Kim Wilde im Interview zu „Closer“: „Ich bin 64 und froh darüber“
Mit „Closer“ legt Kim Wilde ein Comeback-Album vor.

Für Kim Wilde haben die Baseballschlägerjahre begonnen. Die Keule über die Schulter gelegt, beschreitet sie den „Pfad der Verwüstung“. Hält sich die Hände vors Gesicht, die Monitore vor ihr strahlen den Wahnsinn unserer Zeit aus: Klimakatastrophe, Kalter Krieg, Fake-News-Schleudern, Orks, die das Washingtoner Kapitol stürmen. „Trail of Destruction“ heißt die Single, mit der die Sängerin ihr Comebackalbum „Closer“ ankündigt.
„Mit dem Baseballschläger auch ein paar Mobiltelefone zerschmettern? Könnte nicht schaden“, sagt Wilde lachend. „Wir wissen doch, dass Social Media nicht immer gut für uns ist.“ Als politische Künstlerin war Wilde, die mit „Closer“ ihr erstes Werk seit sieben Jahren veröffentlicht, allerdings nicht bekannt. „Ich sehe mich auch nicht als politische Künstlerin“, sagt sie. „Aber ich bin in einem Alter, in dem man etwas weiser ist. Ich will Dinge benennen, die schieflaufen.“ Sie benennt sogar ihr Alter, voller Selbstbewusstsein: „Ich bin 64 und froh darüber, froh über die Klarsicht auf die Welt.“
Auf Hi-NRG folgen sehnsüchtelnde Balladen
Wilde befindet sich im 45. Jahr ihrer Karriere. 1981 feierte die Tochter des Rock’n’Rollers Marty Wilde mit ihrer Debütsingle „Kids in America“ sogleich einen Welthit. In den Jahren darauf galt sie als britisches, weniger krachiges Postpunk-Gegenmodell zu den Amerikanerinnen Madonna und Cyndi Lauper. In Großbritannien fehlte ihr gar die Konkurrenz. Aber ihr bislang letzter Erfolg würde auch nicht lange auf sich warten lassen: der Dance-Megamix der „Close“-Platte (1988) und rauschhafte Singles wie „You Came“. Der Titel ihres neuen Werks fügt jenem Albumklassiker schlicht das „e“ hinzu, Wilde sieht „Closer“ in derselben Tradition: „Es ist derselbe Spirit“. Das stimmt. Auf Hi-NRG folgen sehnsüchtelnde Balladen, dazu gibt es „Sorrow Replaced“, ein Duett mit ihrem Freund Midge Ure, dessen „Vienna“ sie als „einen der Top-3-Songs der Achtziger“ kürt.
Kin Wilde: „Trail of Destruction“:
In den mittleren 1990er-Jahren kehrte Wilde der Musikwelt den Rücken. Als Gartengestalterin gewann sie Preise. Und setzte sich für Umweltpflege ein, was den Kreis zum „Trail of Destruction“-Video schließt, das auch den Raubbau an der Natur anprangert. „Nach meinem Abschied von der Musik fühlte ich mich erleichtert. Ich hatte das Gefühl, auf meinen Look reduziert zu werden. Es war ein Kampf“.
Manche hielten Kim Wilde für die Erfindung von Produzenten. Aber sie komponierte ihre Lieder selbst, mit ihrem Bruder Ricky Wilde. Geboren wurden die Wildes als Smiths. „Kim Smith? Das hätte nicht funktioniert. Mein Vater hieß auch nicht Marty, sondern Reginald. Fragen Sie mal Elton John, ob er geglaubt hätte, als Reginald Dwight Karriere machen zu können!“. Sie gibt sich leidenschaftlich, als das Gespräch auf ihren ein Jahr jüngeren Bruder Ricky fällt. „Ein Genie. Der Mozart seiner Generation. Aus der Arbeit von Bruder und Schwester entsteht oft Magie. Ich liebe Billie Eilish und Finneas, Karen und Richard Carpenter. Man spürt die Vertrautheit in ihren Liedern.“
„Musikladen“ – „das war die beste Show von allen“
Ihre Familie war es auch, die die junge Wilde in den 1980er-Jahren beschützte und als Begleitung durch die Kontinente tourte. Jenes Jahrzehnt war sicher nicht minder sexistisch als das heutige, aber von MeToo-Fällen blieb Wilde, wie sie sagt, verschont. Hierzulande wird sie verehrt. Anfang der Nullerjahre ging sie mit Nena ins Studio, aus „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“ wurde „Anyplace, Anywhere, Anytime“. „Nena und ich feierten in derselben Ära unseren Durchbruch. Die Mode, unser Auftreten, die Dynamik – wir waren uns ähnlich.“ Ihre Augen leuchten, als sie diesen Namen in akzentfreiem Deutsch ausspricht: „Musikladen“ – „das war die beste Show von allen“. Sämtliche britische Stars, die sie mochte, habe sie nicht in ihrer Heimat getroffen, sondern auf Konzertreise in Deutschland: Billy Idol, Sting, die Rolling Stones.
Nun der Blick in die Zukunft. Kim Wilde freut sich auf ihr Konzert im November in Bochum. „Fällt mit meinem 65. Geburtstag zusammen! Ideal. Von euch bekomme ich immer die schönsten Geschenke.“ Nur bitte keine Handys. Die würden wohl zu Opfern ihrer Keule.