Konzerte im Schatten des Terrors: Die Kosmetiktäschchen bleiben erlaubt
Längere Wartezeiten, verstärkte Kontrollen … und dann spielen Zuschauer auch noch Pokemon Go vor der Bühne. Der Live-Betrieb steht vor neuen Herausforderungen. Die Sicherheits-Lage und der ausufernde Kommerz sind zwar unterschiedliche Baustellen. Doch beide tragen dazu bei, das Konzerterlebnis öde und überreguliert wirken zu lassen.
Bruce Springsteen in München und Berlin war value for money pur. Eine bravouröse Energieleistung. Standesgemäß länger als drei Stunden und in seiner überbordenden Power blieb auch noch Raum für individuelle Boss-Ansprachen. Das Gegenteil also, trotz aller Standards, vom Runterspulen einer eingeübten, klinisch perfekten Maschinenshow. Das ist die eine Seite des Konzertsommers 2016.
Auf der anderen beschweren sich US-Superstars wie Rihanna oder Beyonce über das eigene Publikum, das unentwegt auf Smartphones daddelt; das ein Selfie nach dem anderen schießt. Oder sich während der Show dem Eskapisten-Hype Pokemon Go hingibt. Rihanna raunzte jüngst gar einige Smartphone-Gamer vor der Bühne an, dass sie diesen Scheiß gefälligst sein lassen sollten. Licht und Schatten des Konzertbetriebs liegen eng beieinander.
Da helfen auch die Leuchtarmbänder schwenkenden Roboter-Fans bei Coldplay nicht weiter. Der generalstabsmäßig durchgezogene Sponsoren-Kommerz ringsumher schafft es immer wieder noch peinlicher zu sein.
Künstliche Stimmungsmache hin oder her. Auch die Chipbändchen für Getränke und Anderes, die sich auch auf deutschen Festivals etabliert haben, tragen ebenfalls ihren Teil zum schalen Ausverkaufs-Eindruck im großen Bühnengeschäft bei.
Mehr Kontrolle, mehr Stress – aber auch mehr Sicherheit
Die Gesamtsituation ist sicherlich Künstler- und somit Zielgruppen-abhängig. Doch in diese Situation platzt nun die Pressemeldung vom US-Konzert-Giganten Live Nation herein. Vor dem Konzert von Sting in der Berliner Waldbühne (1. August) müsse man mit verstärkten Sicherheitsvorkehrungen rechnen.
„Die Anschläge der jüngsten Zeit machen erhebliche zusätzliche Sicherheits- und Präventionsmaßnahmen für Konzerte erforderlich“, teilte der deutsche Live Nation-Geschäftsführer Marek Lieberberg in einer Stellungnahme mit. „Unser Ziel ist es, die Kultur als wesentliches Merkmal einer freien und offenen Gesellschaft nicht einschränken zu lassen und unser gewohntes Leben so weit wie möglich aufrecht zu erhalten.“
Dadurch, so heißt es, müssen sich Besucher auf deutlich längere Wartezeiten beim Einlass durch verstärkte Kontrollen einstellen. Weiterhin sollte auf größere Taschen, Rucksäcke, Handtaschen und Helme ebenso verzichtet werden: „Eine Beschränkung auf Handys, Schlüssel und Portemonnaies bzw. kleinere Kosmetiktäschchen erleichtert den Ordnungskräften ihre Arbeit“, so das Rundschreiben von Live Nation.
Was also für Sting gilt, ist in ähnlicher Form auch für die Rihanna-Stadion-Gigs in Köln, München und Berlin angekündigt. Mehr Kontrolle bedeutet mehr Stress. Neben der sicherlich richtigen Berücksichtigung einer echten oder gefühlten Terror-Gefahr werden sich gerade die Veranstalter von Mega-Konzerten überlegen müssen, ob der Betrieb in Zukunft nicht wieder ein wenig kleiner gefahren werden kann.
Die Sicherheits-Lage und der ausufernde Kommerz (in Verbindung mit einem leidenschaftslosen Publikum) sind grundsätzlich zwar unterschiedliche Baustellen. Doch beide tragen dazu bei, das Konzerterlebnis öde und überreguliert wirken zu lassen.
Es ist sicher nicht so einfach diese Schraube wieder zurück zu drehen, doch gerade im Zuge der Sicherheitsdebatte müssen sich die große Stars und Agenturen fragen lassen, ob weniger nicht manchmal mehr ist. Sei’s drum: Die Diskussion ist – spätestens jetzt ! – eröffnet.