Kleben für den Frieden
Unser Kolumnist erklärt, was wir von den Klima-Aktivist:innen der „Letzten Generation" für unseren Alltag lernen können
Mir gefällt die Idee des Klebens gut. Kleben ist gewaltfrei und dennoch äußerst effektiv. Ich verstehe die Argumentation der „Letzten Generation“ – dass sich nach uns niemand mehr zur Wehr setzen kann, da die Kipppunkte dann bereits überschritten sind. Wenn noch etwas verändert werden kann, dann müssen wir es jetzt tun. Viele Menschen sehen diesen Fakt nach wie vor nicht klar genug. Die meisten Menschen sind zu sehr an ihre Bedingungen gekettet, müssen ihre Zeitpläne und Abläufe erfüllen, ihre Jobs durchziehen. Die kann ich allerdings auch verstehen. Mein Schwager meinte, man solle auf den gewaltfreien Protest doch wenigstens mit einer gewaltfreien Antwort reagieren, indem man die Asphaltstücke um die festgeklebten Hände aus der Straße fräst und die Aktivisten dann damit nach Hause schickt. Sorry, aber ich musste echt lachen.
Überhaupt könnte man das Kleben auch an anderen Stellen einsetzen, um sein Recht durchzusetzen oder – wenn man dieses nicht erreichen kann – um sich zu rächen, dachte ich mir. Einige Beispiele:
– Der Dispo ist überzogen und ich kriege in der Bank kein Geld mehr, brauche aber unbedingt welches. Das habe ich so erlebt nach einer Meniskusoperation, als ich völlig abgebrannt am Freitagnachmittag vor meinem Sachbearbeiter bei der Haspa stand, und er nur zu mir sagte „Da können wir ihnen leider nicht helfen, sie müssen selber lernen mit ihrem Geld umzugehen.“ Das nächste Mal klebe ich mich einfach am Geldautomaten fest, mit der Hand direkt auf dem Monitor. Bis mein Dispo erhöht wird.
– Immer wieder wird mein Auto im eigenen Viertel vom Kontaktbereichsbeamten abgezettelt. Es gibt ja in Hamburg seit zwei Jahren keine einzige parkgebührenfreie Zone mehr: Ich klebe mich am Parkomaten fest, direkt mit der Hand über dem Geldschlitz. Dann ist zumindest den Anderen, die ohne Parkschein parken, kein Vorwurf mehr zu machen.
– Eine Steuerprüfung wirft mich völlig aus der Bahn, ich muss wochenlang Belege bearbeiten und am Ende immer noch eine unangemessen hohe Geldsumme nachzahlen. Ich gehe postwendend zu Steuerbehörde und klebe mich so an der Eingangstür fest, dass keiner der Beamten mehr herein, oder herauskommt.
– Ich bin Polizist und wahnsinnig genervt von den Klebeaktionen der Demonstranten. Um ihnen das bewusst zu machen klebe ich mich einfach auf der nächsten Straßendemo von hinten an einem Demonstranten/ einer Demonstrantin fest, z.B. mit der Hand am Hals. Dann muss er/sie mich mit nach Hause nehmen und ich kann die ganze Zeit auf ihn/sie einreden wie ärgerlich ich ihre Aktionen finde.
Zugegeben: nicht unlächerlich dies Aktionsvorschläge, aber es ist ja schon längst bewiesen, dass man auch mit lächerlichen Aktionen die Welt ein wenig besser machen kann.
(Autorenbild von Kerstin Behrendt)
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