Kings of Leon beweisen 2024: Rock stirbt nie
Auf „Can we please have fun“ wollen die Kings Of Leon der Rockmusik zu alter Größe verhelfen
Ein Albumtitel wie „Can We Please Have Fun“? Gälte noch bis in die Zehnerjahre als hedonistisches Statement, wie von den Chili Peppers oder Van Halen erdacht. Im Jahr 2024 aber – Corona, Trump, Putin, Gaza, China bedrängt Taiwan – versteht sich diese schwammig formulierte Bitte, wenn auch ohne Fragezeichen, als Reaktion auf weltpolitische Entwicklungen, schlimmer: den drohenden Weltuntergang. Als Ausdruck des Gefühls, dass wir einfach nicht mehr können. Dass man durch ist. Also, bitte: Spaß. Jetzt. Haben die Kings of Leon Platte Nummer neun deshalb so genannt?
Schlagzeuger Nathan Followill winkt ab. Dann seufzt er: „Wir sind unpolitisch. Aber erschöpft. Ja, der Titel passt zur Ära.“ Sein Bruder, Gitarrist Matthew ergänzt: „Wir wollten bei den Aufnahmen wieder Spaß haben. Die Vorgängerplatte ‚When You See Yourself‘ wurde von 2020 auf 2021 geschoben, wegen Covid. Wir konnten nicht touren. Nicht auszuhalten!“ Für den Spaß habe nun ihr Produzent Kid Harpoon gesorgt, der zuvor mit dem Harry-Styles-Album „Harry’s House“ einen Grammy gewann. „Dem war unsere Bekanntheit egal“, erzählt Matthew. „Er kam immer zu spät ins Studio, hat sich erstmal eine Schüssel Cornflakes gemacht und gefragt: ‚Was steht heute an?‘“
Die Kings of Leon sind politisch, ohne politisch sein zu wollen. Vielleicht wirken sie unbedarft, wie große Jungs, aber sie texten ihre Lieder nicht frei nach Schnauze. Das neue Stück „Hesitation Generation“ handelt von der Generation Z, die sich angeblich auf nichts festlegen will. Oder? „Ich kann mich an den Song schon nicht mehr erinnern“, sagt Matthew. „Mein Bruder Caleb hat ihn geschrieben.“ Nathan: „Dem Text habe ich keine Aufmerksamkeit geschenkt … ist halt ein guter Titel inklusive Reims. Hätte auch ‚Hesitation Celebration‘ heißen können!“ In solchen Momenten wirkt es, als würde die Band, wie es klischeehaft heißt, „die Musik für sich sprechen lassen“ wollen, nichts erklären. So entstehen auch aussagebefreite Albumtitel wie „Because of the Times“ von 2007. Fair enough. Leider wird den Kings of Leon ein Mangel an Selbstironie unterstellt. Aber: Selbstironie verständlich zu machen, muss nicht ihre Aufgabe sein. In „Nothing To Do“ singt Caleb Followill von „Panic on the street, man is obsolete“ und einem „Man on a Mission“, das kann man lustig finden.
Das Netz scheint ein Urteil schon vor Jahren gefällt zu haben. Die YouTube-Dokus heißen „When Your Band Finally Goes Mainstream“, oder, in Anlehnung an den Single-Hit der Kings of Leon, nicht „Sex on Fire“, sondern „Sexist on Fire“.
Mit „Sex on Fire“ gelang ihnen 2008 eine Nummer eins in Großbritannien. Das zuvor als „Scheunenrocker aus den Südstaaten“ vermarktete Quartett wurde, fünf Jahre nach seinem Debüt, zu Superstars des Alternative Rock. Die Followills erinnerten, wie „Pitchfork“ bemerkte, an Bands aus dem „Almost Famous“-Film Cameron Crowes über die Groupierock-Ära der frühen 1970er-Jahre.
Aus „Sex“ wurde „Sexist“, nachdem die angebliche Bedeutung des Lieds offengelegt wurde: ein Blowjob beim Autofahren bei gleichzeitig souveränem Halten der Spur. Von der Band als Interpretation nicht widerlegt. Led-Zeppelin-Fantasien von mächtigen Guitar Wizards und willigen Jungfrauen also. Schon Ende der Nullerjahre, als Begriffe wie „Woke“ oder „Toxische Maskulinität“ noch nachgeschlagen werden mussten, war dieses Cockrock-Ideal ein No-Go in jeder seriösen Musikrichtung außerhalb von Metal. Cancel Culture gab es noch nicht. Gut für die „Kings“.
Die Diskussion um Sexismus eskalierte 2011, als die Kings of Leon der Verwendung ihres Songs „Use Somebody“ in der Musical-Comedy „Glee“ eine Absage erteilten, Showrunner Ryan Murphy sein Unverständnis äußerte, und Nathan daraufhin twitterte, dann solle der sich „einen Therapeuten aufsuchen, zur Maniküre gehen und einen neuen BH kaufen.“ Murphy lebt offen schwul.
Solche Witze sind möglicherweise Ausdruck binären Denkens, das einem in die Wiege gelegt wird. Die „Kings“, drei Brüder, ein Cousin, sind gläubig. Caleb, Gesang, Matthew, Gitarre, Nathan, Drums, Jared, Bass: biblische Namen, und der Vater ein Erweckungsprediger, nach dessen pfingstkirchlichem Grundsatz nur errettet werden kann, wer gegenüber dem Evangelium absoluten Gehorsam zeigt. Die vier Followills wollten dennoch unchristliche Musik machen. Und natürlich Mädchen abschleppen.
