Konfusion des Alltags
To be young, gifted and enthusiastic: Nach der Show im Amsterdamer „Roxy“ erzählt Dave Matthews die Geschichte von dem Mädchen, das ihn neulich am Tour-Bus mit dem eindeutigsten aller Imperative gefügig zu machen versuchte. „Bitte, sag mir, daß „Satellite“ von Sex handelt. Schließlich hab ich das schon allen meinen Freunden erzählt! Und ich sagte: „Sicher! Was immer Du willst!“
Soweit die Antwort auf die beliebte Frage nach dem größten Mißverständnis, das sein Werk bisher provozierte. Ganz unschuldig ist der begnadete Schnellredner allerdings nicht an solchen Verwicklungen, gurrt und surrt er doch auf dem sanft verschleppten „Satellite“ mit der bittersüßen Ergebenheit liebeskranker Männer. Doch Matthews kann auch anders. In „Rhyme 8C Reason“ etwa ist seine Stimme nur noch Instrument blanken Entsetzens. Und entlarvt dabei Lou Reeds „Heroin“ als glamourös-kokettierende Pos(s)e. In meinem Song geht’s nicht nur um die Nadel, sondern allgemein um einen Menschen, der in der Konfusion des Alltags verlorengeht. Selbst der Schluß ist ja kein High-Sein im positiven Sinne, nach dem, was vorher beschrieben wurde.“ Hochgefühle der angenehmen Art bescherte die bisherige Karriere der Dave Matthews Band: Ohne Radio-Hit und MTV-Power verkaufte das Quintett von seinem selbstvertriebenen Erstling „Remember Two Things“ in einem Jahr mal eben 150 000 Exemplare. Da spendierte „Big Brother“ fürs Industrie-Debüt „Under The Table And Dreaming“ gleich Steve Lillywhite als Produzenten, der den Job bekam, weil er sagte: „Ich muß diese Platte machen, und ich will euch dabei nicht verändern.“ Dave Matthews verbrachte frühe Kindheit und High-School-Tage in Johannesburg. Als die Army rief, ging er zunächst nach New York, dann nach Charlotteville/Virginia, wo schon seine Mutter groß wurde, die ihn den Optimismus eines „The Best Of What’s Around“ (Song-Titel) lehrte. Das fand Matthews in der Qubszene von Charlotteville in Gestalt seiner „Lieblingsmusiker“ und heutigen Mitstreiter LeRoi Moore, Boyd Tinsley, Stefan Lessaro und Carter Beaufbrd. „Der Name ist irreführend, denn hier geht’s nicht um einen Songwriter und seine Band. Wir sind jeder wirklich ein Fünftel dieser Band. Naja, Carter vielleicht zwei Fünftel.“ – Carter: ,Ja, und der Manager macht vier Fünftel.“ Das demonstrativ zur Schau gestellte Band-Bewußtsein soll hier nicht nur verletzten Eitelkeiten vorbeugen. Besonders Moore und Carter reizen die zwischen Afro-Pop, Folk, Blues und Funk oszillierenden Songs auf „Under The Table…“ mit der quertreibenden Virtuosität einer soliden Jazz-Schule bis knapp an die Grenze zum Fusion-Gedaddel aus. Manchmal auch knapp drüber, besonders auf der Bühne, wo niemand der Energie-Explosion von Musikern, die sich selbst immer wieder gegenseitig überraschen wollen, Einhalt gebieten kann.
Aber heute nacht nicht mehr. Der schwergewichtige Moore schnarcht schon auf dem Garderobenstuhl. Dave Matthews aber redet noch zwei Stunden später jeden in Grund und Boden, der ihm einen halbwegs vernünftigen Satz hinwirft.