeback ankündigt und auf einer kurzfristig anberaumten Mini-Welttournee über vier Kontinente und sechs Dates einen Abstecher nach Hamburg macht. Da wollen alle dabei sein. Da will niemand etwas verpassen. Vor der Bühne werden mit der Reisegruppe noch schnell ein paar Selfies geschossen. Wer heute hier reingekommen ist, das scheint das Grundgefühl zu sein, das über der Hamburger Barclays Arena liegt, der wohnt möglicherweise etwas Historischem bei.
Kaum eine Band hat in den frühen 00er-Jahren so sehr das Lebensgefühl der Millennials geprägt
Klar ist in jedem Fall, dass dieses Comeback kein gewöhnliches Comeback ist. Sieben Jahre nach dem Tod von Chester Bennington haben sich Linkin Park re-formiert, die neue Frau an der Front ist Emily Armstrong, auf die nun die Augen der Welt gerichtet sind. Kaum eine Band hat in den frühen 00er-Jahren so sehr das Lebensgefühl der Millennials geprägt, wie Linkin Park. Und selten war der Ausdruck all der Wut und Verzweiflung einer Generation so stark mit einer Stimme verknüpft, wie mit der von Chester Bennington. Daher ist die Frage, die im Raum steht natürlich die: Kann, ja, darf es ein Linkin Park ohne Bennington überhaupt geben?
Allein der heilige Ernst, mit der diese Frage debattiert wird, zeigt, welch einen Nimbus diese Band noch immer hat. Doch es ist gerade diese kultische Verehrung der Band, die dazu beiträgt, dass der Blick auf Linkin Park in der Rückschau, nun ja, etwas unscharf geworden ist, denn ehrlicherweise ist es ja so, dass die Apotheose der Band die Tatsache überdeckt, dass Linkin Park bereits nach ihrem Zweitwerk „Meteora“ in ihrer Originalität auserzählt waren und sich fortan auf eine 14 Jahre lange und 5 Studioalben umfassende Selbstfindungsphase begeben haben.
Die Existenzkrise war so fundamental, dass nicht einmal Rick Rubin mehr helfen konnte
Auf dieser Reise haben sie zwar noch immer große, manchmal auch übergroße Hits geschrieben, aber sie konnten selten noch auf Albumlänge überzeugen, geschweige denn die Antwort darauf finden, wer oder was man musikalisch eigentlich sein wollte.
Die Existenzkrise war so fundamental, dass nicht einmal Rick Rubin mehr helfen konnte. Er reduzierte die Band auf die Essenz einer Stadion-Mainstream-Rockband, in dessen Spektrum sie sich fortan bewegte. Mal ein bisschen elektronischer („A Thousand Suns“), dann wieder versuchsweise härter („The Hunting Party“), wobei, naja, die Sache mit der Härte, natürlich relativ ist.
Verglichen mit ihrem Frühwerk waren die späten Linkin Park eher so Kuschelrock, gemessen an allem anderen, was in dieser Zeit so passierte, könnte man sagen, Linkin Park waren seit den 2010er-Jahren eine der härtesten nicht so harten Bands, die es in diesem Jahrzehnt gab. Will sagen: Die Frage, nach ihrer Identität ist eine Frage, die sich schon sehr lange stellt – nicht erst mit einer Neubesetzung.
Wahrscheinlich geht sie sogar auf den Moment zurück, in dem Linkin Park einer Szene zugeordnet wurden, mit der sie selbst immer fremdelten. Denn für den hypermaskulinen NuMetal-Boysclub war der von Selbstzweifeln und Brüchen geprägte und von melancholischer Sensibilität getragene Sound von Linkin Park schon immer eine Besonderheit.
Hamburg also, an einem warmen Sonntagabend im September 2024. Welche Band wird uns da heute erwarten? Eine mit viel Selbstbewusstsein, das lässt sich schon vorab sagen. Die Bühne ist in der Mitte der Arena positioniert. Keine große Kulisse, nur eine Stage und zwei darüber hängende Video-Würfel. Nicht einmal bemerkenswerte Visuals wurden konzipiert. Hier und da ein paar Laser. That’s it.
Linkin Park wollen keine Show
Linkin Park wollen keine Show. Linkin Park wollen musikalisch überzeugen. Und das gelingt ihnen ziemlich schnell. Um 20.40 Uhr betritt die neue, alte Band die Bühne, und schon von den ersten Akkorden zu „Somewhere I Belong“ an, gibt sich das 15.000-Menschen starke Publikum in Hamburg beinahe bis zur Selbstaufgabe hin.
