Kraftwerk live: ein Käfer aus Düsseldorf
Acht Abende, acht Alben: Unser Autor besuchte eines der acht Konzerte, die Kraftwerk in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf gaben. Hier ist der Bericht zum "Trans Europa Express"
Alte Bundesrepublik. Regionalbahn 1 von Aachen nach Paderborn. Einstieg in Köln-Mülheim. Einmal quer durch NRW. Ein Bundesland mit mehr Menschen als die DDR samt Ost-Berlin. NRW ist das alte Kraftwerk-Stammland. Die Herzkammer von Industrie und Technik. Große Zeiten waren das, als Düsseldorf noch Werbegurus, Kunst-Avantgarde und Champagner-Gattinnen in Pelzjäckchen zu einem einzigartigen Nachkriegs-Gemisch fusionierte. „Sie ist ein Modell, und sie sieht gut aus“, haben Kraftwerk gesungen. Eine Ode an Düsseldorf und die alte Bundesrepublik. Ausstieg Düsseldorf HBF, dessen Wandelhalle gerade einen schicken Bodenbelag bekommen hat. U-Bahnfahrt zur Kraftwerk-Fotoausstellung von Peter Boettcher im „Forum NRW“. Auch ein Kraftwerk-Symposium gibt es. Derweilen feiern die Überlebenden der NRW-Musikszene am Freitagabend fröhliches Wiedersehen am Weintresen. Ein paar Erleuchtete dürfen dann noch zur Musik in den baumhohen Mediensaal des Kunstmuseums „K20“.
Der vom New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) übernommene Konzertzyklus verläuft über acht Abende von „Autobahn“ (1974) bis zum montierten Spätwerk „Tour De France“ (2003). Im Februar geht die ganze Sause dann in die „Tate Modern“ nach London. Bereits fünf Jahre nach dem letzten großen Album („Computerwelt“ erschien 1981) – hatte die Phase der digitalen Katalogisierung und daraufhin die Musealisierung von Kraftwerk bereits begonnen. Die Single „Tour De France“ als letztes wirkliches Highlight von 1983 ist natürlich toll. Doch auch diese hat längst Jahrzehnte auf dem Buckel. Live-Auftritte bei ausgesuchten Festivals oder Hochkultur-Happenings ersetzten für die Band, von der nur Mastermind Ralf Hütter übrig geblieben ist, das schnöde Popgeschäft. Für die Zehnerjahre kann dann nur noch die Aufnahme in das Weltkulturerbe-Liste der Unesco folgen!
Der Sonntagabend im „K20“ stand also im Zeichen von „Trans Europa Express“ von 1977. Gleich zum umjubelten Beginn der Titelsong mit spartanischer Filmbegleitung in schwarz-weiß. Die am Eingang gereichten 3-D-Brillen waren noch überflüssig. Die Magie des stampfenden Euro-Beats, der in der frühen HipHop-Kultur für soviel Bewunderung sorgte, funktioniert auch 2013. Gleichwohl ein Partyfunke nie überspringen wollte. „Typisches Sonntagspublikum“, stöhnte ein Fan-Engländer aus Manchester im „Autobahn“-T-Shirt, „Gestern abend war mehr Alarm.“ Das nachfolgende „Europa Endlos“ und ein weiterer TEE-Song machten dann auch deutlich, dass längst nicht alle Kraftwerk-Songs unvergänglich sind. Für einige Momente fühlte man sich an Waber-Elektronik-Epigonen wie Jean Michel Jarre erinnert. Nach den TEE-Songs wurde es dann bunt – 3-Brillen an! – und die Greatest-Hits-Revue begann mit „Autobahn“. Ein knuffiger Käfer rollte endlos durch die animierte Wirtschaftswunder-BRD. Vorbei an rauchenden Schloten und einer spitz aufragenden Doppelturmkirche, die mitgereiste Kölner an den heimischen Dom erinnerte. Man konnte zwischendurch zur Altbiertheke flanieren, während optisch eindrucksvoll illuminiert der zur Anti-Atomhymne umgeschriebene Song „Radioaktivität“ auf japanisch kredenzt wurde. Kraftwerk als milder Begleitsound – Music for Museums.
Diese wohlwollende, mit warmem, herzlichen Applaus begleitete Milde setzte sich zum Ende fort. „Die Menschmaschine“, „Computerwelt“ odr „Das Modell“; teils mit neuer Optik, teils mit bekannter von früheren Aufführungen. Einen wirklich kickenden Auflug in die Moderne gab es dann nur noch bei den housigen Ausschweifungen von „Tour De France“. Das Finale verbrachten diverse Zuschauer dann bereits plaudernd im weiträumigen Foyer. Sicherlich ein denkwürdiger Abend. Ein feierliches Ritual, wie mit guten Freunden den „Tatort“ vom Sonntagabend schauen. Kraftwerk sind endgültig zum nationalen Kulturgut geworden. Mit Pop hat das nur in Gedanken zu tun.
(Anm.: Die Galerie zeigt Bilder der Kraftwerk-Auftritte aus dem New Yorker MoMa).