Kollektiv der netten Jungs
Es ist ein schöner Tag in einem kleinen Park im Norden Londons, wo die Sonne auf lächelnde Menschen, spielende Kinder sowie freundliche Bäume scheint, doch Richard Greenstreet (Baß) und John Mc-Lean (Percussion 8C Samples) lassen sich von der Pracht nicht einlullen. Mürrisch und knapp wie die Wattbauern bei der Schlickernte antworten sie auf meine Fragen, als wäre ich ein böser Mensch, oder gar, urghh!, ein Musikjournalist. Der um sich kreisende Rap geht ungefähr so: „~yeah~ no… oh welL. you know_ yeah— I don’t know_ maybe— welL. yeah» right_“ etc. ad infinitum. Schließlich murmelt Richard gepreßt: „Mein Psychiater versucht schon lange herauszufinden, warum ich so paranoid bin. Irgendwie sind wir aber alle so.“ Frage: Hat Richard wirklich einen Psychiater?
Dies also ist die eine Hälfte der Beta Band, eines Quartetts, das im letzten Jahr mit drei EPs die englische Musikszene eroberte, weil es musikalisch ausdrucksstärker und einfallsreicher war als alle Kollegen. Die genialen Psychedelic-Rock-Folk-Rap-Electrordk-Jazz-Songs, die bei uns verspätet auf dem Album „The Tkree EP’s“ erschienen, waren aber nur ein erster Silberstreif über einem ganz neuen Kontinent, den nun „The Beta Band“ grob kartographiert. Die überwältigende Materialfülle und die immer wieder überraschenden, dabei aber absolut eingängigen Songs erinnern an den großen Aufbruch der späten 60er Jahre, als jeden Monat die Popmusik neu erfunden wurde. Einfluß und Vorbild könnte fast jeder sein, der irgendwann mal etwas zu sagen hatte, von den Beach Boys und der Incredible String Band bis zu Gratefiil Dead, Galliano und Nightmares On Wax, doch eine Nachfrage ist sinnlos: „Ach, wir hören alles mögliche. Wir wollen darüber lieber nicht reden.“
Die Frage ist natürlich: Wieso? Es ist eine Sache, wenn man als Künstler seine Kunst nicht erklären will, doch eine andere, jede Frage als Angriff zu betrachten. Doch auch Robin Jones (Drums & Percussion) und Steve Mason (Vocals 8C Guitars) sind nicht sehr gesprächig. Sie wollen ebenfalls ab Bürger mit ehrbaren Berufen (zJJ. Mechaniker) gesehen werden, die auch mal Musik machen, und zwar ganz demokratisch: Jeder darf etwas vorschlagen, bis ein weiterer Song fertig ist. Ganz unspektakulär, das Kollektiv der netten Jungs von nebenan, die nur einen Feind haben: die Musikindustrie.
Gefragt nach dem Business, werden Richard und John überraschend wach. Eilig beziehen sie eine ideologische Nissenhütte, aus der im Chor ertönt: „Die Industrie ist furchtbar, es geht nur um Singles, die Musiker gelten nix, die Manager verdienen viel mehr ab die Künstler, andauernd mischen sich Idioten in kreative Entscheidungen, die Musikindustrie macht die Musik kaputtputtputt.“ Doch die Lösung der Twentysomethings erscheint etwas blauäugig: „Wir machen alles selber. Wir haben Verträge, die uns völlige Freiheit über alle Entscheidungen geben, angefangen bei der Musik über die Gestaltung der Platten, Poster und Anzeigen bis zur Organisation der Konzerte. Es geschieht nichts, was wir nicht wollen.“
Ach was? Und wie war das mit dem neuen Album? Das war nämlich ursprünglich ab Doppel-Album geplant, doch die zweite Scheibe mit einer total überflüssigen Progrock-Klangcollage wird nicht erscheinen. Wenn die Jungs selbst ein Einsehen hatten, spräche das für sie. Doch wahrscheinlicher ist, daß sie noch nicht so recht wissen, was sie eigentlich wollen. Außer musikalisch – und das ist schließlich das Wichtigste.