Klatsch, Tratsch und Tralala bleiben nicht mehr den Privaten überlassen – jetzt wollen ARD und ZDF mitmischen und endlich Quote machen
Was ist denn eigentlich Grundversorgung? Ja genau: das, was man zum Leben unbedingt braucht. Niemand weiß es viel genauer, weshalb die möglichen Antworten mannigfaltig sind. Manche meinen, mit Wasser und Brot sei man doch hervorragend und ausreichend bedient, alles weitere könne man getrost dem Luxus zuordnen. Andere dagegen legen das mit der Grundversorgung recht üppig aus. Bei ARD und ZDF beispielsweise wird der Begriff der Grund versorgung ordentlich gedehnt. Zur vom Bundesverfassungsgericht abgesegneten, aber nie klar definierten Grundversorgung der Zuschauer scheinen etliche Programmgewaltige nämlich inzwischen so ziemlich alles zu zählen, was irgendwie Quote bringt.
War man sich früher weitgehend darüber einig, dass man den öffentlich-rechtlichen Kanälen in erster Linie die Information, die Kultur und ein wenig intelligente Unterhaltung abfordern und den Privatsendern Klatsch, Tratsch und Tralala überlassen sollte, so sind heute viele Anstaltswerker der Meinung, auch dort tanzen zu müssen, wo es schnell einmal glitschig werden kann: auf dem Boulevard.
Das hat dazu geführt, dass sich die Flächen in ARD und ZDF zunehmend mit Programmen füllen, die keinem anderen Zweck dienen als der Befriedigung eines gewissen voyeuristischen Drangs. Vorreiter dieses Trends ist seit Jahren „Brisant“, jene Sendung, die nachmittags im Ersten bravnachbetet, was „Bild“ morgens gepredigt hat. Auf der Homepage von „Brisant“ wird schnell klar, wes Geistes Kinder hier agieren, wenn man die angebotene Dreifaltigkeit notiert. Zwischen, ,Neue Heilmethoden“, „Prami- Klatsch“ und „Königshäuser“ kann man sich dort entscheiden, womit die regenbogenfarbige Welt hinreichend skizziert sein dürfte.
Nun wäre „Brisant“ allein kein Problem, wenn der vom Mitteldeutschen Rundfunk gespeiste Showkrebs nicht am laufenden Band Metastasen streute und in der Folge selbst im sich sonst so seriös gebenden ZDF ein Moderator verkündet, eine Großstadt lebe in Angst, nur weil’s an einer Ecke eine Messerstecherei gegeben hat.
Boulevard ist inzwischen fast überall in ARD und ZDF. So veredelt die „Tagesschau“ ihr Ende regelmäßig durch einen Bundesliga-Showblock, und Ulrich Wickert kündigt am Schluss der „Tagesthemen“ bunte Beiträge an, in denen unverhohlen für neue Fihnstarts oder das Erscheinen einer CD geworben wird. Zusätzlich wird das Programm zugeschleimt von Plauderschnecken wie Reinhold Beckmann oder Johannes B. Kerner, während schlechte Seifenopern mit noch schlechteren Darstellern wie Salzsäure sogar das Abendprogramm zersetzen und freitags im Ersten Filme laufen, die so unerträglich schwülstig daher kommen, dass man vor lauter Schrecken befürchtet, im nächsten Moment könne als Steigerung des ultimativen Grauens nur noch Klausjürgen Wussow auftauchen – was dann meist auch geschieht. Man muss immer öfter auf die Senderkennung schauen, um zu ermitteln, ob man noch bei der ARD oder schon bei der Sendersimulation „Neun Live“ gelandet ist.
Auf die Spitze getrieben wurde die Angelegenheit anlässlich der Bambi-Verleihung. Mit dieser Veranstaltung des Burda-Verlages befasste sich die ARD in einer bis dahin nicht gekannten Ausführlichkeit. Dass die „Brisanz-Moderatoren jede Minute dabei waren, mochte man, abgestumpft wie man mittlerweile ja ist, noch hinnehmen. Schließlich lassen die „Brisant“-Macher (, e i Star-Geschichten immer so gern „Bunte“-Redakteure ihren Senf zum Thema geben. Man ist da quasi mental verschwistert. Dass aber sogar die altehrwürdige „Tagesschau“ Sendezeit für eine ausgedehnte Ankündigung des direkt danach ausgestrahlten Bambi-Events freiräumte, verwunderte schon nachhaltig.
Der „Walk On The Wild Side“ hatte indes Folgen. Besonders das zum Glück erfolglose Burda-Magazin „Bunte XV“ geriet umgehend in die Schusslinie einiger auf die Restseriosität der ARD bedachter Redakteure, und nun deutet vieles daraufhin, dass zumindest der komplett missratene Boulevard-Versuch von „Bunte“-Chefin Patricia Riekel zurückgebaut wird.
Gerettet sind ARD und ZDF deshalb noch lange nicht. Immer noch sitzen in den Führungsetagen zu viele Gewaltige, die der festen Überzeugung sind, dass die Quote jedes Mittel heiligt, dass man dem Fernsehvolk eben dringend und umgehend mitteilen müsse, wenn sich Gwyneth Paltrow schwanger meldet, wenn Naddel wieder mal ihre Brüste irgendwo wiegen lässt oder Dieter Bohlen einmal mehr zitabel pupst Die öffentlich-rechtlichen Sender sinken immer tiefer, und es kann nicht mehr sehr lange dauern, bis sie auf Grund laufen, womit dann wenigstens der Begriff Grundversorgung eine neue Qualität bekäme.