Klassen, Rassen und Sarrazin
Ich bin in Eppendorf aufgewachsen, einem der reichsten Stadtteile Hamburgs. Viele Menschen dort besitzen ein Haus mit Garten, manche sogar einen eigenen Bootsanleger an der Alster. Kinder mit Migrationshintergrund hatten dafür an meiner Schule Seltenheitswert. Ich fühlte mich als Außenseiter und suchte mir lieber Freunde in Vierteln wie Wilhelmsburg, wo manchmal sieben Leute in einem Zwei-Zimmer-Apartment wohnen. Schon damals wurde mir klar: Die Kids in Deutschland wachsen in unterschiedlichen Blasen auf. In vielen Schulen hängen die Deutschen meist nur miteinander ab, und auch die Ausländer bleiben lieber unter sich. Dabei machen die Schwarzen, die Türken und die Araber nicht etwa gemeinsame Sache. Auch sie bilden wieder unterschiedliche kleine Gruppen, die sich gegenseitig abgrenzen. Das ist sehr schade, zumal diese Entwicklung weiter zunimmt.
Zusammen mit Julia von Dohnanyi habe ich 2005 den Verein Crossover e.V. gegründet. Am Anfang stand die Idee für ein modernes Jugendzentrum, in dem sich Leute aus allen Schichten und Teilen der Stadt treffen können. Wir wollten zeigen, dass es gar nicht so wichtig ist, krasse Statussymbole zu besitzen, sondern dass es darum geht, Dinge zu können, zu machen. Kids aus allen sozialen Schichten und Teilen der Stadt sollten sich dort treffen können und spielerisch miteinander lernen. Für mich war das immer ein wichtiger Aspekt des HipHop – einfach mal eine weiße Wand mit Farbe vollmalen und dann den eigenen Namen druntersetzen. Wenn man Dinge selber macht, führt das zu Erfolgserlebnissen, und die haben Jugendliche heute viel zu selten. Zwei Jahre lang gingen wir mit dem Konzept Klinken putzen, bis uns klar wurde, dass wir das Geld nicht zusammenbekommen. Ein Haus mit einer integrierten Sporthalle und dem ganzen Equipment und Personal ist eine teure Angelegenheit.
Seitdem gehen wir mit großem Erfolg dorthin, wo die meisten Jugendlichen sind – in die Schulen. Sport und Musik sind auch hier die verbindenden Elemente. Wie gut das funktioniert, sieht man ja auch bei Konzerten und beim Fußball – wenn man einem gemeinsamen Star oder Verein zujubelt, haben Klassen und Rassen keine Bedeutung mehr. Wenn die Schüler nicht nur jubeln, sondern selber aktiv werden, funktioniert das sogar noch viel besser. Die Lehrer achten darauf, dass nicht die besten Kumpels gemeinsam in einer Gruppe landen – das fördert den Austausch. Aus manchen unserer Projekte entwickelten sich bereits Freundschaften und Zusammenarbeiten, die über eine Entfernung von 700 Kilometern funktionieren.
Die Hamburger Schulreform, die im letzten Jahr durch einen Bürgerentscheid gekippt wurde, war keine schlechte Idee. Auch hier war das Ziel eine gemeinsame Schule für alle – doch die Lobby-Arbeit der Gegner war zu stark. Leute mit einem höheren Einkommen und Bildungsstand schicken ihre Kinder immer seltener auf normale Schulen, wenn es dort einen hohen Ausländeranteil gibt. Das schaukelt sich immer höher und führt letztlich zu einem Auseinanderdriften der Gesellschaft.
Auf meinem letzten Album „Dis wo ich herkomm“ habe ich deshalb das Thema Deutschland in den Mittelpunkt gestellt – aus meiner Perspektive. Doch dann kam Sarrazin mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“. Ich habe mich sehr darüber geärgert. Nicht, weil er mehr Presse bekam, sondern weil er das Thema Integration so negativ darstellt. Jeder kann ein komplettes Desaster in die Zukunft hineininterpretieren, wenn er sich die Fakten passend zurechtlegt. Dabei könnte man mit etwas Hoffnung und entsprechenden Aktivitäten vielen Tendenzen entgegenwirken. Natürlich haben Migranten in den ersten zwei, drei Generationen große Probleme, vor allem durch die Schwierigkeiten mit der Sprache. Aber ich glaube an Bildung und die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs. Die Probleme sind ja nicht neu, viele Länder in der Welt sind mit Einwanderung konfrontiert. Manche schaffen das besser, andere schlechter. Wir haben in Deutschland genügend Mittel und eine starke Wirtschaft, aber es wird zu vieles verkorkst. Ich habe keine Empfehlung dafür, was sich an deutschen Schulen ändern muss. Ich tue einfach, was ich in meinem Rahmen tun kann. Auf keinen Fall möchte ich einer von diesen schlauen Leuten sein, die in den Talkshows große Reden schwingen – auch wenn ich gerade erst einen Preis als „Bildungsbotschafter“ bekommen habe: Bei Themen wie Bildung und Integration geht es nicht ums Reden, sondern ums Handeln.