Klassiker der Popkultur
Strobo
von Airen
Strobo ist eine atemlose Schussfahrt durch die Höllen und Himmel eines ätzenden, verstörenden, süchtig machenden Nachtlebens, ein Tagebuch der radikalsten Lebensgier. Unreflektiert, hemmungslos, vulgär, genial. Wenn eine ganz eigene Sprache diesen Gegenwartsstrudel erzeugt, das Gefühl berstender Jetzigkeit, in einer Dichte und Intensität, die das Lesen vergessen macht, und wenn uns diese Sprache in eine völlig neue Denk- und Erlebnis-Sphäre zieht, die unsere bisherige Welterfassung auf den Kopf oder infrage oder sonst wo hin stellt, dann haben wir gerade Strobo gelesen. Und somit ein Stück brillanter Wirklichkeitsbewältigung, die man Popliteratur nennen kann – oder auch ganz schlicht: Literatur, wie sie sein sollte. Rainer Schmidt
Neun Erzählungen
von J.D. Salinger
Mitte der 80er-Jahre las ich diese Kurzgeschichten in der Übersetzung des Ehepaars Böll, und seither verfolgt mich jede einzelne. Salinger schrieb sie unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs, der ihn selbst zutiefst krank gemacht hatte, sie vereinen Hemingways magischen Realismus mit dem französischen Existenzialismus und buddhistischen Lehren. Salinger war der Forscher der amerikanischen Seele und Befindlichkeit: Das Geplauder, der Luxus und die leichte Lebensart, die hier wie Pergament über der Traurigkeit, der Einsamkeit und den Verletzungen der Menschen liegen, weisen den Weg zu den Exzessen von John Updike und Philip Roth. Keine Moderne war moderner als Salinger.
Arne Willander
Irre
von Rainald Goetz
Schon an der Uni hatten sie uns Popliteratur gegeben (den krassen Laurence Sterne, den abgefahrenen Jean Paul). Goetz enthielten sie uns vor, weil man Kindern ja nicht zeigt, wo es Kokain gibt, und obwohl mich Drogen noch nie interessiert haben: Kein anderes Buch hatte eine derart physische Wirkung auf mich. Die Geschichte des Jungdoktors in der geschlossenen Psychiatrie, der mindestens so verrückt ist wie die Patienten. Die Stimmen und die Sprache, der man in „Irre“ zusehen kann, wie sie durchs All schießt, sich windet, andere Sätze frisst und auskotzt. Bis sich das Buch am Ende auch noch selbst rezensiert! In einem Surfshop auf Fuerteventura sah ich mal ein Second-hand-Exemplar für einen Euro liegen. Wie das Buch da hingekommen ist, auch das wäre Popliteratur. Joachim Hentschel
High Fidelity
von Nick Hornby
Gab es vor „High Fidelity“ überhaupt Popliteratur? Ich kann mich nicht erinnern. Ich weiß aber noch genau, was ich dachte, als ich Nick Hornbys Roman 1995 las: dass er uns alle durchschaut hatte! Nicht nur, weil keiner zuvor so rührend den Plattenladen als Nerd-Refugium beschrieben hatte. Hornbys Hauptdarsteller Rob Fleming wurstelt sich durchs Leben, ohne viel Geld und mit wenig Glück in der Liebe (weil er ein egoistischer Idiot ist), aber in der Gewissheit, den richtigen Musikgeschmack zu haben. Gab es vor „High Fidelity“ Top-Five-Listen? Danach haben sich auf jeden Fall alle welche ausgedacht. Fleming wünscht sich das Leben als Springsteen-Song und weiß doch, dass es niemals so sein wird. Erst später habe ich gemerkt, wie tieftraurig „High Fidelity“ eigentlich ist.
Birgit Fuss
Junkie
von William S. Burroughs
Es gab Zeiten, da gehörte meine zerfledderte „Junkie“-Ausgabe ebenso selbstverständlich zur Grundausstattung wie der Haustürschlüssel. Der Autor kam mit späteren Werken zu Weltruhm und doch ist es diese nackte, lakonische Prosa, die mich am meisten fasziniert. „Junkie“ ist der einzige mir bekannte Erfahrungsbericht eines Heroinsüchtigen, der ohne Selbstmitleid auskommt. Mit der drastischen Nüchternheit eines Kriegsreporters berichtet Burroughs von Fischzügen durch die New Yorker U-Bahn, der Logistik der Drogenbeschaffung und dem Wunsch, im Rausch „die Unabhängigkeit von den Ansprüchen des alternden … Fleisches“ zu finden. Eindringlicher wurde die Realität der Drogensucht nie beschrieben.
Torsten Gross
Breakfast Of Champions
von Kurt Vonnegut
Wenn ich den Begriff Popliteratur beim Wort nehme und das allem Anschein nach populärste, weil meistbenutzte Buch aus meinem Regal ziehe, ist es das hier: „Breakfast Of Champions“ von Kurt Vonnegut. Ich glaube, ich habe fast alles, was ich über die Welt und die Literatur weiß, aus dieser Geschichte über den berühmten Science-Fiction-Autor Kilgore Trout und seinen verrückten Fan, den allzu schriftgläubigen Pontiac-Händler Dwayne Hoover gelernt. Zum Beispiel, was Kommunisten sind: „They had a theory that what was left of the planet should be shared more or less equally among all the people, who hadn’t asked to come to a wrecked planet in the first place.“ Auch Vonnegut hat nie darum gebeten, geboren zu werden, das lässt er einen mit jeder Zeile spüren. Dabei ist ihm kein Thema zu komplex, kein postmodernes Spielchen zu absurd und keine Idee zu albern. Maik brüggemeyer
Sommerdiebe
von Truman Capote
Im Rückblick ist es doch eine bittere Ironie, dass dieses Romandebüt, das lange Zeit als verschollen galt, den später kapriziösen Geck Capote, als empfindsames Genie rehabilitiert. Capote erzählt in „Sommerdiebe“ eine anfangs eher konventionell anmutende Liebesgeschichte. Mit der ihm eigenen Dynamik und Leichtigkeit lässt er die Welten des lebenshungrigen Grady und des raubauzigen Hallodris Clyde aufeinanderprallen. In ihnen spiegeln sich Kino, Jazz und die unerfüllten Sehnsüchte einer Generation, die in der fragilen Aufbruchsstimmung der Nachkriegsjahre aufwächst. Elvis war nur einen Steinwurf der Geschichte entfernt. Wie klug das beobachtet ist, mit wie viel Witz und Mitgefühl das bis zum tragischen Finale illustriert wird – darin liegt eine Brillanz, die Capote zum unverzichtbaren Pionier sogenannter Popliteratur macht. Max Gösche