Kennt die Sounds zwischen Frieden und Leidenschaft: Me´Shell Ndegeocello
Man muß einfach lauschen, wie Me’Shell NdegeOcello das Wort Sound ausspricht. Es klingt ungefähr so, als ob ein Rennfahrer im Leerlauf kurz das Gaspedal durchtritt, „“ssssssauuuhhhnnnnnnnnd…“, und das finale „d“ explodiert, wie in „god“. Ja, Ndege-Ocello liebt Sounds – Baß-Sounds, Vokal-Sounds, Saxophon-Sounds, mit denen sie umgeht wie eine Malerin, ein bißchen „Blue And Green“-Miles-Davis-mäßig, ohne Scheu vor Elton Johns schmierigem Knalltüten-Pop, groovy, funky, soulful verortet irgendwo zwischen Frieden und wahrer Leidenschaft. „Ein wirklich guter Sound läßt dich etwas fühlen, was du nie vorher gefühlt hast,“ sagt NdegeOcello mit ihrem geschorenem Kopf und gewandet im längstgestreiften 60er-Jahre- Anzug.
Zweifellos spricht hier ein spiritueller Beatles-Fan. Sie hat sich auf einer weiß lackierten Couch ausgestreckt und redet von der Armut in Amerika, für die es keine Entschuldigung gibt, zeigt verächtlich auf die geschmacklose Einrichtung ihrer Hotelsuite. Fette Ledergarnituren, Rauchglastischchen und, wo’s blitzen soll, Messing: So hat sich Ndege-Ocello den Popstar-Status nicht gewünscht „Ich dachte, ich gebe großartige Konzerte – und die Leute lieben mich dafür.“ Aber NdegeOcello lernte, daß die Vorstellung ihrer Fans sich nicht mit dem deckte, was sie lebte – „in Amerika bin ich immer noch der Nigger, der singt“. Für eine Anzeigenkampagne sollte sie als „Me’Shell Ndege-Ocello, musician“ werben. „Ich fand, daß dort ,singer, musician, mother‘ stehen müsse“ – ganz oder gar nicht:Wer ein Album „Peace Beyond Passion“ nennt, der hat keinen Sinn für halbe Sachen.
NdegeOcellos erste Platte „Plantation Lullabies“ brachte ihr 1994 vier Grammy-Nominierungen, Renommee als begnadete Bassistin und Songschreiberin und die unendliche Banalität des Popstar-Daseins. Musikergrößen, die sie respektiert, heißen nicht zufallig John Mellencamp, der sich jahrelang als „Witz der Musikindustrie fühlte“, Grateful Dead oder Bill Withers, der die Popindustrie „obszön“ nannte und in dessen Musik NdegeOcello mehr als nur coole Baßlinien findet. Ganz tief unten in der Amerikanerin lebt eine Vorstellung von Kunst und Musik als Vehikel für Gerechtigkeit und Transzendenz, die sich auch darin äußert, daß sie ihre Interviews stets ohne Make-up absolviert.
Aufgeklärt, abgeklärt: Viele federnd vor sich hin schreitende Meisterwerke, die sich auf NdegeOcellos neuem Album „Peace Beyond Passion“ befinden, schrieb sie mit Anfang 20. Wer so jung schon so gut ist, kann wahrscheinlich anschließend nur noch nach Gott suchen, spirituelle Soul-Poesie dichten, die sich liest wie eine Zusammenfassung philanthropischer Grundsätze aller Weltreligionen, zwischen denen diese Frau wandelt wie zwischen Jazz und Pop, getrieben von der Sucht nach Sinn. „Ich versuche nur, ein guter Mensch zu sein. Teilen bedeutet nicht, daß du weniger hast,“ meint sie. Vorbild sein, mehr handeln, weniger reden die nächste Platte jedenfalls soll rein instrumental sein. Vieldimensionales „ssssssauuuhhhnnnnnnnnd“-Design. Vielleicht will sie aber auch keine Platten mehr machen. Nur noch lesen, Spaß haben, ihrem Sohn erklären, warum man nicht auf Skulpturen klettern darf. Popstar zu sein kann schließlich nicht alles sein. Man ahnt: Das Beste kommt noch.