Kleinstars mit Weltgeltung
Meistens ist es Trägheit, Unfähigkeit oder Vergreisung, die Menschen daran hindert, Gedanken zu Ende zu denken, neue Ideen zu entwickeln, sich jenseits von Klischees auszudrücken. Manchmal aber ist es wohl nur die Angst, etwas zu verlieren, verließe man die Gefilde der Mittelmäßigkeit Ween sind so ein FalL Letztes Jahr produzierte das Duo aus New Hope bei New York die LP „12 Golden Country Greats“: zehn phantastische Songs, eingespielt mit den besten Musikern Amerikas, ein Meisterwerk in jeder Hinsicht, selbst Aphex Twin war hingerissen. Dieses Jahr folgt nun mit „The Mollusk“ ein unausgegorener Haufen Lieder, in dem Hit und Niete Rücken an Rücken liegen. Aber das ist gut so, erklärt zumindest Gene Ween alias Aaron Freemann: „, The Mollusk‘ ist weitaus mehr ein Ween-Album, als ,Country Greats‘. Wir haben fast alles zu zweit eingespielt, erst später kamen noch ein paar Gäste hinzu. Es ist viel spontaner. Es ist mehr wir.“
Spontan? Ist das gut? Oder das: „Wir sind zwei ganz normale Typen“? Gene Ween sagt das so lapidar wie ein normaler Typ, aber auch ein Teil der Fans würde dem wohl zustimmen. Beim Konzert am Abend zuvor in einem kleinen New Yorker Gub war zumindest die männliche Hälfte des Publikums schon vor dem ersten Lied erhitzt wie junge Hunde.
Und als die ersten bösen Wörter fielen, „Fuck“ und „Piss“ und „Cunt“ und „Dick“, da grölten sie zurück. „Fuck you, Yohoho“. Hier fühlten sie sich wohl verstanden, als Jungs, die sich ihre Pubertät bis in die Rente bewahren. Und was, wenn nicht das, ist der Mythos des Rock’n’Roll?
Dean Ween alias Mickey Melchiondo lacht, nach den Fäkal-Ausfällen gefragt: „Wir denken uns nichts dabei, das ist einfach unsere Sprache. Außerdem mißtraue ich sowieso Typen, die nicht fluchen.“ Dann lacht er wieder, frech und verschämt zugleich, wie von der Mama ertappt, und nivelliert das Gesagte gleich wieder: Klar wird hier Elternhaus-Opposition betrieben.
Aber es gibt auch noch die Mädchen. Die stehen beim Konzert in den ersten Reihen, sind wie immer emotional weiter entwickelt und wollen deshalb statt Fäkalwitzen brillante Popsongs. Und die haben Ween eben auch: Von „Push The Little Daisies“ vom ’92er-Album „Pure Guava“ bis zum Titelstück der aktuellen CD. Und überall scheinen die Vorbilder durch: „Meine Lieblingsgruppe aller Zeiten sind die Beades.“
Töten Britpop produziert das Duo dennoch nicht, denn zig andere Einflüsse kommen hinzu: Charlie Parker, Lovin‘ Spoonful, Hank Williams, der gesamte Kosmos amerikanischer Musik – außer Techno und Verwandtem: „Mich interessiert das nicht“, stellt Dean kategorisch fest. „Die haben keine Melodien, keine Kompositionen. Und das ist doch das wichtigste im Pop: der Song.“
Dumm sind sie nicht, die Kleinstars, die sich in sieben Jahren vom Lo-Fi-Duo mit Wohnzimmer-Studio zu einem Songwriter-Paar mit Weltgeltunggemausert haben. Und auch sonst scheinen die beiden gut beisammen zu sein: Immer noch wohnen sie in New Hope, wo sie aufwuchsen, wo sie jeden kennen, wo ihre Freunde leben und ihre Eltern, Ex-Hippies übrigens, mit denen sie sich prächtig verstehen. „Ich könnte nie in einer anonymen Großstadt wie New York leben“, erklärt der eine, und der andere nickt Daheim ist es am schönsten. Das ist alles herrlich unprätentiös, überhaupt nicht Rock’n’Roll. Dean erwähnt immer wieder seine Frau, ansonsten ist das Leben eben das Leben, und man hat obendrein auch noch Spaß.
Da verwundert die Angst vor dem konsequenten Geniestreich um so mehr. Kommt demnächst womöglich die Simulation von Reife durch plakative Depression? Die Zukunft liegt wohl eher im Musik-Nirvana neben Neil bung, an dessen Wucht sie bei den Zugaben erinnerten. Brachial und präzise wurde da gebolzt, Ruhe und Kraft in einem. Aber man muß das eben wollen: Größe, Kunst, Konzentration und erwachsen sein. Und dabei merken, daß man nichts zu verlieren hat. Außer dieser senilen Pop-Vorstellung von Jugend.