Kiefer Sutherland live in Berlin: Rauer als Bauer
Mit seiner „Not Enough Whiskey in Europe“-Tour machte Kiefer Sutherland in Berlin Station. Und bewies, dass er mehr ist als nur der „singende Schauspieler“.
Am Ende steht es 0:0. Null Rufe aus dem Publikum für „Jack Bauer“, null Rufe aus dem Publikum für „Tom Kirkman“. Diese Art von Unentschieden aber ist ein echter Erfolg für Kiefer Sutherland. Kein Fan im Heimathafen Neukölln, wo der singende Schauspieler am Mittwoch gastierte (präsentiert von ROLLING STONE), erlaubte sich störende Zwischenrufe. Keiner brüllte nach den beiden TV-Helden aus „24“ und „Designated Survivor“. Und tatsächlich: Live ist Kiefer Sutherland ein kleines Erlebnis.
Schon zu Beginn zieht der Mann alle Register. Nachdem sich der rote Bühnenvorhang öffnet, spielt sich innerhalb der ersten fünf Minuten alles ab, was zur Rock-Show gehört, wie sie ein 50-Jähriger liefert, der mit 49 sein Debütalbum veröffentlicht hat. Er reißt seine Akustikgitarre nach oben, weit über die Schulter, schiebt sie passend zu den Tönen von links nach rechts, besonders dann, wenn sein Leadgitarrist das Solo anschlägt – klare Ansage, Sutherland ist hier der Boss. Er stellt sich Rücken an Rücken zum zweiten Gitarristen. Er macht, am Ende des Eröffnungsstücks, zum Schlagzeug-Tusch den angedeuteten Scherensprung. Sein Cowboyhut sitzt, und der kommt ganz ohne jenes Spielzeug-Hut-Bändchen aus, das den Leuten meist eh nur das Doppelkinn abschneidet. Seine Arme zieren Tätowierungen, wie die italienischer Fußballer, und man ist verblüfft. Wie aufwendig es wohl sein muss, die Tattoos zu retuschieren, sobald Sutherland im Fernsehen als Anti-Terror-Agent oder als US-Präsident auftritt?
Es existiert wohl kein amerikanisches Musikgenre, das Deutsche so gerne parodiert sehen wollen, wie Country oder eben jenen Country-Rock, den Sutherland aufführt. Verballhornung wird es hier aber nicht geben. Es gibt kein Gelächter. Den Respekt der Berliner Konzertbesucher, die sicher nicht alle nur Country-, sondern auch TV-Fans sind, hat er sicher. Sutherlands Erstlingswerk „Down In A Hole“ bietet solide Eigenkompositionen. Seine Ansagen haben Höhepunkte und Teaser, und er macht sie durchgehend mit voller, nie atemloser Stimme: wohl das Ergebnis jahrelangen Sprech-Trainings.
Er huldigt den Legenden
Durch den knapp 70-minütigen Gig der „Not Enough Whiskey in Europe“-Tour ziehen sich auch Country-Stilismen. Sutherland kündigt einen Song für die „Loved Ones“ an, ein anderer dreht sich um „Heartbreak“, während eines nächsten Lieds lädt der Sänger dazu ein „to pull the shades, lock the door, put your feet across the floor.“ Seinen Idolen huldigt er mit unangreifbaren Einschätzungen („Willie Nelson and Johnny Cash changed Country forever“). Tom Petty, dessen „Honey Bee“ er covert, ist für ihn das „authentic real badass“.
Auch dem verstorbenen Merle Haggard („The Bottle Let Me Down“) zollt Sutherland Tribut; die Musiklegende soll ihn als Tour-Support eingeladen haben, dreieinhalb Wochen später verstarb er, und Sutherland sagt mit staatstragender Stimme: „This is my way of saying ‘hello‘“. Aber das sind alles angemessene Formen. Kein Vergleich zum Hollywood-Kollegen und ebenfalls Country-Musiker Kevin Costner, der bei seinem Konzert mal den Offenbarungseid leistete, etwas tat, das sich in die Netzhaut einbrannte: Costner lief durch die Publikumsreihen und wandte sich an einzelne Fans, „danke, dass euch meine Musik gefällt.“
Natürlich möchten die Leute, und es ist ja auch okay, von Sutherland Star-Geschichten hören. Stories from Hollywood. Dazu gehören ein paar Trinker-Weisheiten („I’ve been to jail, but not to prison. In prison they take your dignity away“), und natürlich Erzählungen vom Aufwachsen in Hollywood. Mit Donald Sutherland, 81, hat Kiefer ja einen Vater, der noch etwas berühmter ist als er. Fast schon zu knapp berichtet Kiefer davon, wie er im Alter von viereinhalb zum Senior kam („Er hatte gerade die Dreharbeiten von ‘Mash‘ beendet, er kannte keine Regeln“) und Dad ihn jeden Morgen mit dem Ferrari zur Schule brachte: „Ich wusste damals schon, wie cool das war.“ Auf Kassette im Autoradio: Bob Dylan. Immer wieder.
Recht mutig ist es auch, sein Set mit einem Klassiker Dylans zu beenden, „Knockin‘ On Heaven’s Door“. Das trauten sich bislang nicht mal Guns N’Roses. Und die knapp 800 Zuschauer im Heimathafen sind nun noch lauter als zuvor.
Hätte ein anderer, etwa unbekannter 50-jähriger Sänger mit seinem Albumdebüt so viele Zuschauer in Deutschland ziehen können? Wahrscheinlich nicht. Aber hat dieser Newcomer es denn verdient? Auf jeden Fall.