Kein Sex, kein Rex
Ilja Richter, Moderator der Fernseh-Musikshow „Disco“, fand die 70er alles andere als wild
Natürlich war ich in den 70er-Jahren mit Sakko und Fliege ein Fremdkörper im deutschen Musikfernsehen. „Meinen Kampfanzug“ nannte ich das Outfit, mit dem ich immerhin die Konvention brechen konnte, dass ein Moderator immer so cool, poppig oder hippiemäßig aussehen musste wie seine Gäste. Die wurden mir in „Disco“ natürlich von der Redaktion präsentiert: ob das jetzt T.Rex oder Slade waren, Heino, Rod Stewart, Suzi Quatro oder Gunter Gabriel. Ich hatte da leider nichts mitzureden. Und konzentrierte mich lieber da-rauf, wie ich da meine Sketche dazwischenhauen konnte.
Was schwer genug war bei all den Einschränkungen, die mir das ZDF auferlegte: keine Witze über Kirche und Politik, nichts über Sex … Während Dieter Thomas Heck lieber noch eine weitere Gala oder Bierzeltveranstaltung mitnahm, kämpfte ich mit meinem Redakteur um Pointen. Rex Gildo habe ich einmal zu albern und getüllt parodiert – prompt wurde er zur Versöhnung in die nächste Show eingeladen.
Ich werde oft gefragt, wie es denn in den wilden 70ern so zuging. Nun ja: Politisch gesehen war es wirklich eine aufregende Zeit, in der Einiges im Umbruch war, in der die Grünen gegründet wurden und die Bürgerinitiativen aufkamen – aber im Entertainmentbereich war alles in Deutschland viel braver und verklemmter. Vielleicht brauchte das Volk ja Schlager und Harmonie, um gewisse Ängste zu kompensieren – erst als in den 80ern die Privatsender kamen und später „RTL Samstag Nacht“, passierten plötzlich Dinge, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Die Leichtigkeit, den Humor, den die Privaten bei allen Abstrichen brachten, gab es vorher nicht.
Ilja Richter, Jahrgang 1952, spielt Theater und in TV-Produktionen. Bald geht er auf „Disco“-Revival-Tour.