Ein Single-Titel wie nun „Mustang“ mag Augenrollen verursachen, ist aber weniger Wildpferd als gedacht, die Zeile „Are you a Mustang, or a Kitty?“ kein provokanter Appell an die Geschlechtsgenossen zur Demonstration von Härte. „Ich weiß“, sagt Matthew, „die Lyrics lesen sich wie die Infragestellung des modernen Mannes.“ Aber die Story dahinter sei banal. „Calebs Sohn trug ein Shirt mit einem Mustang darauf, seine Tochter schaute Katzenvideos. Die Zeile war ein Platzhalter, der am Ende bestand. So wie auch ‚Sex on Fire‘ – eine Dummy line, mehr nicht.“
Früher oder später landet man immer wieder bei „Sex On Fire“. The Killers hatten „Mr. Brightside“ und die Arctic Monkeys „I Bet You Look Good On The Dancefloor“, also den einen Evergreen, den alle kennen, aber nicht exemplarisch ist für den Katalog der Band. Die „Kings“ respektieren dennoch die Erwartungen, bringen ihren Klassiker traditionell als letzte Zugabe eines 19-Song-Sets.
In Europa wurden sie seit Beginn ihrer Karriere 2003 geliebt, auch, weil sie wie Exoten wirkten, die Verandaglück aus dem Goldenen Süden vorlebten, die Idee von einem amerikanischen Dasein, das erstrebenswerter ist als das in der City. „Come Around Sundown“ hieß ein Album – eine Einladung zum Blick über Erntefelder, nicht Wolkenkratzerschluchten. Das „Mustang“-Video, in Downtown Nashville gedreht, zeigt urbane, anarchische Szenen mit aufeinander losgehenden Menschen. Die „Kings“ beobachten darin das Treiben vom sicheren Hochhausdach aus und wollen wieder weg.
Enttäuschte Southern-Rock-Apologeten datieren den „Ausverkauf“ ihrer Lieblinge auf die Tournee 2005 im Vorprogramm von U2. Die Iren bespielten ihm Rahmen ihrer „Vertigo“-Konzertreise Stadien. Höhenluftschnuppern für die Followills, die zu jener Zeit zwei Top-5-Alben im Vereinten Königreich verzeichneten, in den USA aber mit „Youth & Young Manhood“ und „Aha Shake Heartbreak“ nicht die Top 50 knackten. Caleb intonierte seine Texte ab „Sex On Fire“ immer verständlicher, und die Gitarren klangen weniger verstimmt. Seitdem gab es auch Nummer-eins-Erfolge in der Heimat.
„Glatt“ und „kommerziell“ sind die zwei häufigsten Phrasen, wenn Künstler sich vom Garagensound, hier eher Heubodensound, der frühen Tage verabschieden, von „Kult“ auf „maximales Kommunikationsbedürfnis“ schalten. Seit „Walls“ von 2016 machen Studio-Polituren aus ihrem Southern-Rock einen Pop-Rock, dafür steht auch Harry-Styles-Produzent Kid Harpoon. Ändert aber nichts daran, dass die Followills einfach sehr, sehr gute Melodien schreiben. Die Kings of Leon klangen früher, den Kuschelrock von heute hin oder her, rauschebärtiger als jetzt. Manchmal altklug. „Je mehr Kritik wir erfahren“, sagt Nathan, „umso mehr schweißt uns das zusammen. Das vergessen die Leute oft: Wir waren schon vor der Gründung der Kings miteinander eng. In einer normalen Band? Vier verschiedene Perspektiven von vier Leuten aus vier Familien. Bei uns? Gäbe es die Kings nicht, hätten wir einen Malereibetrieb, würden Häuser lackieren und dennoch glücklich sein.“
„2024 wird das Jahr, in dem Rock and Roll endlich wieder den Thron besteigen wird“
Zudem teilen die Kings of Leon eine Gemeinsamkeit mit zumindest drei der vier anderen großen Rock-Bands der Nullerjahre, die zu Festival-Headlinern wurden, den Strokes, Arcade Fire und Radiohead: Sie inszenieren keine Bühnenshow. Keine verkünstelten Kulissen, keine parallel auf Leinwand gezeigten Spielfilme, nur um alle Sinne überwältigen zu können. Vielleicht sind die „Kings“ sogar noch bescheidener. Sie setzen, anders als Radiohead, selten Visuals ein oder bezwingen das Publikum nicht, wie Arcade Fire, durch die schiere Anzahl ekstatisch tanzender Mitglieder. Lediglich Coldplay, die Nummer fünf dieser Big Five, überhöhen sich. Die Bühnendarbietungen Chris Martins, seine Ansagen und Rund-um-die-Tour-Aktionen, haben den Charakter lebensrettender Maßnahmen für den Planeten Erde. Darunter geht’s nicht.
Rockmusik sei tot, heißt es. Seit Jahren. Stimmt ja nicht. Das wissen auch die Kings of Leon, deren ältestes Mitglied Nathan 43, und jüngstes, Jared, 37 Jahre alt ist. „Ich erzähl‘ Dir was“, sagt Nathan. „Die Kings of Leon haben eine neue Platte. Die Killers auch. Die Black Keys. Und Pearl Jam. 2024 wird das Jahr, in dem Rock and Roll endlich wieder den Thron besteigen wird, den er einst aufgeben musste.“ Und fügt nach einer Pause hinzu: „Dafür bin ich dankbar.“