Kräfte der Kommerzialisierung
Vor 30 Jahren erschien die erste Ausgabe einer Zeitschrift mit dem Sturm & Drang-signalisierenden Namen ROLLING STONE. Würde das Kind auf den gleichen Namen hören, wenn es 1997 das Licht der Medien-Welt erblicken würde?
Kaum. Im Rückblick gefällt mir der Name zwar immer noch, weil er nicht altmodisch, sondern im positiven Sinne konservativ die Tradition miteinbezieht; weil er symbolisch für vieles steht, was in diesen 30 Jahren passiert ist. Heute aber eine Zeitschrift mit diesem Namen zu gründen wäre deplaciert.
Aber die Frage stellt sich erst gar nicht: Unabhängig vom Namen würd ich den ROLLING STONE ohnehin nicht ein zweites Mal an den Start schicken. Im gegenwärtigen Umfeld hätte eine derartige Zeitschrift nicht mal ansatzweise die notwendige Zeit, um außerhalb des Medien-Mainstreams zu wachsen und ihre Identität zu finden.
Musik, behaupten die Trendforscher, habe das emotionale Monopol, das sie vor drei Jahrzehnten konkurrenzlos für sich beanspruchen konnte, längst an zeitgemäßere mediale Konkurrenten abgetreten. Sport etwa habe für die junge Generation längst die Felder besetzt, die früher der Musik vorbehalten waren…
Widerspruch! Auch für die heutigen Kids ist Musik nach wie vor der stärkste emotionale Faktor, ihre Musik genauso existentiell wichtig wie die von Dylan oder den Beatles für uns in den 60ern. In den 70ern waren es eben Led Zeppelin oder die Eagles, in den 80ern Springsteen und U2, in den 90ern Nirvana oder Smashing Pumpkins. Auch wenn das die ältere Generation vielleicht nicht nachvollziehen kann oder will: In ihrer jeweiligen Lebenssituation bedeutet Musik den Kids genauso viel wie uns damals.
Bei Minoritäten, der farbigen Minorität in den USA etwa, ist Sport vielleicht die wichtigere emotionale Plattform geworden – der Weg aus dem Ghetto führt nun einmal am schnellsten über eine Sport-Karriere -, aber für die Mehrheit hat Musik nach wie vor emotionale Priorität.
Hat denn nicht der mediale Overkill, ausgelöst u.a. durch MTV und die Videoclip-Schwemme, dazu beigetragen, daß Musik eben nicht mehr die gleiche, quasi-existentielle Bedeutung wie vor 30 Jahren hat?
Zugegeben, Musik ist heute weniger einmalig, hat nicht mehr die exklusiven Zugriffsrechte auf die Phantasie der Menschen. Aber es ist nun mal auch eine komplexere, kompliziertere Welt, in der wir leben.
Schreibt man die Entwicklung in die Zukunft fort, sieht es doch arg finster für den Stellenwert von Musik – und ergo auch von Musikzeitschriften aus…
Was keine Entschuldigung sein kann, die Hände fatalistisch in den Schoß zu legen. Immerhin haben wir es 30 Jahre lang geschafft, auf die Veränderung der Musikszene nicht nur zu reagieren, sondern sie auch zu prägen. Natürlich unterliegt der Stellenwert von Musik zyklischen Schwankungen: Mal ist jahrelang tote Hose, mal kommt ein kreativer Schub nach dem anderen.
Aber schließlich covert der ROLLING STONE auch andere Themen. Wenn die musikalische Entwicklung einmal stagniert, orientieren wir uns eben an Themen, die sich zeitweilig in den Vordergrund schieben – sei es nun Politik, Film oder Literatur. Für Zeitungsmacher ist es eine extrem spannende Zeit.
Kann eine Zeitschrift heute überhaupt noch „alternativ“ sein?
Alles ist Mainstream, mehr oder minder. Und die, die dieses Attribut trotzdem für sich reklamieren, kaschieren damit vermutlich nur ihre kommerzielle Erfolglosigkeit.
Viele ROLLING STONE-Leser der ersten Stunde haben Dir nie verziehen, daß Du aus einem sperrigen Sprachrohr der Subkultur ein Hochglanz-Produkt gemacht hast, das Treffpunkt des werbetreibenden Establishments geworden ist. Wobei andererseits die Realität gezeigt hat, daß der Schritt notwendig war, weil die Zeitung sonst vermutlich nicht überlebt hätte.
Exakt. Abgesehen davon, daß ich immer eine professionelle Zeitung machen wollte, war es eine instinktive Reaktion auf die veränderte Zeit. Wir leben nun mal in einer hochgradig kommerzialisierten Pop-Culture-Welt Punkt Und weil dem so ist, habe ich diesen Vorwurf auch schon lange nicht mehr gehört. Im Gegenteil: Viele, die ihn früher gemacht haben, haben ihn inzwischen kleinlaut zurückgezogen.
Heulen mit den Wölfen, Schwimmen mit den Haien also? Hätte die Entwicklung dieser Pop-Culture nicht anders verlaufen können, wenn der ROLLING Stone seine Rolle als „alternatives“ Sprachrohr beibehalten hätte?
(Lacht) Nein. Die Kräfte der Kommerzialisierung waren und sind ungleich stärker als ein kleines Magazin aus San Francisco. Die Frage der Integrität stellt sich für mich so nicht. Ich kann meine Integrität durchaus bewahren, wenn ich mich auf eine veränderte Zeit einstelle. Das gilt nicht nur fürs Zeitungsmachen, das trifft auch auf jede Art der kreativen Arbeit zu. Absolut niemand wäre heute mehr interessiert an einem schlecht geschriebenen und amateurhaft layouteten Magazin aus San Francisco, das sich obendrein noch mit chronischen Finanzproblemen herumzuschlagen hätte. Nein, es würde nicht funktionieren, weil es nicht in die Zeit paßt.