Kluger Kopf für den Mainstream
In den Achtzigern hat DOMINIK GRAF mal den Thriller "Die Katze" gedreht. Nach etlichen prämierten TV-Filmen kehrt er mit "Der Felsen" ins Kino zurück.
Der damals schon nicht mehr ganz junge Wilde ist heute fast 50, trägt Nickelbrille und hat nur noch wenige Haare auf dem Kopf. Amerikanische Vorbilder wollte Dominik Gräf in den 80er Jahren auf deutsche Verhältnisse übertragen, wurde dafür von den Autorenfilmern und ihrer Anhängerschar verlacht – und verblüffte 1988 mit dem formal präzisen Thriller „Die Katze“. Graf erhielt den Bundesfilmpreis für sein Genrewerk mit Götz George, Heinz Hoenig und Gudrun Landgrebe, das rund anderthalb MilHonen Zuschauer anzog. Das ist eine Zahl, von der heute die meisten deutschen Filme wieder nur träumen und die auch Grafs erstes Kinoprojekt seit seinem Flop „Die Sieger vor acht Jahren nicht erreichen wird. „Der Felsen“ ist ein desperates Drama, inhaltlich verstörend, visuell gewagt und experimentell, weil mit einer digitalen Videokamera gedreht. Damit war der gebürtige Münchner in diesem Jahr mal wieder für den Bundesfilmpreis nominiert.
„Der Felsen“ erzählt von einer Frau, deutsch, blond, Ende 30. Katrin (Karoline Eichhorn) erfährt im gemeinsamen Urlaub auf Korsika von ihrem Liebhaber und Chef jürgen (Ralph Herforth), er wolle sofort zu seiner schwangeren Ehefrau zurückkehren. Katrin ist geschockt, taumelt betrunken durch die Nacht, flirtet mit einem Jungen namens Malte (Antonio Wannek) und lässt sich schließlich auf eine surreale Affäre mit zwei Gendarmen ein. Am nächsten Tag taucht Malte wieder auf und erklärt, in sie verliebt zu sein. Katrin reagiert darauf zunächst schnippisch, kann oder will sich in ihrem seelischen Dämmerzustand der schwärmerischen Dreistigkeit des 17-Jährigen aber nicht entziehen. Als ihr Robert (Peter Lohmeyer) erzählt, dass Malte in einem Camp für straffällige Jugendliche lebt und er für Katrin seine Resozialisierung riskiert, ist es zu spät. Vielleicht ist es ihr auch egal. In diesem Moment scheint Katrin seine Anhänglichkeit zu brauchen wie Malte ihre Bestätigung.
„Der Felsen“ wird kaum den deutschen Kinofilm retten, er ist auch nicht unbedingt brillant. Aber eine solche schonungslose Geschichte, die keine Versprechen macht oder nach Sympathie für die Charktere heischt, sondern mit schroffer Zärtlichkeit oft Unverständnis, Ärger, ja sogar Abscheu erzeugt, hat man lange nicht mehr gesehen. Katrins Handlungsweisen folgen keiner Vernunft, sondern einem haltlosen Instinkt, Selbstschutz und undefinierbarer Sehnsucht Sie ist, wie Graf es formuliert, „auf einem machistisch gekränkten Ego-Trip. Sie muss wieder ihren Platz im Leben finden und sieht so lange andere nur als Figuren im eigenen Psychodrama.“ Das sollte fast jeder von sich selbst kennen. Und so
sind auch die scheinbar banalen Dialoge ein Balanceakt, die Drehbuchautor Markus Busch „gefährlich nichtssagend schreibt“, erklärt Graf. „Aber ich fände es gelogen, wenn man einem durchschnittlichen Menschen in einer solchen Situation Sätze in den Mund legt, die das Leben interpretieren.“
Die oft grobkörnige Optik, wackeligen Perspektiven und verschwommenen Perspektiven unterstreichen dabei mit bestürzender Intimität das fahrige, fatale Dilemma der Beteiligten. Das dänische Dogma wollte Graf damit nicht nachahmen, auch nicht den Autorenfilm wiederbeleben. Die Arbeit mit Videoaufnahmen ist eine aus der Not entstandene kreative Initialzündung, die Graf schließlich als „Befreiung“ empfand. Eigentlich wollte er auf 35-Millimeter-Material drehen. Doch da „eine so schwierige Geschichte an einem teuren Drehort wie Korsika von den Förderanstalten nicht gerade mit Geld beworfen wird, musste irgend etwas billiger werden. Und weil wir das Equipment ohnehin schon immer mehr verkleinerten, haben Kameramann Benedict Neuenfels und ich gleich den radikalen Weg probiert.“ Das sieht manchmal aus wie ein schlechtes Urlaubsvideo und strapaziert gewiss die an Hochglanzformate gewöhnte Konsumenten, wirkt aber mit irritierender Intensität nach und zum Nachdenken an.
Einen erheblichen Kontrast zu den Bildern schafft der sinfonische, von melodramatischen Streichern getragene Score. „So addieren sich die Gegensätze und gibt die Größe der Musik den Personen im Halbdunkel, wenn sie nicht mehr greifbar sind, eine Identität.“
Den Bundesfilmpreis hat Grafs langjährige Lebensgefährtin Caroline Link für ihr Epos „Jenseits von Afrika“ erhalten. Er hält das für richtig und sich selbst nicht für einen intellektuellen Kunstfilmer. „Mainstream- und Experimentalkino haben mehr gemeinsam, als viele denken. Aber der Markt mit seinen Pubertätsfilmen ist zur Zeit armselig. Erfolgreiches Kino muss ja nicht so doof sein, dass es der letzte Trottel kapiert.“ Mit TV-Filmen oder dem Tatort „Frau Bun lacht“ hat er das bewiesen.“Jeden kommerziellen Stoff, der mich überzeugt, wende ich machen.“