Kishi Bashi hat die außerirdischste Pop-Platte des Jahres gemacht
Mit „Sonderlust“ präsentiert Kishi Bashi ein geradezu cineastisches Klanguniversum. Kein Wunder: Der Pop-Alchemist lernte von John Williams.
Kishi Bashi spielt am allerliebsten vor Kindern. Nicht weil sie die besseren Zuhörer wären oder seine Songs etwas Kindliches hätten, sondern weil es dem Musiker einfach Freude bereitet, seine Kunst mit anderen zu teilen. So spielt er leidenschaftlich gern in Schulen, um seine Kompositionen zu präsentieren und ein paar Neugierigen etwas beizubringen.
Vor mehreren Jahren musizierte Kishi Bashi, der mit bürgerlichem Namen Kaoru Ishibashi heißt, noch zusammen mit Regina Spektor und Sondre Lerche, außerdem stand er gemeinsam mit Of Montreal auf der Bühne. Inzwischen hat der studierte Violinist seinen Weg auch als Solomusiker gefunden und bringt mit „Sonderlust“ sein drittes Album beim Künstlerlabel Joyful Noise Recordings heraus.
Elegische Geigenklänge mit Elektro-Feuerwerk
Der wunderliche Titel, der anmutet, als wäre er aus dem Deutschen ins Amerikanische importiert worden, wurde von einem Eintrag im „Dictionary Of Obscure Sorrows“ inspiriert, wie der Sänger im Interview erzählt. Das etwas andere Lexikon des Bloggers John Koenig will mit gewagten Definitionen geistige wie sprachliche Lücken im englischen Wortschatz schließen. Für Ishibashi ein eindrucksvolles Projekt: weil ihn Sprache generell fasziniere. Unzählige Neologismen prägen die Lyrics seiner Lieder, auch den Titeln der letzten Platten („151a“, „Lighght“) haftet etwas Mysteriöses an. „Sonder“ ist, wenn man dem Online-Wörterbuch folgt, das Verständnis dafür, dass jeder Mensch, dem man auf der Straße begegnet, ein genauso spannendes und eigentümliches Leben lebt wie man selbst. Eine Vorstellung von seelischer Bruder- und Schwesternschaft, vielleicht ein Trost.
Für das neue Album wollte sich der in Seattle geborene Musiker nach eigenen Angaben auf unbekanntes Terrain begeben. In der Vergangenheit arbeitete er mit elegischen Geigenklängen, Klavier und orchestralen Loops, nun sollte der Sound vor allem elektronischer und überraschender daherkommen, auch wenn der erste Track der LP, das anschmiegsame „m’lover“, zunächst überhaupt nicht jene musikalische Komplexität erahnen lässt, die Kishi Bashis Kompositionen innewohnt. „Ich nehme mich und meine Musik nicht allzu ernst, das macht es mir leichter“, sagt der Multiinstrumentalist. „Wichtig ist mir, dass der Spaß nicht verloren geht und mit etwas Geheimnisvollem angereichert wird, das nicht so leicht zu entschlüsseln ist.“
Extraterrestrische Soundeffekte
Während Kishi Bashi auf früheren Platten schon mit Songnamen wie „Philosophize In It! Chemicalize With It!“ oder „The Ballad Of Mr. Steak“ für Verwunderung sorgte, sind es auf „Sonderlust“ vor allem die mal ironisch, mal erschreckend eingesetzten Soundeffekte, die staunen lassen. Das brillant-vertrackte „Say Yeah“ beginnt mit einem Beat, der an die Midi-Melodien aus früheren Nintendo-Spielen erinnert, und entwickelt sich zu einem sonnendurchfluteten Popsong. Aus dem Computer kommt er aber nicht, wie Kishi Bashi betont – er wurde auf einem Pocket Piano eingespielt.
Obwohl „Sonderlust“ mit seinen stürmischen Hymnen zunächst wie ein geradezu leichtblütiges Album wirkt, war der Anlass für das Songwriting eher trister Natur: Nach 13 Jahren Ehe hatten der Musiker und seine Frau sich auseinandergelebt. „Irgendwann bemerkt man einfach, dass sich auch die Liebe verändert“, so Kishi Bashi. „Es gehört wohl einfach zum Erwachsenwerden – und die moderne Ehe birgt wahnsinnig viele Herausforderungen, vor allem auch wenn man als Künstler ständig unterwegs ist.“
Orchestral Pop mit Special Effects
Die zuweilen dunklen Lyrics und die anheimelnden Refrains harmonieren prächtig, denn sie spiegeln auf unheimliche Weise das Gefälle einer emotionalen Reise wider, die eine auf Ewigkeit angelegte Partnerschaft nun einmal ist. „Ich habe einfach alles, was mit Liebe zu tun hat, infrage gestellt, aber ich habe der bitteren Medizin auch etwas Zucker beigefügt“, sagt Kishi Bashi. Die geschmeidige Produktion der vor Ideenreichtum geradezu platzenden Songs besorgte Grizzly-Bear-Bassist Chris Taylor. „Ich brauchte unbedingt jemanden, der entscheidet, was für meine Songs wirklich wichtig ist.“ Kishi Bashis Orchestral Pop strahlt dabei eine Frische aus, wie sie Grizzly Bear in den letzten Jahren nicht mehr gelungen ist.
Das liegt wohl auch an der nicht selten cineastisch anmutenden Atmosphäre. Die hat vor allem ein großes Vorbild: „Ich liebe die Musik von John Williams. Das ist ein echter Popstar, der alles erreicht hat – und wenn man heute darauf wetten würde, welche Musik auch in hundert Jahren noch gespielt wird, wäre meine Wahl gefallen.“ Ein Bruder im Geiste, der demonstriert hat, wie man Extraterrestrisches vertont.