Kicker, Gangsta-Style
Sex on two legs.“ So wird Rio Ferdinand, der Abwehrspieler von Manchester United, von seinen Fans genannt. Von weiblichen Fans. Tatsächlich gibt es kaum attraktivere Innenverteidiger als den englischen Nationalspieler. Der Sohn karibisch-irischer Eltern versteht sich auf die Zeichensprache des HipHop. You can take Rio out of the Ghetto buf you can’t take the Ghetto out of Rio. Nach diesem Motto gibt sich Ferdinand geläutert, aber herkunftsbewusst. Er stammt aus dem Londoner Unterklassenvorort Peckham, wo vor allem Einwanderer aus der Karibik und Afrika leben. Zwischen Peckham und Beckham liegt ein kleiner, feiner Unterschied. Rio Ferdinand kommt regelmäßig nach Peckham, um soziale Projekte zu unterstützen. Mit der streetwisen Eleganz eines Snoop Dogg verkörpert er den Prototyp des Rap-Fußballers. Wie Gangsta-Rap verspricht Fußball schnellen Reichtum. Klasse, Rasse und Herkunft müssen kein Handicap mehr sein auf dem Weg nach oben. Es gelten die neoliberalen Imperative der Selbstoptimierung. You can do it.
Mit Ben-Sherman-Hemd zu Cornrows gibt Rio Ferdinand den Playa, english style. 2005 wird er zum bestangezogenen Briten gewählt – Beckham war gestern. Und metrosexuell – im homophoben Fußballersprech soviel wie: schwul. Rio ist sexuell eindeutig, ohne Vorsilbe. Sex auf zwei Beinen. Gerüchte von Parties mit Prostituierten schaden seinem Ruf so wenig wie ein Doping-Skandal. Er leistet sich gar einen kleinen Seitenhieb auf den einst heiligen Becks. Es geht um einen wichtigen Aspekt des modernen Fußballs: die Musik in der Kabine. Bei Länderspielen ist der Kapitän zuständig. Laut Rio spielt DJ Becks „ein schlaffes Potpourri, Robbie Williams, Balladen, sanft Poppiges, kurzum.- Kaufhausmusik, so dass die Spieler einschlafen und spielen wie Zombies“. Der Verteidiger plädiert für aggressivere Musik, HipHop etwa. Da kennt Rio Ferdinand sich aus. Von einem „Guardian“-Reporter lässt er sich beim Plattenkaufen in Manchester begleiten. Inzwischen hat er auch ein Label gegründet, White Chalk Music. Für die erste Single hat er einen Talentwettbewerb organisiert. Der Siegertrack von Nia Jay ist ein futuristischer R&B mit Grime-Einschlag.
Wie wichtig der Sound der Kabine ist, das weiß man ja spätestens seit DJ Asa und DJ Mehmet. Rein sportlich haben die beiden Migrantensöhne wenig (Asamoah) bis gar nichts (Scholl) zum dritten Platz des DFB-Teams bei der WM 2006 beigetragen. Dennoch kann ihr Anteil am schwarzrotgoldbesoffenen Sommermärchen nicht überschätzt werden. Der Türkobayer Scholl hat seine Münchner Sportfreunde Stiller an den DFB vermittelt. Gerald Asamoah hat als Kabinen-DJ die Brüllattacken des „Motivationskünstlers“ Klinsmann flankiert. Wie Rio Ferdinand trägt Asamoah Cornrows und mag Tupac fast so sehr wie Xavier. Mit daueroptimistischem Weiße-Zähne-zu-schwarzer-Haut-Lachen profiliert er sich als integrationswilliger und völkerverständigungsgläubiger Afro-Soulbrother alter Schule, am 3.Oktober wird er 30.
Ganz anders die Brothers aus der Berliner Schule. Ashkan Dejagah, Sofian Chahed und die Gebrüder Jerome und Kevin-Prince Boateng sind Rap-Kicker aus der Talentschule von Hertha BSC. Alle haben das, was man auf Verwaltungsdummdeutsch einen „Migrationshintergrund“ nennt, alle sind tätowiert, alle haben Hertha BSC mittlerweile verlassen. Bis auf Chahed. Der ist in Musikvideos von Ich&lch und der Berliner Hip-Hop-Crew am2pm aufgetreten und gilt inzwischen als vernünftig und verantwortungsvoll, er ist – auf Fußballdummdeutsch – ein „Führungsspieler“.
Während Chahed den Asamoah-Naidoo-Weg einschlägt, repräsentieren Dejagah und die Boatengs die Rütli-Old-School.
Mit martialischen Gesten bedienen sie die Lustangst von braven Deutschen, die Neukölln für ein einziges Schlachtfeld halten: nix als Gangwars und Gangbangs. „Ohne den Fußball wäre ich wahrscheinlich kriminell geworden“, erklärt Boateng. Die Gangster-Karriere von Ashkan Dejagah ist noch überschaubar. 40 000 Euro Geldstrafe plus Fahrverbot wegen Unfallflucht – eher läppisch, verglichen mit den Einschusslöchern von 50 Cent. Mehr Aufsehen erregte Dejagahs Weigerung, an einem Länderspiel der deutschen U 21 in Israel teilzunehmen. Der Deutsch-Iraner sprach von persönlichen Gründen. Seinen Verwandten in Teheran drohten Repressalien, wenn er in Israel spiele. Prompt kam der Antisemitismus-Vorwurf, den kennen ja viele Rapper, nicht nur die von der Nation Of Islam.
Wie Snoop Dogg und 50 Cent zeigen Rap-Kicker gern ihren muskulösen Körper mit Tribal-Tattoos. Sie geben den Nigga With Attitude: jedes Spiel eine Performance, einstudierte Choreographie beim Torjubel, Grußrituale an die Community, kryptische Botschaften auf T-Shirts. Wenn die Freude raus muss, dann muss das Trikot aus, Scheiß auf gelbe Karte. „Bring deinen Körper auf die Party, etwas anderes hast du nicht“, wussten schon Family Five.
Und ganz bestimmt kennen die Boatengs und Dejagahs den alten Witz von Richard Pryor: „Warum haltet ihr Nigger eigentlich immer euren Schwanz fest? – Weil ihr Weißen uns alles andere weggenommen habt.“