Konzertkritik: Paul Weller live In Berlin – Wie einst im Mai
Bei seinem ausverkauften Konzert im Huxleys navigierte der britische König des Blue-Eyed Soul souverän durch Songs von The Jam, The Style Council und seiner Solokarriere.
Man bekommt keine Karte mehr vor dem Huxleys. Schon an der Straße rufen verzweifelte Männer: „Haben Sie zufällig noch ein Ticket?“ Aber man ist ja nicht zufällig hier. Paul Weller, Modfather und König des britischen Blue-Eyed Soul, tritt in Berlin zwischen einer Kik-Filiale und einem Wettladen auf.
Zwei Dinge wurmen diesen in England hoch berühmten und kolossal erfolgreichen Künstler: In Deutschland tritt er noch immer in sogenannten mittleren Clubs auf. Sie sind zwar voll. Aber es sind keine Hallen. Und er hat die Zählkrankheit wie früher George Michael: Bei jedem Auftritt in Deutschland erwähnt er, welche Position seine letzte Platte in den deutschen Charts hatte. Zuletzt immer ein bisschen höher. Und Paul Weller, der mindestens vier der bedeutendsten britischen Pop-Platten gemacht hat, ist stolz.
Außerdem ist er 64 Jahre alt. Und sieht aus wie ein Gott. Niemandem steht ein legerer Pullover besser. Das Publikum spiegelt alle Phasen Wellers seit The Jam, aber Fred Perry, Ringel-T-Shirts und Blousons überwiegen doch. Auch Wellers Programm ist schwer eklektisch: Er hat das Style Council wiederentdeckt, so wie jeder es wiederentdeckt. Nach dem hämmernden „From The Floorboards Up“ spielt er „My Ever Changing Moods“ in einer der schönsten Fassungen seit 1984.
Zwei Schlagzeuger – der eine eher Percussionist -, Steve Cradock an der Gitarre, Bassist Jake Fletcher und ein Saxofonist und Flötist bilden die sagenhaft lässig aufspielende Band. Vor dem geistigen Auge der Erinnerung sieht man vorn links Mick Talbot, als Weller „Headstart For Happiness“ anstimmt, einen der frühesten und besten Songs des Style Council, gefolgt von einem Stück von „Sonik Kicks“ und einem neuen Song. Danach „Stanley Road“ und „All The Pictures On The Wall” von „Wild Wood”: “It only reminds me of it all.”
Dann folgt die experimentelle Phase mit „Fat Pop“ und ausgedehnten Instrumentalpassagen, bevor Weller „ein altes Stück“ ankündigt. Es ist „Shout To The Top“. Neben mir sagt Carsten: „Damals habe ich die Maxi-Single gekauft.“ Hätte es noch Maxi-Singles gegeben, hätte ich sie von „Above The Clouds“ und „Into Tomorrow“ gekauft, beide von Wellers erstem, nun: Soloalbum von 1992. Beide wunderschön arrangiert.
Jetzt sagt Paul Weller einen weiteren Song des Style Council an: „It’s a Very Deep Sea“. Denn das ist das Dritte, was ihn wurmt: „Confessions Of A Pop Group“ wurde 1988 nicht verstanden (und auch nicht gekauft). Und diese Klavierballade spielt er immer mal wieder. Dann kommt der perfekt sitzende „Peacock Suit“, umstandslos „Start!“ von The Jam, das immer großartige „The Changingman“ und das verträumte „Porcelain Gods“. Zum Abschluss: „Wild Wood“ an der akustischen Gitarre und „You Do Something To Me“. Neben mir schmust ein Paar wie einst im Mai.
Ich hätte mir noch „The Paris Match“ und „Long Hot Summer“ gewünscht, aber nicht einmal bei Paul Weller kann man alles haben.