Konzerte müssen nicht XXL-Länge haben, um gut zu sein
Bruce Springsteen und Taylor Swift spielen mehr als 3 Stunden. Jack White schüttelt darüber nur den Kopf.

„Die Beatles und die Ramones spielten damals 30-minütige Sets“, daran erinnert Jack White in einem Statement, nachdem Fans ihm vorwarfen, viel zu kurze Live-Auftritte zu spielen. Knapp 85 Minuten dauern derzeit die Gigs des Sängers und Gitarristen auf seiner „No Name“-Tour. Mit den White Stripes spielte er nicht viel länger. Braucht es eine große Ladung Rock-Schweiß, damit ein Konzert nachhaltig in Erinnerung bleibt?
Bruce Springsteen spielt mit seiner E-Street-Band weit über drei Stunden. Taylor Swift platzierte in ihre „The Eras“-Setlist regelmäßig fast 50 Songs. Pearl Jam und Guns N’Roses machen es gar nicht unter 2,5 Stunden. Und bei The Cure würde man sich bei einem 90-Minuten-Set vielleicht fragen, ob nicht einfach zu viele gute Lieder ausgespart wurden.

Konzerte mit Überlänge werden zur Regel
Die Tendenz zur Überlänge zeichnete sich schon vor längerer Zeit ab. Nostalgiker erinnern sich gerne an Grateful Dead. Aber wer lange spielt, der mutet seinem Publikum auch sehr viel zu. Auch Live-Auftritte haben eine Dramaturgie. Deswegen sind Shows von Taylor Swift oder Coldplay gut durchgetaktete und mit allerhand Effekten umrahmte Performances. Platz für Überraschungen gibt es da – unabhängig von der Platzierung bestimmter Stücke – wenig.
White sagt wohl nicht umsonst: „Als ob die Länge eines Konzertes bestimmt, wie ‚gut‘ es ist.“ Sicher, die Eintrittspreise steigen seit Jahren. Für die Großen im Zirkus sind 150 Euro und mehr für Tickets völlig normal geworden. Mögen die gestiegenen Kosten rund ums Live-Geschäft auch einen Aufschlag rechtfertigen, zugleich steigt dann auch die Erwartungshaltung des Publikums. Ein Familienbesuch bei Oasis verschlingt mit Hotel-Aufenthalt und Extras drumherum gleich ein Monatsgehalt. Wer so viel bezahlt, pocht auch auf einen abendfüllenden Gig – gibt sich nicht mit einem Best Of von 17 Songs zufrieden.
Doch eine solche Forderung ist nicht im Sinne der Kunst. Wer länger spielt, schenkt seinen Songs gewiss nicht mehr Konzentration. Ein dramatischer Spannungsbogen muss mühsam erst erzeugt werden. Keine Musikerin, kein Musiker und auch keine Band hat ein Repertoire von 30 Songs und mehr, die alle gleich gut sind. Manches ergibt erst in der richtigen Kombination, etwa mit anderen Tracks, Sinn.
Vor allem die Großen leisten sich Mega-Konzerte
Nicht vergessen werden sollte, dass solche langen Konzerte für alle Beteiligten eine physische Herausforderung sind. Sängerinnen und Sänger müssen hart an ihrer Stimme arbeiten oder sie mehr auf die Show ausrichten. In härteren Genres werden Gitarrenarbeit und Schlagwerk zur Herausforderung. Darüber hinaus bedeuten längere Shows auch höhere Kosten für Crew, Sicherheit und Technik. Für kleinere oder mittelgroße Acts kann das ein Problem sein. Längere Konzerte demonstrieren auch eine Zwei-Klassen-Gesellschaft im Musikgeschäft.
Aber auch das Publikum sollte die Möglichkeit haben, sich zu 100 Prozent auf etwas einlassen zu können. Nach spätestens 90 Minuten sinkt die Aufmerksamkeit rapide ab. Bei Stehkonzerten ist zudem viel Beinarbeit gefragt. Wer sich nicht mehr konzentrieren kann, guckt öfter während seines Gigs auf sein Handy oder trinkt mehr Bier, als gut tun würde. Neuentdeckungen werden so seltener gemacht. Das Konzert wird zum Event, von dem erwartet wird, dass es nicht enttäuscht.
„Wenn ich könnte, würde ich auch nur noch kurze Konzerte geben“, sinniert Jack White. „Ich habe eine Vielzahl von Rock’n’Roll-Konzerten gesehen, die nur 45 Minuten dauerten und mich umgehauen und unglaublich inspiriert haben (…). Die Leute sind erschöpft, ohne dass es drei Stunden braucht. Das ist so, als würde man sagen, dass ein Film schon besser wird, weil man 300 Milliarden [Dollar] dafür ausgegeben hat, aber solch einen Film werden wir nie zu sehen bekommen.“

Jack White hat recht! Wie man nach einem guten Film anschließend von einem Gespräch darüber mit Freunden profitiert und bestenfalls das Werk noch einmal völlig anders empfindet, ist es auch für ein Konzert schöner, wenn man danach nicht betäubt sofort ins Bett fällt. Es müssen ja nicht nur 90 Minuten sein. Aber nach zwei Stunden ist noch jeder beglückt.