Kennedy im Fuselladen
Trotz widriger Umstände hat David Berman dem Schicksal ein neues Silver Jews-Album abgetrotzt
Nach der Veröffentlichung des Silver Jews-Meisterwerks „American Water“ hieß es 1998, David C. Berman, Dichter, Songschreiber und Initiator dieses Projekts, mache keine Musik mehr, sitze nur noch deprimiert auf einem Stuhl und lese russische Literatur – vermutlich Gontscharows „Oblomow“. Drei Jahre später erschien „Bright Flight“, ein herausgeputztes, fokussiertes Album voller Berman-typischer Wortspiele und Apercus im Lambchop-Sound von Produzent Mark Nevers. Dann wieder vier Jahre Stille. Keine Tour, kein Wort. Kein Interview. Äußerst rätselhaft.
Noch ein Rätsel: Auf dem Cover des neuen Silver Jews-Albums „Tanglewood Numbers“ sieht man die Büsten von John F. Kennedy, Martin Luther King und Robert Kennedy im Regal eines Fuselladens stehen. „Ich will nicht zuviel verraten“, meint Berman. „aber im Text eines neuen Songs, der ,K-Hole‘ heißt, kommen ein König und ein liquor store vor, und der Song setzt sich politisch mit unterdrückten Menschen auseinander, für die diese drei Männer sich eingesetzt haben. Du mußt wissen, in den neuen Songs gibt es so einiges zu dechiffrieren, eine Menge Zwei- und sogar Dreideutigkeiten. Das Album soll über Jahre hinweg interessant bleiben, nicht nur für ein paar Wochen.“
Eine Bemühung, die man nach dem langen Warten auf dieses rauhe, endlich auch wieder durch die Gitarre von Stephen Malkmus veredelte Juwel verstehen kann, zumal, wenn man weiß, wie es um das Leben des labilen Berman in den letzten Jahren bestellt war. „Ich habe Musik und Schreiben im allgemeinen aufgegeben und Zeit, Geld und alle Energie dem Trinken und sonstigen Drogenkonsum gewidmet. Das ging seit 1999 einige Jahre so (von wegen Bücher lesen!), bis mein Gehirn eines Nachmittags mit dem Schaden, den ich meinen Nervenrezeptoren antat, nicht mehr klar kam, und ich beschloß, 200,5 Gramm Xanax zu nehmen. Drei Tage später wachte ich in einem psychiatrischen Krankenhaus auf und willigte in eine Entziehungskur ein. Am 1. Januar 2004 kam ich aus dem Entzug, habe mich sechs Monate erholt und dann angefangen neue Songs zu schreiben.“
Eine ziemlich lakonische Schilderung einer im Selbstmordversuch endenden Krise, der die amerikanische Zeitschrift „Fader“ mehrere Seiten widmete. „Es ist ziemlich unangenehm, diese Sachen immer wieder zu erzählen. Andererseits hatte ich keine Lust, allen Leuten Lügen aufzutischen. Ich habe das, als ich dieses Album machte, lange mit meinem Rabbi besprochen und mich schließlich entschlossen, mich nicht vor der Wahrheit zu verstecken, einmal alles zu erzählen, anstatt das bei jedem Interview noch einmal durchleben zu müssen. Daher gibt’s dazu nur noch kurze Antworten.“
Selbst nach Ende des Entzugs gab es noch einige äußerst strapaziöse Momente in Bermans Leben. Kurz vor Fertigstellung des Albums brannte das Studio in Memphis, in das Bänder mit den Aufnahmen zum Mischen und Mastern geschickt wurden, nieder. Erst einige Tage später tauchten sie in einem vom Feuer weitgehend verschonten Teil des Gebäudes wieder auf. Berman hatte sich schon überlegt, was er bei weniger glücklichem Ausgang getan hätte: „Vermutlich hätte ich einen rechtsradikalen Talk-Showmaster auf dem Weg vom Bahnhof zu seinem Auto erschossen und dann das Gewehr gegen mich gerichtet.“ Danken wir seinem Rabbi für den glücklichen Ausgang.