King Crimson und ‚in the Court of the Crimson King‘: apokalyptische Visionen
Vor 45 Jahren veröffentlichten Robert Fripp und Kollegen ihr epochales Album "in the Court of the Crimson King".
King Crimson – In The Court Of The Crimson King ****
aus ROLLING STONE 01/2010
von Franz Schöler
An die Devise „Sag niemals nie!“ hat sich bis heute nie jemand strenger gehalten als Robert Fripp. Für jemanden, der schon nach „Red“, seinem siebten Werk in gerade mal sechs Jahren, erklärte, er sei restlos desillusioniert von diesem ganzen Musikgeschäft, hat er sich zu mehr Comebacks aufgerafft als alle Kollegen der Prog-Rock-Zunft. Dass er sich 1974 so bitterlich beklagte („Red“ kam daheim nur noch auf Platz 48, in Amerika trotz erfolgreicher Tournee der zum Power-Trio geschrumpften Band gerade noch auf Platz 66 der LP-Hitparade), musste man nie sonderlich ernst nehmen. Das Debüt – eine schwere Geburt, erst im dritten Anlauf, dann aber sehr rasch realisiert – hatte die Band im November 1969 sensationell in die Top 5 katapultiert, das schwächere, schon sechs Monate später nachgereichte Folgewerk „In The Wake Of Poseidon“ kam gar auf Platz 4! Von solchen Erfolgen konnte die etwa zeitgleich angetretene Konkurrenz von Soft Machine bis Gentle Giant und von Genesis bis Yes noch eine ganze Weile nicht mal träumen. Bei denen handelte es sich im Gegensatz zu King Crimson um richtige Band-Projekte, während Fripp das von ihm klar dominierte Aggregat mehr als eine Art Versuchslabor und auch schon mal als Durchlauferhitzer für Musiker wie Greg Lake sah. Letzterer kündigte wie Mellotron-Magier lan McDonald und andere Kollegen bald schon wieder die Freundschaft auf (was ein angeblich am Boden zerstörter Fripp nicht begreifen mochte). Aber der Einstand, der ihm mit „In The Court OfThe Crimson King“ gelang, begründete eine sehr lange Karriere.
Anders als der Kollege Keith Reid von Procol Harum entwickelte Fripps Textchef Pete Sinfield apokalyptische Visionen, die man sich nicht nur gesungen von Greg Lake anhören, sondern auch deklamiert von Vincent Price vorstellen kann, Verse wie „The keeper of the city keys/Put shutter on the dreams/I wait outside the pilgrims door/With insufficient Schemes/ The black queen chants the funeral march…“ oder „Knowledge is a deadly friend/When no one sets the rules/ The fate of all mankind I see/ Is in the hands of fools.“ Letzteres stimmt vermutlich nach wie vor. Aber was auch Kollegen wie Pete Townshend damals als einen popmusikalischen Kulturschock und so faszinierend empfanden, waren weniger die Texte als vielmehr diese so unbekümmerte wie unerhörte Mischung aus Kammermusik, Elektronik, Jazz- Elementen und manchmal nicht zuletzt an neuere Jimi-Hendrix-Experimente erinnernde Rock-Einsprengsel. Das passte auch zu Sinfields gehobener Horror-Lyrik wie „When every man is torn apart/ With nightmares and with dreams/ Will no one lay the laurel wrath/ As silence drowns the screams.“
Das pauschal formuliert mehr in Richtung Jazz-Rock tendierende „Lizard“ (2,5 viel Mellotron, noch mehr Saxofon und Jazz-Trommeln) rechnet Fripp selber in seinen Liner Notes zur jetzt vorgelegten Ausgabe zu den schwerer verdaulichen und unpopulären Platten im Gesamtwerk seines King Crimson-Projekts. Trotz der Präsenz von Keith Tippett und manchen Cracks klingt das zwischendurch auch mal ein klein wenig so, wie sich der kleine Moritz diesen ganzen Free Jazz vorstellen mag. Seine verklausulierten Anmerkungen zum Ende der Beatles reimte Sinfield hier in den Versen von „Happy Family“.
Dagegen legte das Trio Fripp/Wetton/Bruford vier Jahre später bei „Red“ auf richtig altmodische Songqualitäten gesteigerten Wert. Dass John McLaughlin den Gitarrero beeinflusst haben dürfte, ist nicht zu überhören. Andererseits verblüfft immer noch, dass ausgerechnet diese mit David Cross als prominentem Gast an Mellotron und Violine kommende Platte Kurt Cobain so mächtig beeindruckt haben soll. Das waren schon höchst diszipliniert und konzentriert musizierte Sessions.
Die Arbeit des für diese Neu-Editionen verpflichteten Produzenten und Tonmeisters Steve Wilson beschränkte sich nicht auf das Remastering, er mischte die bekannten Aufnahmen wie auch die hier erstmals auftauchenden, teils richtig faszinierenden Outtakes und Instrumental-Versionen sowohl für Stereo- als auch für Surround-Wiedergabe auf DVD-Audio gänzlich neu von den Mehrspur-Originalen ab. Das seinerzeit live im Studio musizierte „Red“ profitierte dabei zweifellos am meisten.