König Ödipus
August 1066
Im Sommer 1966 gab es in Los Angeles Krawalle auf dem Sunset Boulevard, als friedlicher Protest gegen den Vietnam-Krieg eskalierte. Und eine Rockband namens The Doors, die keiner kannte, landete einen Gig im „Whisky a Go-Go“, einem Club auf dem Sunset Strip. Die Gruppe war im Jahr zuvor von zwei Filmstudenten gegründet worden, dem Nachwuchs-Poeten Jim Morrison und dem Blues-Keyboarder Ray Manzarek. „Wir waren Hausband im „London Fog‘, einem jämmerlichen kleinen Club in der Nähe des Whisky“, erzählt Manzarek heute. „Das .Whisky‘ war Mekka für uns. Dort spielten all die großen Bands. Wenn wir Pause hatten, gingen wir rüber und guckten durch die Tür: ,Hallo, wir sind die Band von nebenan.‘ Dafür wurden wir regelmäßig ausgelacht.“ Als Ronnie Harran, die das „Whisky“-Programm buchte, die Doors schließlich live sah, war sie beeindruckt von Morrisons Bühnenpräsenz und bot der Band an, als feste Vorgruppe jeden Abend zwei Sets zu spielen. Den ersten Abend eröffneten sie gleich für Them – er gipfelte in einem von beiden Morrisons (Van und Jim) gemeinsam gesungenen „Gloria“.
Das Repertoire der Doors bestand damals aus 15 Songs, die sie mit ein bisschen James Brown und Chicaco-Blues auffüllten. Weil das trotzdem nicht für zwei Sets reichte, wurde gestreckt, was das Zeug hielt — so entstand der epische, sololastige Doors-Sound. Die Band hatte bald eine eigene Fangemeinde, und das „Whisky“ wurde zum Treffpunkt merkwürdiger Gestalten. Manzarek: „Da gab es diese beiden Typen, Carl und Vito, die so eine zigeunermäßige Tanztruppe anführten. Sie wurden umsonst reingelassen, weil sie so aussahen, wie Touristen sich Hippies vorstellen. Keine Ahnung, ob die überhaupt was einschmissen, die waren von Haus aus völlig meschugge, aber sie tanzten wie die Teufel. Und sie liebten „The End“.
Eine frühe Version von „The End“ – eine, die man zum Beispiel gefahrlos in der Halbzeit des Superbowl hätte zeigen können. Doch dann tauchte Morrison eines Abends nicht zum ersten Set auf. Die Band spielte ohne ihn, aber „Whisky“-Chef Phil Tanzini war stinksauer und bestand darauf, Morrison habe pünktlich zum zweiten Set an Ort und Stelle zu sein. Sie fanden ihn in seiner Wohnung, in Unterwäsche und auf einem Acid-Trip, und transportierten ihn rechtzeitig zurück ins „Whisky“, „ein bisschen bedröhnt, aber klar im Kopf, wie sich Manzarek erinnert. „Nach der dritten Nummer drehte er sich plötzlich um und meinte: ,Lasst uns „The End“ spielen.‘ Ich sagte: Jim, wir haben erst drei Stücke gespielt!“‚ Normalerweise wurde „The End“ fürs Finale aufgespart, doch Morrison bekam seinen Willen. „Es gab eine Stelle im Stück, an der Jim ein bisschen improvisieren durfte, und er signalisierte uns, dass wir leiser spielen sollten. Und dann deklamierte er zum ersten Mal: ,The küler awoke betöre dawn. He put his boots on.‘ Die Tänzer blieben einer nach dem anderen mit großen Augen stehen. Als er fortfuhr, ,Father, I wanna kill you‘, wusste ich, was kommen würde. Bitte, tu es nicht, dachte ich.“
Doch Morrison tat es natürlich. Als er brüllte, „Mother, I want to fuck you!“, schaltete die Band, die seine Rezitation bis dahin leise begleitet hatte, auf Overdrive. Manzarek: ,John prügelte auf die Trommeln ein, ich hämmerte auf die Orgel, Robby ließ seine Gitarre kreischen wie einen Dämon. Es war die Hölle, die Leute tanzten wie die Irren, in dionysischer Ekstase. Wir hatten Ödipus Rex exorziert, mitten auf dem Sunset Strip!“
Als die Doors von der Bühne stiegen, wussten sie, dass sie einen Killer gelandet hatten. Sie hatten aber auch Tanzinis Sinn für Anstand verletzt. Er ging hinter die Bühne, fragte Morrison: „Wie zum Teufel kannst du so was über deine Mutter sagen?‘ und feuerte die Band auf der Stelle. Krieger fragte: „Willst du, dass wir am Wochenende noch spielen, oder sollen wir gleich gehen?“ Tanzini überlegte einen Moment und erwiderte: „Ihr spielt durch bis Sonntag, dann schmeiß ich euch raus.“