Kritik: Die Ärzte live auf dem DÄmpelhofer Feld – eine wichtige Band, vielleicht wichtiger denn je

Die anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg kamen mehrfach zur Sprache, und Bela B. präsentierte seine prachtvolle „Fuck AfD”-Halskette

Sie liebe „The Doctors”, habe allerdings trotz mehrfachen Nachfragens noch kein Band-T-Shirt von ihnen bekommen, sagte Kim McAuliffe, Sängerin und Gitarristin von Girlschool. Die 1978 gegründete Londoner Band verfügt als erste komplett weibliche Hardrock-Band über ein druckvolles Repertoire, welches in der Spatsommernachmittagssonne durch das wehende Spätsommerlüftchen in allerlei anregende Flanger-Effekte Richtung Hawkwind gepustet wurde – passend dazu spielten Girlschool dann auch ein Stück von einer Split-E.P. mit Motörhead, bekanntlich Lemmy Kilmisters Folgeprojekt nach Hawkwind.

Ihre Peroxidmähnen und Cockney-Akzente erinnerten an toughe Pub-Barkräfte, ihre gelassene Spielfreude verbreitete relaxte Atmosphäre – sie müssen sich oder der Welt nichts mehr beweisen. Toll!

Beweisen müssen Die Ärzte auch niemandem mehr etwas. Dennoch war das Konzert auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Berlin-Tempelhof – von den Gastgebern ihren Initialien gemäß in „DÄmpelhofer Feld” umbenannt – als dringliche Angelegenheit: Bei den hier anwesenden 60.000 Menschen könne man sich ziemlich sicher sein, dass sie keine Nazis seien, so die Band. Und immerhin sei es das erste von drei Konzerten. Im Lauf des Abends kamen die anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg mehrfach zur Sprache, Bela B. präsentierte seine prachtvolle, von der Wasserprojekt-NGO Viva Con Agua entworfene „Fuck AfD”-Halskette.

Schon das früh gespielte Stück „Hurra” vom 1995 erschienenen Album „Planet Punk”, in welchem das in der Nachwendezeit oft beschworene „Ende der Geschichte” persifliert wird, entwickelte im Zusammenhang der heutigen politischen Weltlage eine doppelte Prägnanz: Was damals schon nicht stimmte, wird heute besonders bitter deutlich.

Natürlich durfte auch „Westerland” nicht fehlen

Auch das frühe Image der Ärzte als apolitische Blödelband mit billigen Schock-Taktiken stimmte nicht, bekanntlich kombinieren sie dies seit ihrem Comeback 1993 mit deutlicher politischer Positionierung. Wie kostbar es sich anfühlt, hier, vor dem von Nazi-Architekt Ernst Sagebiel entworfenen Terminalgebäude, zu vielen jener Blödelpunklieder mit Leuten, die sicher keine Nazis sind, ein bisschen zu feiern: Das zeigt, in was für Zeiten wir leben.

So waren es also nicht nur die politischen Stücke – „Meine Freunde” oder die kürzlich vom letzten Album „Dunkel” veröffentlichte Single „Demokratie”-, sondern auch die Teen-Angst-Liebeslieder unsere Jugend wie „Wie am ersten Tag” oder das immer noch sehr komische „Du willst mich küssen”, die das Gefühl des Moments transportierten. Natürlich durfte auch „Westerland” nicht fehlen; angesichts der jüngsten Sylt-Ereignisse kam diesem Stück eine Art Brückenfunktion zwischen Teen-Sehnsucht und politischer Signifikanz zu.

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Wie sie eben ja auch Die Ärzte selber einnehmen: Gerade weil sie so schön doof sein können, gerade weil sie sich, wie Farin Urlaub, über einen als Banane verkleideten Fan freuen können („Danke, liebe Banane”), gerade weil Bela B sich in seinen Ansagen im Handumdrehen vom postironischem Showmaster zum politischen Mahner wandeln und dann wieder unfassbaren Quark wie „Der Graf” oder die am besten als Ägypto-Elektro zu beschreibende Showeinlage „Bitte bitte” aufführen kann, ohne dass sich das wie ein Widerspruch anfühlt, gerade weil sie „Mitten in die Fresse” spielten, gerade weil Bassist Rodrigo Gonzalez ein Medley aus einem Cover von „Words don’t come easy” und „Lady” in Karaoke-Stimme sang, gerade weil Die Ärzte sich nach wie vor einen Dreck um tightes Zusammenspiel kümmern und ständig proberaumbierselige Musik-Witze einbauten – das Riff von „Eye of the Tiger” am Ende von „Ist das Alles”! -, gerade weil sie all dies und viel mehr aus ihrem merkwürdig alltäglichen Universum zusammenbrachten und das alles so, nun ja, menschlich zugewandt war, fühlten sie sich an diesem Abend wie eine wirklich wichtige Band an.

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Danach brauchten sie den hochaktuellen „Schrei nach Liebe”, die vorletzte von vielen Zugaben, nicht mehr anzumoderieren. Das T-Shirt haben sie der netten Rockerdame bestimmt auch noch geschenkt.

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