Kraftwerk und „Computerwelt“: Taschenrechner und Flipperkugeln
Mit „Computerwelt“ haben Kraftwerk 1981 das Tor ins Techno-Zeitalter aufgestoßen.
Im Mai 1981 waren sie noch alle an Bord. Der Ralf (Hütter), der Florian (Schneider-Essleben), der Wolfgang (Flür) und der Karl (Bartos). Nein, nicht die Originalbesetzung aus der Experimentalphase, in der Kraftwerk als Düsseldorfer Krautkunst-Projekt noch zauselige Haare hatten und auf der Bühne echte Kiekser aus der Querflöte verfremdeten. Nein, es war die Endsiebziger-Achtziger-Mannschaft, mit der die „Mensch Maschine“ und der Roboter-Mythos geboren und perfektioniert wurde.
Das im heimischen Kling-Klang-Studio aufgenommene Album „Computerwelt“ war bereits das achte der Band. Eine Platte, die in vielerlei Hinsicht Stil prägend für ihr späteres Hochkultur-Dasein war. Gerade im Trend- und Mode-verliebten Düsseldorf hatte man früh auf die heftigen Ausschläge von Punk und New Wave reagiert, die ab 1976/77 aus Großbritannien heran rollten.
Hütter und Co brachten zwischen 1978 und „Computerwelt“ ihre Technik auf den allerneuesten Stand. Ziel war es, die synthetischen Töne aus den Soundmaschinen nahezu identisch auf die Bühne zu bekommen. Noch war die Heim-Computerwelt bestimmt von klobigen Kisten mit Micro-Speichern und grünlich flimmernden Bildschirmen. Taschenrechner von Texas Instruments galten als Hochtechnologie-Produkte für Mathe-Genies und Ingenieurbüros.
Das alles antizipierten Kraftwerk noch vor den britischen Kollegen von Depeche Mode, Magazine oder Ultravox und entwickelten ihren überaus deutsch klingenden digitalen Funk weiter, der ausgerechnet im New Yorker HipHop zur Basis einer brandneuen Underground-Szenerie avancierte. Die kühlen Klangwellen des Eröffnungs-Songs „Computerwelt“ wirken aus heutiger Sicht, als hätten sie damals ein großes Tor ins Digitalzeitalter aufgestoßen. Ein gutes Jahrzehnt vor dem ersten Siegeszug von Apple.
Pieps, pieps, klinge-ling
Soundsignaturen von Casio und den erwähnten Texas Instruments lieferten Schnipsel für das eher schelmenhafte Stück „Taschenrechner“, das wie eine luftige Fingerübung von Mathematik-Studenten im Hauptseminar daherkommt. Pieps, pieps, klinge-ling multilingual für die anstehende große Welttour aufgenommen in diversen Sprachen.
Kraftwerk bleiben eng am Binärcode-Modus des Computerthemas. „Nummern“, „Heimcomputer“ oder „It’s More Fun To Compute“ haben zwar noch nicht jede kompromisslose Härte der späteren Techno-Tracks aus Detroit, Chicago und später Berlin. Doch alle Elemente, aus denen später der durchmarschierenden Four-To-The-Floor-Beat werden sollte, waren bereits vorhanden. Das minimalistische Cover in Schwarz/Gelb und die einkopierten Köpfe im Bildschirm sind wichtige Zwischenstationen auf ihrem Weg zur Bühnenroboterwerdung. Ein konzeptuell zu Ende gedachte Mutation, die über die reine Musik weit hinaus geht.
Die im Sommer 1981 beginnende Mega-Welttour hatte übrigens noch nichts von diesen musealen Weihen unserer Tage. Es gab zwar schon Videobildschirme und Terminals, doch das Konzert in den Kölner Sartorysälen vor vielleicht 1.400 Zuschauern atmete in seiner Nicht-Perfektion noch jenen Experimentalgeist, der dann in den Zehnerjahren des 21. Jahrhunderts zum viel umkreischten Retro-Futurismus-Musical werden sollte.
Damals waren die Mensch-Maschinen noch echt, oder wirkten bestenfalls wie aus der Augsburger Puppenkiste. Eindrucksvoll bis atemberaubend war es trotzdem.