Julia Marcell – Kontrolle und Geheimnis
Auf dem zweiten Album vermischt Julia Marcell das Lebensgefühl ihrer polnischen Heimat mit Björk und Wave – eine eigene Sprache.
Als Julia Marcell vor drei Jahren vom polnischen Olsztyn nach Berlin zog, ging es um Neuanfang und Austausch mit anderen Künstlern. Die Heimat war zu eng geworden, der Umzug ein konsequenter Entschluss, um die eigene Musik voranzubringen. Marcell hatte von ihren Eltern gelernt: Es ist gut, eine Leidenschaft zu haben, und es ist gut, ihr zu folgen. Auf in die große Stadt!
Viel mehr als der große, grenzenlose Raum zählt für die Sängerin inzwischen der enge Bezug zu Freunden und anderen Künstlern, die sie ständig trifft. Im Studio bei Produzent Moses Schneider und auf den Open Stages der hiesigen Clubs wird Musik gemacht, jeder Kollege kennt einen anderen, man beflügelt und unterstützt sich. Kurz: Julia Marcell hat ihr künstlerisches Zuhause gefunden.
Unterstützung war schon beim letzten Album der Sängerin und Pianistin das Zauberwort. Auf sellaband.com – einer jener crowd-funding-websites, auf der Musikhörer Alben subskribieren und so deren Produktion erst ermöglichen – sammelte Marcell 50.000 Dollar ein und konnte entsprechend hochwertig produzieren. „Ich hatte Glück – sellaband war noch nicht so voll wie jetzt, und einige Leute schienen meine Musik wirklich zu mögen“, sagt Marcell.
Während sie auf ihrem ersten Album, „It Might Like You“, noch inwendige Geschichten zum elegisch gespielten Klavier sang, geht es auf dem neuen Werk, „June“, um Rhythmus. Gemeinsam mit Schneider entwirft Marcell eine gleichzeitig physische und reflektierte Musik mit komplexen Strukturen und ungewöhnlichen synthetischen Klängen. Björk mit Popmelodie, ein bisschen 80s-Wave-Elektro, Tempo und Schönheit – „June“ ist überaus gelungen – und tatsächlich ganz anders als die bisherige Musik der Sängerin. „Ich wollte ein komplexes Werk mit klassischen Elementen machen, aber es wurde mir zu anstrengend. Ich schrieb einen Popsong, um den Kopf freizukriegen – und war überrascht, wie viel Spaß ich plötzlich hatte.“ Dieser erste Song war der Titeltrack.
Juni: Die Sonne bricht durch, die Dinge kommen in Bewegung. Doch es mischen sich auch andere Elemente hinein. Etwas Strenges, weil Marcell und Schneider nichts dem Zufall überlassen. Etwas Forderndes, weil Marcell sich selbst anfeuert und nicht zu weich sein will. Und etwas Sehnsüchtiges, weil sie das Lebensgefühl ihrer Heimat zum Ausdruck bringt. „In Polen gibt es viele folkloristische Riten, die eigentlich keinen Sinn ergeben. Das ist nicht rational, aber es bringt uns mit etwas in Berührung, es erinnert uns an etwas. An unsere Wurzeln vielleicht.“
Kontrolle und Geheimnis: Beides ist in Julia Marcell.