Kelten? Eher selten!
Die Altertumsforscherin Loreena McKennitt veröffentlicht ihr Gesamtwerk neu - als Überbrückung
Im Brüsseler Cirque Royal kann man viel erleben. Von Adam Green bis Helmut Lotti gastieren Künstler aller Art in dem zeltlosen Zirkushaus unweit des Grande Place – der Star des heutigen, von Hanna Schygulla moderierten Abends ist gar ein Toter: Eine Handvoll Weltmusikantinnen ehren den 1999 verstorbenen Geiger Jehudi Menuhin. Den Anfang macht Melanie Gabriel, die, richtig, Peter Gabriels Tochter ist (der Vater sitzt im Publikum) und dank eines furios folkloristischen Ensembles einen guten Einstand schafft – die glucksenden Asiatinnen im Background-Chor sind eine Schau.
Der beste Moment des Konzerts gehört aber Loreena McKennitt. Die unermüdliche Forscherin keltischer Kultur ist bloß mit ihrer Harfe sowie zwei Mitmusikern an Cello und Gitarre da, doch diese Stimme schwebt über jedem noch so kleinen Arrangement wie, sagen wir, der Geist über den Wassern von Avalon, und am Ende will man unbedingt mehr. In den letzten Jahren war von der Kanadierin ja wenig Musik zu hören. Nachdem ihr Verlobter 1997 bei einem Motorboot-Unfall ums Leben gekommen waren, hatte McKennitt sich zurückgezogen. Mit den Erlösen eines Live-Albums gründete sie dann eine Stiftung für mehr Sicherheit im Wassersport, erwarb 2000 in ihrer Heimatstadt Stratford/Ontario ein altes Schulhaus, das sie in ein Familienzentrum verwandelte.
Und kümmerte sich intensiv um die Umstrukturierung ihres Labels Quinlan Road, dessen einziger Künstler sie selbst ist „Es ist einfach zu viel Arbeit geworden“, seufzt McKennitt darüber, dass sie von Anfang immer ihr eigener Manager und Promoter war, „ich muss mir meine Freiräume zurückholen, um an eine neue Platte überhaupt denken zu können.“
Wenn Loreena McKennitt an eine neue Platte denkt, heißt das zunächst: Sie geht auf Reisen. Seit sie Mitte der 80er ihr Interesse an den Kelten entwickelte, bewegt sich die irisch-stämmige Sängerin gen Osten. Von Irland nach Spanien und Portugal, über Italien ins tiefe Sibirien dringt McKennitt immer tiefer in die Geschichte des mysteriösen Wandervolkes ein, lässt sich inspirieren von Klängen und Geschichten, Mythen und Menschen. Und bastelt aus den Funden ihre Platten, die von mittelalterlichen Klangkulissen ebenso geprägt sind wie von einem weit schweifenden Romantizismus. Was eh schon zeitlos konzipiert ist, kann immer wiederkommen: Vor kurzem wurde ihr gesamter Backkatalog wiederveröffentlicht.
„Meine Alben sind musikalische Reiseberichte“, sagt McKennitt. „Was ich erlebe, ist der Ausgangspunkt für eine künstlerische Verarbeitung – wie bei einem Romanschreiber, der sich Schauplätze für seine Geschichten sucht. Mit den Kelten bin ich noch lange nicht fertig. Ihre Fähigkeit, sich überall zu integrieren und dieses Gefühl, immer ein Reisender zu bleiben – darin erkenne ich mich sehr gut wieder. Vermutlich kann ich deshalb nicht von ihnen lassen.“