Es braucht noch einen zweiten Song („Crawling“), um dann auch die letzten Fragen und Nebengeräusche dieser Re-Formation komplett in den Hintergrund zu rücken. Wer über die Neubesetzung weshalb enttäuscht war und mit wem oder was Armstrong Verbindungen oder Sympathien hegen soll, das dürfte hier keinen, ja, wirklich keinen Besucher mehr interessiert haben, zumal die Frage, die man sich jetzt stellt, eine ganz andere ist, die Frage nämlich, wie Armstrong, die mit ihrer bisherigen Band Dead Sara in maximal mittelgroßen Venues auftrat, die Selbstsicherheit und Bühnenpräsenz gewinnen konnte, die es braucht, um eine Arena so im Griff zu halten, wie sie das an diesem Abend tut.
Zumal sie vor einer dreifachen Herausforderung steht. Armstrong muss ja nicht nur gegen den über alles schwebendem Geist von Bennington ansingen, sondern auch gegen die massiven Gitarrenwände von ebenfalls Neuzugang Alex Feder, der den eigentlich Gitarristen der Band, Brad Delson, auf sämtlichen Touren vertritt.
Und schließlich muss sie auch gegen die eigenen Fans ansingen, die das gesamte Set über textsicher bleiben und den Frust über die vergangenen sieben Linkin-Park-losen Jahre hinausbrüllen. Nach rund zwanzig Minuten hat Armstrong den perfekten Ton gefunden und changiert zwischen superharten („Faint“, Highlight des Abends: „One Step Closer“) und superweichen („My December“, „Breaking The Habit“) Songs, spielt ihre gesanglichen Stärken auch bei den Midtempo-Nummern („The Catalyst“, „Burn it Down“) nahezu perfekt aus.
„Emily-Emily“-Sprechchöre
Dass eine Neubesetzung so eigen bleibt und zugleich doch so sehr die vokale Essenz ihres charakteristischen Vorgängers einfängt, das ist bislang nur einmal ähnlich beeindruckend gelungen. Auch William DuVall konnte bei Alice In Chains den verstorbenen Layne Staley eindrucksvoll auf der Bühne vertreten. Wie sehr auch das Hamburger-Publikum von dieser Leistung angetan ist, drückt sich in der Transformation der anfänglichen „Linkin Park“- in spätere „Emily-Emily“-Sprechchöre aus.
Die Setlist selbst ist ein wilder Ritt durch das Gesamtwerk, ein Greatest Hits-Set, denn tatsächlich werden (beinahe) alle Single-Auskopplungen der 18-jährigen Bandgeschichte von 1999-2017 gespielt. Weder die Fans der ersten, noch die der zweiten Stunde kommen hier zu kurz, bloß die Liebhaber des Linkin Parkschen-Spätwerkes (falls es die überhaupt geben sollte), werden vernachlässigt. Von „The Hunting Party“ (2014) und „One More Light“ (2017) landet kein einziger Song in der Hamburger Setlist.
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Eine Mischung aus Warm-Up und Machtdemonstration
Dieses Konzert ist in erster Linie eine Mischung aus Warm-Up und Machtdemonstration. Der Auftritt ist aber auch die Rückschau einer Band, die wieder massiv nach vorne drängt. Und der Blick in Gegenwart und Zukunft dürfte umso erfreulicher ausfallen, als die neue Single „The Emptiness Machine“ vom Publikum beinahe genauso euphorisch gefeiert wird, wie die alten Klassiker.
So euphorisch vielleicht, dass die Band in der Zugabe die Weltpremiere eines weiteren neuen Songs feiert und „Heavy Is The Crown“ vom angekündigten neuen Album „From Zero“ präsentiert. Armstrong trägt dabei das pinkfarbene DFB-Trikot und erntet dafür noch mehr Liebe, als sie an diesem Abend eh schon bekommt.
Das Beste an dieser Show in Hamburg ist entsprechend gar nicht Mal der Blick auf die Vergangenheit, der macht viel Spaß, klar, aber das Beste ist, dass die Band an diesem Abend Lust auf das macht, was noch in der Zukunft liegt. Es ist lange her, dass Linkin Park so viel Potential hatte, sich noch einmal selbst ganz zu definieren.
Es gibt zumindest in diesem Publikum keinerlei Zweifel oder Kontroversen: Diese Band, in dieser Besetzung, das sind sie, die neuen, alten Linkin Park. Der Selbstfindung waren sie schon lange nicht mehr so nah.