Kritik: Beyoncé in Hamburg – das lebende Kunstwerk
Beyoncé ist längst das, was einst die Beatles, Michael Jackson oder Madonna waren: Inbegriff und Höhepunkt zeitgenössischer Popkultur.
Die ersten aufgebrezelten Fans sind schon am Vormittag auf dem Weg ins HSV-Stadion. Einer trägt zum nackten Oberkörper einen rosa Glitzer-Cowboyhut, dazu Cowboyhosen, die man Chaps nennt. Die Chippendales lassen grüßen! Ein paar Stunden später begegnen einem breitkrempige Hüte und extravagante Garderoben auf Schritt und Tritt. Die meisten glitzern wie eine gut polierte Discokugel, Silber ist die Farbe des Abends, Geschlecht nur ein Konstrukt. Christopher Street Day in Metropolis.
Beyoncé ist längst das, was einst die Beatles, Michael Jackson oder Madonna waren: Inbegriff und Höhepunkt zeitgenössischer Popkultur. Ein lebendes Kunstwerk, das weit über die Musik hinausgeht und dabei große gesellschaftliche Themen aufgreift – Feminismus, Diversität oder Blackness. Das aktuelle Album „Renaissance“, das den Schwerpunkt der Tour bildet, zeigt das exemplarisch. Ein virtuoser Ritt durch die Geschichte der Schwarzen Popmusik, auf der Suche nach einer besseren und gerechteren Zukunft – auch und vor allem für Frauen.
Das Konzert beginnt früh und ist in acht Blöcke gegliedert, deren Themen auf einer gigantischen Leinwand visuell perfekt eingeführt werden. Das Bild einer lasziv ausgestreckten Beyoncé eröffnet den ersten, von R&B und Soul dominierten Teil. In einer roten Robe, die aussieht, wie die extrem zu kurz geratene Ordenstracht einer Nonne, singt sie als erstes die Destiny’s-Child-Ballade „Dangerously In Love“. Die Band spielt fast versteckt in einem riesigen Torbogen, alle in glitzerndem Silber. Der Sound ist fett und unfassbar perfekt! Mit „River Deep, Mountain High“ verbeugt sich Beyonce vor der verstorbenen Tina Turner, dem großen Vorbild selbstbewusster schwarzer Frauen.
Der „Renaissance“-Block startet mit grollenden Mega-Bässen und „I’m That Girl“, gefolgt von einer kraftvollen Version von „Cozy“. Zu „Alien Superstar“ flimmern futuristische Visionen über die Leinwand, ein dutzend Tänzer*innen – natürlich komplett in Silber! – verausgabt sich in quecksilbrigen Choreografien. Irgendwann thront Beyonce auf einem glänzenden Elektrofahrzeug, das an die Apollo-Mondmissionen erinnert, und fährt damit auf einer langen runden Rampe durchs begeistert tobende Publikum. Afrofuturismus und weibliche Cyborgs spielen auch in den fantastischen Animationen eine große Rolle.
Der nächste Block startet mit einer Einspielung der oft gesampelten Rede von Chuck Roberts über die Bedeutung Schwarzer Tanzmusik: „In the beginning, there was Jack. And Jack had a groove. And from this groove came the groove of all grooves“. Die folgenden Tracks funktionieren nach genau dieser Definition: „Cuff It“ und „Break My Soul“ schlagen Brücken von Disco bis Trap „Are you feeling sexy tonite?“, fragt die Sängerin. Das Publikum kreischt noch lauter und lässt Hintern und Hüften kreiseln. Über den Köpfen schwebt eine Discokugel, mit den Abmessungen einer Raumkapsel. Ständig werden die Kostüme und Choreografien gewechselt, drei Bläser (2 w, 1 m) treten für ein kurzes Solo in den Vordergrund, zwei Minuten später präsentieren sich vier Backing-Sängerinnen als klassische Girlgroup.
Dem letzten Teil der Show ist auf der Leinwand ein Zitat vorangestellt: „Whoever Controls the Media, Controls the Mind“. Doch Jim Morrison hat damit wohl etwas anderes gemeint als Beyoncé, die sich noch Vormittag auf der Show von Louis Vuitton in Paris den Kameras der Fashion-Presse präsentiert hat. Das dramatisch betitelte (und fantastisch klingende!) „America Has A Problem“ übt jedenfalls keine Systemkritik, sondern handelt von Gangs, Drogen und der Sehnsucht nach Liebe. Trotzdem: Wahnsinns-Konzert – am Ende schwebt Beyoncé als schwarze Madonna über den Köpfen der Zuschauer. Mehr geht nicht!