Kritik: Bob Dylan live in Berlin – Im Barrique gereift

Bob Dylan und seine Band lassen den Folk der Sechziger zu einer warmen Genre-Melange herangedeihen.

Als bei „Simple Twist Of Fate“ zum ersten Mal am Abend die Töne durch die Luftkanäle der Hohner schnattern, kommt bei den Menschen im Saal die Erleuchtung: Das ist die Mundharmonika von Bob Dylan. Der Charme dieses Trademark-Sounds umschmeichelt selbst die sterile Seelenlosigkeit der Mercedes-Benz Arena.

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Dylan spielt sie mehrmals am Abend, dabei sitzt er meistens am Klavier. Das Piano beackert er wie einen zickigen Rappen – mal drischt er im Stehen darauf ein, mal streichelt er es im Sitzen. Von der Akustik- zur E-Gitarre zum Klavier. Die altersmilde Konsequenz eines Künstlers, der schon lange niemandem mehr etwas beweisen muss. Das Instrument kommt dem 77-Jährigen physisch entgegen, die Klaviatur bringt ihm mehr Möglichkeiten – immer die Band im Blick.

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Sein neues altes Spielzeug, es ist schon verankert in der allgemeinen Erwartungshaltung – sein Wechsel vom Griffbrett zur Tastatur ist bekannt, man wäre überrascht, wenn der Songwriter eine Gitarre in die Hand nehmen würde. Und das hat schon was: Der in Ehren ergraute Troubadour am schwarzen Flügel, mit Glitter auf dem Jackett und Weisheit auf dem Haupt. Immer wieder modelt Dylan in der Pause an seinem verwuschelten Haar herum – eitel war er immer. Er will schließlich gut aussehen für sein Publikum.

Dylan eröffnet die Show mit seinem Lebensmotto „Things Have Changed“, der zwar mit Hinblick auf die Setlist nicht zutrifft, aber er hat so recht, wenn er zetert „People are crazy and times are strange / I’m locked in tight, I’m out of range / I used to care, but things have changed“. Das Gellende und Nasale in seinem Gesang ist einem wärmeren und gesättigten Timbre gewichen – das steht ihm ausgesprochen gut. Mit zarten und rauchigen Tönen versehen, scheint Bob Dylans Stimme wie in einem Eichenfass gereift zu sein. Sie hat eine holzige Note, fest und brüchig zugleich, weit weg vom Folk-Barden mit der Akustik-Klampfe.

Es mag paradox klingen, aber es ist womöglich das Beeindruckendste an diesem Abend – Bob Dylans Gesang.

Bob Dylan

Chamäleonartig verändert Dylan die Songs noch während des Spiels. Das bedarf einer guten Band. Und Dylans Band ist bestialisch gut. Vier Mafiosi in Anzügen, die im Hintergrund die Drecksarbeit für ihren Paten machen. Zugegeben, sie haben es nicht leicht mit ihm, wie er da gestenlos diktiert, Outros storniert und neu erfindet. „Like A Rolling Stone“ wird zum Pop-Mosaik, „Don’t Think Twice, It’s All Right“ zur Kammer-Romanze und „Gotta Serve Somebody“ zum Twang-Twister, der wirklich nur noch den Text mit der Studioaufnahme von „Slow Train Coming“ gemein hat. Die Nobelpreis-Büste und der Oscar beäugen den Mann aus Minnesota von einem Tischchen am Bühnenrand aus und belauschen seine gewählten Worte ganz genau.

Warme Worte lässt Bob Dylan aus, da ist er konsequent: Keine Ansagen. Und auch keine Show, keine Fotos. Auch wenn sich die Zuschauer gegen Ende nicht daranhalten, ist es eine entschleunigende Wohltat und ein Privileg, ein Konzert heutzutage so genießen zu dürfen. Der Sänger lässt sich zu Beginn von einer „Sacre du printemps“-Collage auf die Bühne bitten – the times they are a changin‘. Die Kulisse wird von Scheinwerfer-Kanonen in rostbraune Optik getunkt, das einen intimen Blick auf fünf Musiker beim Herumspielen im Klangkasten aus Rock, Country, Jazz und vielem mehr ermöglicht.

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In der Auswahl der Titel zeigt Dylan seine ganze Unverfrorenheit. Kein einziger Song von „Blonde On Blonde“ und „Bringing It All Back Home“, nur einer von „Blood On The Tracks“, dafür gleich vier aus seinem Spätwerk „Tempest“ und drei von „Time Out Of Mind“. Dylan macht es eben so, wie er denkt. Auch hier ist er konsequent.

Dabei spielt es eine eher untergeordnete Rolle, welche Songs es auf Dylans Setlist schaffen. Entscheidend ist eher, wie diese letztlich interpretiert werden. Das gelingt bis auf eine Ausnahme. Ausgerechnet sein womöglich wichtigster Song wird seinem Einfluss nicht gerecht. „Blowin‘ In The Wind“ verunstaltet Dylan als schlierigen Walzer ohne den Hauch der Originalmelodie.

Den Song hätte sich Bob Dylan an diesem Abend sparen können. Es wäre nur konsequent gewesen.

Setlist:

1. Things Have Changed
2. It Ain’t Me, Babe
3. Highway 61 Revisited
4. Simple Twist of Fate
5. Cry a While
6. When I Paint My Masterpiece
7. Honest With Me
8. Tryin‘ to Get to Heaven
9. Scarlet Town
10. Make You Feel My Love
11. Pay in Blood
12. Like a Rolling Stone
13. Early Roman Kings
14. Don’t Think Twice, It’s All Right
15. Love Sick
16. Thunder on the Mountain
17. Soon After Midnight
18. Gotta Serve Somebody

Zugabe:

19. Blowin‘ in the Wind
20. It Takes a Lot to Laugh, It Takes a Train to Cry

Val Wilmer Redferns
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